Wie auf EU-Gipfeln verhandelt wird Zettelträger, Souffleure und der Beichtstuhl
Einmal mehr gleicht ein EU-Gipfel einer langwierigen Pokerpartie.Die Hotels der Staats- und Regierungschefs sind vorsorglich bis Samstag gebucht. Doch was spielt sich hinter den verschlossenen Türen ab? Der erfahrene EU-Parlamentarier Elmar Brok und ARD-Korrespondent Michael Becker beschreiben, wie das Ringen um Kompromisse vor sich geht.
Von Fiete Stegers, tagesschau.de
Stundenlange Verhandlungen sind für die EU-Staats- und Regierungschefs nicht neu: 14 Stunden saßen sie im Juni 2005 zusammen, bis der luxemburgische Ratspräsident Jean-Claude Juncker die Verhandlungen über die EU-Finanzen für gescheitert erklärte. Ein halbes Jahr später präsentierte Nachfolger Tony Blair den entscheidenden Kompromissvorschlag nach ein Uhr nachts, am frühen Morgen stimmte als letztes auch Polen zu.
Auch diesmal ist Polen das Land, das sich am heftigsten gegen die Gipfelentscheidungen sperrt. Denn trotz aller vorbereitenden Verhandlungen und den regen Reiseverkehr zwischen den Hauptstädten sind wichtige Fragen bis zuletzt offen geblieben. Dabei erlebe man normalerweise "bei keiner Veranstaltung so wenig Überraschungen, wie wenn die Staats- und Regierungschefs zusammensitzen", sagt Michael Becker, MDR-Radio-Korrespondent in Brüssel.
Zuerst "die allgemeinen Sprüche"
Eröffnet wird der Gipfel durch die Tagung des Rates, bei der jedes Land durch seinen Staats- oder Regierungschef sowie den Außenminister vertreten ist. "Da gibt es dann zunächst die allgemeinen Sprüche - jedes Land macht noch einmal seinen Standpunkt klar", sagt Elmar Brok, einflussreicher CDU-Parlamentarier in Brüssel. Beim Abendessen im Anschluss würden sich die Politiker bereits deutlich näher kommen und die Positionen der anderen abtasten: "Dann beginnt das unmittelbare Gespräch zwischen den Chefs. Man sitzt näher beieinander und redet offener."
Souffleure in der zweiten Reihe
Ganz allein im Raum sind die Regierungschefs aber nur selten: "Auch beim Abendessen gibt es zum Beispiel eine zweite Reihe, die den Politikern souffliert, wenn es darauf ankommt", erläutert Korrespondent Becker. "Bei den eigentlichen Arbeitssitzungen sind große Delegationen mit im Raum. Wichtig sind vor allem die EU-Botschafter der einzelnen Staaten, die tief in den Details der Verhandlungen drinstecken, und die Regierungschefs an den entsprechenden Stellen briefen können." Wollen die Regierungschefs und Außenminister unter sich bleiben, betreten immerhin noch ab und zu Zettelträger den Raum, die Botschaften zwischen ihnen und ihren Delegationen überbringen.
Umgekehrt kommen Mitglieder der Delegationen während der laufenden Verhandlungen ab und zu in den Pressesaal einige Stockwerke unter den abgeschotteten Räumen der Staatschefs, um die dort wartenden Journalisten mit Informationen zu versorgen: "Natürlich nur aus ihrer nationalen Sicht – da muss man dann als Journalist aufpassen, dass man nicht manipuliert wird" erläutert Becker. "Aus Delegationskreisen" heißt es dann häufig, wenn die Informationen nicht ganz offiziell sein sollen.
Der Tag des Beichtstuhls
Für den zweiten Gipfeltag gibt es noch keinen festen Programmplan. Nicht nur EU-Parlamentarier Brok erwartet, dass sich die Verhandlungen bis in den späten Abend hinziehen: "Die Hotels in Brüssel sind bis Samstag gebucht." Bereits jetzt sei das berühmt-berüchtigte Beichtstuhl-Verfahren angekündigt: Bundeskanzlerin Angela Merkel wird dabei als amtierende Ratspräsidentin ihre Kollegen einzeln zu sich bitten, um Kompromissmöglichkeiten auszuloten, diese führen teilweise untereinander Einzelgespräche. Auch über Bande kann gespielt werden: "Bei den Verhandlungen über die EU-Finanzen Ende 2005 hatte es zum Beispiel Gespräche zwischen Blair und Merkel über eine gemeinsame Strategie gegeben. Blair hat dann öffentlich einen Vorschlag gemacht, auf den Merkel verabredungsgemäß reagierte", erinnert sich Brok.
"Für Angela Merkel wäre es sicher schwierig, mit erhobenem Zeigefinger auf die polnische Regierung loszugehen. Die Deutschen instrumentalisieren in solchen Fällen gerne den luxemburgischen Ministerpräsidenten Juncker, der schon sehr lange in der Runde der Staats- und Regierungschefs sitzt und dort sehr respektiert ist. Er kann am Tisch viel leichter die Rolle des Mahners übernehmen als die Ratspräsidentschaft, die moderieren muss", sagt Becker.
Neben Juncker käme es diesmal auf "auf Sarkozy und die Tschechen an", sagt Brok. Sarkozy sei engagiert und angetreten, um weitreichende Entscheidung zu treffen. Tschechien sei ein möglicher Vermittler, weil es über gute Beziehungen zu Polen verfüge: "Es ist nicht gut, wenn Polen das Gefühl hat, isoliert zu werden."
Welchen Ton die Staatschefs in diesen Gespräch anschlagen, wer auf wen Druck ausübe, sei von außen nur schwer zu beurteilen, schildert Korrespondent Becker: "Hundertprozentig wissen wir das nie." EU-Politiker Brok sagt dazu: "Das kommt auch sehr auf die Persönlichkeiten an. Dem einen kann man leicht ironisch begegnen. Mancher muss auch klar Druck spüren."