Prozessbeginn in Brasilien Droht Bolsonaro der politische Absturz?
In Brasilien hat vor dem Obersten Wahlgericht der Prozess gegen den früheren rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro begonnen. Bei einer Verurteilung dürfte er bis 2030 zu keiner Wahl antreten.
In den Straßen von Sao Paulo wird derzeit breitflächig für die mutmaßlich neuesten Kinostarts geworben. Doch wer genauer hinsieht, merkt: Mit diesen Plakaten stimmt etwas nicht. Der bekannte Klassiker "Citizen Kane" wurde in "Cidadao Crime" (Bürgerverbrecher) umbenannt. Über dem Poster von "Vom Winde verweht" steht "Vom Verbrechen verweht". Die Hauptrolle fällt in diesen fiktiven Filmen ein und demselben Darsteller zu: Ex-Präsident Jair Bolsonaro.
Bolsonaro als Oberschurke. Die Plakat-Aktion, hinter der ein Kollektiv aus Journalisten, Künstlern und Anwälten steht, polarisiert. Der Zeitpunkt ist wohlgewählt, denn Brasiliens Ex-Präsident muss sich vor Gericht für politische Entscheidungen, Taten und Äußerungen während seiner vierjährigen Amtszeit verantworten.
Bolsonaro ist sich der möglichen Konsequenzen offenbar bewusst und versucht, sich bereits vor einem Richterspruch als Opfer darzustellen. Vor wenigen Tagen erklärte er, er habe das alles kommen sehen. Als er sein Amt angetreten habe, habe ein Kongressabgeordneter zu ihm gesagt: "Am Ende drohen wahrscheinlich strafrechtliche Ermittlungen. Wahrscheinlich wird man Sie arm machen und sogar verurteilen", so der 68-Jährige.
Urteil in Kürze erwartet
Brasiliens oberste Wahlbehörde (TSE) wird in Kürze darüber entscheiden, ob der Ex-Präsident sein Amt missbraucht hat, um die Wahlen Ende 2022 zu beeinflussen. Unter anderem soll er im Vorfeld des Urnengangs die Wahljustiz angegriffen und das Wahlsystem angezweifelt haben.
Wird er schuldig gesprochen, darf er für acht Jahre, also bis 2030, zu keiner Wahl mehr als Kandidat antreten. Zur Erinnerung: 2022 unterlag er dem linken Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, erhielt aber trotzdem fast 50 Prozent der abgegebenen Stimmen. Viele Anhänger des rechtsextremen Ex-Präsidenten wittern ein linkes Komplott, um ihr Idol politisch kaltzustellen.
Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro halten am Tag des Prozessbeginns einen Banner am internationalen Flughafen Salgado Filho.
Zahlreiche Vorwürfe
Sollte Bolsonaro verurteilt werden, bedeute es das Ende, beschwört der Bolsonaro-Anhänger Ezequiel. Das sei Verfolgung pur, reinster Betrug. "Schau, was aus unserem Brasilien geworden ist. Sie treten unsere Rechte und unsere Freiheit mit Füßen, diese Richter sind eine Schade. Ich glaube nicht mehr an Gerechtigkeit."
Bolsonaro wäre nicht der erste Ex-Präsident, dem das passive Wahlrecht abgesprochen würde. Doch unabhängig vom am Donnerstag beginnenden Prozess und dessen Ausgang geht es um weit mehr.
Gegen Bolsonaro wird wegen zahlreicher Vorwürfe ermittelt: Gefälschte Impfdaten, mutmaßliche Aneignung von millionenschwerem Schmuck aus dem Präsidentenbesitz. Und vor allem geht es um den besonders schwerwiegenden Vorwurf, seine Anhänger am 8. Januar dieses Jahres zum Sturm auf das Regierungsviertel angestachelt zu haben.
Brisante Pläne gefunden
Die Polizei hat bei einer Hausdurchsuchung offenbar ein brisantes Papier gefunden, in dem Pläne zur Entmachtung des Obersten Gerichtshofs geschmiedet wurden. Damit sollte ein De-Facto-Putsch ins Werk gesetzt werden. Dafür könnte Bolsonaro eine Haftstrafe drohen.
All das dürfte die Entscheidung der Wahlbehörde zumindest beeinflussen. Das politische Aus des Rechtspopulisten bedeute aber keineswegs auch das Aus seiner rechtsextremen Bewegung, meint der Politikwissenschaftler Guilherme Casaroes.
Viel Unterstützung im Internet
Vor allem im Internet erfreue sich der radikale Bolsonarismus nach wie vor großer Unterstützung. "In der Gesetzgebung spielen seine Söhne eine wichtige Rolle. Ein Ausschluss des Ex-Präsidenten könnte dazu führen, dass sich die radikale Basis stärker mobilisiert." Und das könne zu einem Problem für die Regierung des amtierenden Präsidenten Lula da Silva werden, folgert Casaroes.
Sollte es zu einer Verurteilung im laufenden Prozess kommen, dürfte Bolsonaro versuchen, in die Opferrolle zu schlüpfen. Es ist gut möglich, dass er dann seine Frau Michele oder einen seiner Söhne bei der nächsten Präsidentenwahl 2026 ins Rennen schicken würde. Schließlich hat er bewiesen, dass sich mit rechtsextremen und christlich-fundamentalistischen Positionen Mehrheiten erringen lassen.
Genauso möglich wäre es allerdings, dass sich Brasiliens Rechte neu organisiert - und an gemäßigteren Figuren ausrichtet. Schon jetzt bringen sich andere als Oppositionsführer ins Spiel, zum Beispiel der Gouverneur von Sao Paulo, Tarcisio de Freitas. Er ist einer, der weniger polarisiert, de facto aber eine ähnliche Politik wie der Ex-Präsident verfolgt.