Jair Bolsonaro
Hintergrund

Brasilien Warum die ARD Bolsonaro rechtsextrem nennt

Stand: 28.10.2022 11:42 Uhr

Der brasilianische Präsident Bolsonaro wird oft als Rechtsaußen, Rechtspopulist oder ultra-rechts beschrieben. Warum hat sich die ARD entschieden, ihn sogar rechtsextrem zu nennen?

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat sich immer wieder mit radikalen Äußerungen zu Wort gemeldet - während seiner langjährigen Tätigkeit als Parlamentarier, im Präsidentschaftswahlkampf 2018 und auch als Staatsoberhaupt seit 2019. Dabei bedient er sich häufig einer rechtsextremen Rhetorik und offenbart ein rechtsextremes Weltbild, weswegen die ARD ihn als "rechtsextrem" bezeichnet.

"Rechtsradikal" ist nicht "rechtsextrem"

Laut Verfassungsschutz haben radikale politische Auffassungen in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Der Begriff rechtsradikal bezeichnet also eine Strömung, die nicht zwangsläufig gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstößt.

Demgegenüber werden rechtsgerichtete Demokratiefeinde als rechtsextrem bezeichnet, wenn sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen und - auch unter Anwendung von Gewalt - ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten wollen.

Der Demokratie-Forscher Marcos Severino Nobre von der Universität in Campinas bewertet Bolsonaro "zweifellos als rechtsextrem, weil er die brasilianische Militärdiktatur (1964 - 1985) als Modell für das heutige Brasilien ansieht."

Bolsonaro und Armeeführer General Marco Antônio Freire Gomes sprechen am Rande der Feiern des Tags des Militärs miteinander.

Mehr als nur die Nähe zum Militär, die das Amt mit sich bringt: Jair Bolsonaro

Anhänger der Militärdiktatur

Die Militärdiktatoren ließen damals den Kongress schließen, schafften Wahlen für oberste Staatsämter ab, zensierten die Presse und ermordeten Regimegegner.

Während seiner Präsidentschaft ließ Bolsonaro den Tag des Militärputsches und Diktaturbeginns in Brasilien am 31.3.1964 stets offiziell feiern. Diese militärischen Zeremonien fanden in Kasernen statt, wo das Verteidigungsministerium vor Soldaten den Putsch als "einen historischen Meilenstein in der politischen Entwicklung Brasiliens" bezeichnete. Dieser habe "Brasilien gerettet". Anhänger Bolsonaros folgten seinem Aufruf und feierten den Tag des Putschs - beispielsweise am Copacabana-Strand von Rio de Janeiro.

Als es im Jahr 2020 zu Spannungen zwischen dem obersten Gericht (STF) und der Bolsonaro-Regierung kam (vor dem Hintergrund der Pandemie-Politik), zogen Demonstranten vor das Hauptquartier der Streitkräfte in der Hauptstadt Brasilia. Dabei wurde von Protestierenden explizit eine Militärintervention und die Schließung des obersten Gerichts gefordert. Vor dieser Menschenansammlung, die sich gegen die demokratische Grundordnung in Brasilien aussprach, hielt Bolsonaro eine umjubelte Rede und unterstützte die Demonstranten in ihrem Protest.

Im März 2020 begrüßt Bolsonaro Demonstranten gegen das Oberste Gericht in Brasilia (Brasilien)

Der Staatschef unterstützt Protest gegen das Oberste Gericht: Im März 2020 begrüßte Bolsonaro die Demonstranten in Brasilia.

Bolsonaros rechtsextreme Äußerungen

Bereits vor seiner Präsidentschaft, als Abgeordneter, hatte Bolsonaro im brasilianischen Fernsehen gefordert, man müsse den Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso wegen dessen Wirtschaftspolitik umbringen. Darüber hinaus würde man "mit Wahlen nichts erreichen". Dies gelinge nur, wenn man die "Arbeit der Militärgeneräle vollendet und 30.000 Korrupte umbringt".

Kurz vor der Stichwahl 2018 kündigte Bolsonaro seinen Anhängern per Telefonansprache (am 21.10.2018) bezogen auf die demokratische Opposition eine "Säuberung" an. Wer nicht ins Ausland gehe, werde inhaftiert.

Wiederholt hat Bolsonaro die brasilianische Militärdiktatur und die Folter während dieser Zeit verherrlicht. Vor dem Kongress widmete er 2016 seine Stimme im Rahmen des Amtsenthebungsverfahrens gegen Ex-Präsidentin Dilma Rousseff einem der Hauptverantwortlichen für Folter, Coronel Carlos Alberto Ustra.

Ustra darf nach einer richterlichen Entscheidung öffentlich als Folterer bezeichnet werden.

Die ehemalige Polizeizentrale von Rio de Janeiro (Brasilien), während der Militärdiktatur ein Folterzentrum

Eines der Folterzentren während der Militärdiktatur war die frühere Polizeizentrale von Rio de Janeiro (Brasilien).

Herabwürdigung Indigener und Afrobrasilianer

Ein rechtsextremes Merkmal erfüllt Bolsonaro nicht: Antisemitismus. Er gilt als Freund des jüdischen Volkes. Jedoch hat er sich öffentlich immer wieder frauenfeindlich und homophob geäußert. So sagte er im Wahlkampf: "Ich bin homophob und stolz darauf."

Bolsonaro hetzte ebenfalls gegen ethnische Minderheiten wie Indigene und Afrobrasilianer. An die Spitze der "Fundação Cultural Palmares", dem wichtigsten Institut für afrobrasilianische Belange, setzte er einen Präsidenten, der behauptete, es gebe keinen Rassismus in Brasilien. Bewohner eines Quilombos, einer von Sklaven gegründeten Siedlung, beschrieb Bolsonaro im Sklavenhalter-Jargon. Diese Ausdrucksweise wiederholte er im Mai 2022 vor einem schwarzen Anhänger.

Indigene protestieren im April 2022 gegen Bolsonaro in Brasilia (Brasilien)

Immer wieder gegen Indigene in Brasilien gegen Bolsonaro auf die Straße - wie hier im April 2022 in Brasilia.

Ablehnung einer pluralistischen Gesellschaft

Die Diffamierungen und wiederholt geäußerte Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats erfüllen im Einklang mit der Definition des deutschen Verfassungsschutzes die Voraussetzungen für ein rechtsextremes Weltbild. Bolsonaro pflegt neben einem aggressiven Nationalismus die Ablehnung der pluralistischen Gesellschaft und wünscht sich einen Staat mit militärischen Ordnungsprinzipien (Militarismus).

Auch die wesentlichen Merkmale des Politikwissenschaftlers Richard Stöss erfüllt Bolsonaro: übersteigerter Nationalismus, Beschwörung äußerer Bedrohung, Negierung der universellen Freiheits- und Gleichheitsrechte der Menschen, tendenzielle Gegnerschaft zu parlamentarisch-pluralistischen Systemen, gesellschaftliches Leitbild einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft mit einem Führer.

Der Politikwissenschaftler und Lateinamerika-Experte Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik bezeichnet Bolsonaro als einen "autoritären Populisten, der durch das Zurückweisen von Institutionen ein Interesse an der Polarisierung verfolgt". Bolsonaro dulde keine andere Meinung und setze auf einen "Machterhalt von oben mit Hilfe des Militärs sowie die Durchsetzung seiner eigenen Wahrheit - wenn nötig auch gegen die Justiz". Dies unterscheide ihn von seinem Herausforderer, dem linken Lula da Silva, der "Institutionen nicht ablehne und auf die Justiz und das Wahlsystem vertraue".

Die ARD hat sich für den Begriff "rechtsextrem" entschieden, um trennscharf zu definieren, wie Jair Bolsonaro politisch einzuordnen ist.

Weiterführende Literatur
Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41312/was-ist-rechtsextrem?p=all
Armin Pfahl-Traughber, Der organisierte Rechtsextremismus in Deutschland nach 1945, in: Wilfried Schubarth, Richard Stöss (Hrsg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Opladen 2001, 71 ff.
Richard Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2007
Michael Minkenberg, Die neue radikale Rechte im Vergleich USA, Frankreich, Deutschland, Opladen-Wiesbaden 1998; zitiert nach Thomas Grumke/Bernd Wagner, Hrsg.: Handbuch Rechtsradikalismus, Opladen 2002
Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1952 zu den grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: https://opinioiuris.de/entscheidung/783