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Noboas Kampagne in Ecuador Mit Kriegsrecht gegen Kartelle zum Wahlerfolg?
Eine harte Hand gegen Drogenbanden - mit diesem Versprechen wurde Noboa Präsident in Ecuador. Seit einem Jahr regiert er im Ausnahmezustand, nun will er wiedergewählt werden. Doch die Gewalt geht weiter.
Mit einem dumpfen Schlag crasht der Rammbock gegen den Beton, viel Widerstand leistet die dünne Mauer nicht. In voller Kampfmontur, das Maschinengewehr im Anschlag, die Gesichter vermummt, stürmen Spezialkräfte der Polizei und des Militärs in Ecuador das einstöckige Haus in einem Randbezirk von Durán, an den Ufern des Guayas-Flusses. Sie suchen nach Drogen- und Waffenhändlern.
"Chone Killers" und "Latin Kings" nennen sich die beiden Banden, die hier das Sagen haben. Ihr Geschäft: Drogenschmuggel, Schutzgelderpressungen, Entführungen, Auftragsmorde. "Die Banden tragen Fehden gegeneinander aus, es geht um die Kontrolle von Territorien", informiert der Militärkommandant.
Durán, eine Industriestadt gegenüber der Wirtschaftsmetropole Guayaquil am Pazifik gilt als tödlichstes Terrain des Landes. In keiner Stadt auf dem amerikanischen Kontinent wurden im vergangenen Jahr so viele Menschen umgebracht.
Durán ist ein logistisches Nadelöhr in Ecuador, das sich zum Drehkreuz für den Export von Kokain aus Kolumbien und Peru entwickelt hat. Auch nach Europa, wo der Konsum boomt und die Preise hoch sind.
Krieg gegen die Kartelle
"Wir haben keine Angst. Wir schulden niemandem etwas!", erklärte Präsident Daniel Noboa, als er Durán im Juli vergangen Jahres besuchte. In schusssicherer Weste, Schutzhelm, abgeschirmt von Bodyguards mit kugelsicheren Kevlar-Platten.
"Seid nicht überrascht, wenn es drastisch wird: Seid vorbereitet: Die Tage der Mafia sind gezählt", sagte er. Mit dem Versprechen kam Noboa 2023 an die Macht. Der Sohn des reichsten Mannes des Landes, der mit der Vermarktung von Bananen Milliarden gemacht hat, kam als politischer Outsider ins Amt, und als Interimspräsident nach vorgezogenen Neuwahlen inmitten einer tiefen Krise.
Konfrontiert mit einer beispiellosen Welle der Gewalt erklärte er die Banden zu "Narco-Terroristen". Er schickte das Militär auf die Straßen und in die Gefängnisse, hochrangige Bandenführer wurden verhaftet, Korruptionsermittlungen gegen Richter, Polizisten und Anwälte aufgenommen. Die Mordrate ging in den ersten Monaten um fast 20 Prozent zurück.
Junger Präsident, alte Probleme
Nun tourt Noboa durchs Land, verteilt lebensechte Pappfiguren von sich, er möchte wiedergewählt werden: "Wir haben die Sicherheitslage verbessert" ruft er zu Reggaeton-Musik von der Ladefläche eines Pick-ups in die Straßen der Hafenstadt Guayaquil. "Die Menschen haben wieder das Gefühl, einen Präsidenten zu haben, der jeden Tag für sie kämpft."
Die Umfragen sehen ihn als Favoriten. "Eine harte Hand und Entschlossenheit sind wichtig", findet auch Geschäftsmann Alfredo Panchada. Es brauche weniger Rücksicht auf Menschenrechte und strengere Gesetze.
Noboas Politik habe die Macht der Banden und Kartelle nicht gebrochen, sagt dagegen Renato Rivera von der Beobachtungsstelle für Organisierte Kriminalität in Ecuador. Die kriminellen Gruppen hätten sich an die Militarisierung angepasst. "Es hat eine Zersplitterung der Gruppen stattgefunden", sagt Rivera. "Das führt zu mehr Konflikten und heizt die Gewalt weiter an."
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Anhänger von Daniel Noboa bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ecuador.
Berichte über illegale Strukturen
In der Seitenstraße eines Außenbezirks im Norden Guayaquils steigt ein Mann in Baseballkappe und weißem T-Shirt ins Auto, fährt die Scheiben hoch, sagt, er möchte Marcos Ramirez genannt werden, was aber nicht sein richtiger Name ist.
Bis September habe er wegen Drogenhandels im berüchtigten El-Litoral-Gefängnis von Guayaquil gesessen. Er habe miterlebt, wie dort das Militär intervenierte und die Kontrolle übernahm.
Heute hätten Militärangehörige dort ein ähnlich illegales Regime eingerichtet, wie einst die Mafia, behauptet er: "Von einer Stecknadel bis zu einer Flasche Whisky - für Geld gibt es alles, Drogen, Frauen, Waffen. Die Militärs haben inzwischen festgestellt, dass das ein gutes Geschäft ist."
Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht, aber es deckt sich mit anderen Aussagen von Interviewpartnern, Menschenrechtsorganisationen und Berichten von Insight Crime, einem Think Tank, der zu Organisierter Kriminalität forscht.
750 Morde - in einem Monat
Auch die Gewalt hat zugenommen: Allein im Januar 2025 gab es nach offiziellen Zahlen 750 Morde - es war der blutigste Monat in der Geschichte Ecuadors. Dazu haben Schutzgelderpressungen und Entführungen zugenommen.
Auf der Straße habe sich die Dynamik verändert, sagt Ramirez, der sich im Gefängnis der größten kriminellen Gruppe des Landes angeschlossen hat, den Choneros. Für sie führe er heute "Missionen" durch, wie er sagt. Ramirez ist inzwischen "Sicario", das heißt, er ermordet Menschen. Für Geld.
"Es hat uns getroffen, dass es mehr Patrouillen gibt. Das führt zu mehr Todesfällen", sagt er. Militär und Polizei verlangten auf der Straße Bestechungsgeld, gleichzeitig setzten sie mehr Waffen und Drogen fest. "Um das alles zu bezahlen, müssen wir zum Beispiel Entführungen oder Erpressungen planen, um uns zu finanzieren. So funktioniert es hier draußen."
Die harte Hand Noboas sei mehr Inszenierung als effektive Kriminalitätsbekämpfung, sagt die Strafrechtsanwältin Monica Luzarraga aus Guayaquil. Es gebe eine brutale Kehrseite: "Heute müssen wir auf der Straße nicht mehr nur kriminelle Banden fürchten, sondern auch die öffentlichen Sicherheitskräfte."
Ermittler untersuchen Mord an vier Jungen
Am Neujahrstag 2025 werden im südlichen Viertel Las Malvinas von Guayaquil vier Jungen begraben. Sie heißen Steven, Josué, Ismael und Nehemias und wurden elf, 14 und 15 Jahre alt. Menschenmassen begleiten den Trauerzug, sie halten Schilder hoch, auf denen steht: Sie waren keine Kriminellen, sie waren Fußballspieler.
Am 8. Dezember wurden die vier auf dem Nachhauseweg vom Fußballtraining von einer Militärpatrouille angehalten und mitgenommen. Das belegen Bilder von Überwachungskameras. Erst Tage später, an Weihnachten, wurden die leblosen Körper gefunden - in einem Mangrovensumpf rund 50 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt nahe der Basis des Militärs in Taura. Es ist ein Viertel, das von der Choneros-Bande beherrscht wird.
Haben die Militärs die Jungen trotz besseren Wissens, einfach schutzlos ausgesetzt, oder geht ihre Verwicklung in die brutale Tat noch weiter? Die Ermittlungen laufen noch.
Fälle von gewaltsamen Verschwindenlassens
Es wäre nicht der erste Fall dieser Art. Die Staatsanwaltschaft hat bereits Anklage gegen Militärangehörige wegen gewaltsamen Verschwindenlassens erhoben.
Fernando Bastias, vom Komitee für Menschenrechte aus Guayaquil, glaubt nicht an Einzelfälle. 21 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen zählt die Nichtregierungsorganisation, seit die Regierung Anfang 2024 den internen Krieg ausrief. Die meisten davon: junge Männer aus armen Verhältnissen. Oft Afro-Ecuadorianer wie die vier Jungen aus Las Malvinas.
Schwere Wirtschaftskrise in Ecuador
Ronny Medina, der Vater des ermordeten 11-jährigen Steven kämpft, wie die meisten hier, mit einem prekären Job für das Auskommen der Familie - Ecuador steckt nicht nur in einer Sicherheits- sondern auch einer tiefen Wirtschaftskrise, mehr als jeder Dritte lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Zuerst sei er einverstanden damit gewesen, dass die Regierung die Militärs auf die Straße schickt, sagt er. "Denn es gibt viel Kriminalität, viel Mafia, viele Tote." Er sei davon ausgegangen, dass das Militär die Ordnung wiederherstellen werde.
Vor ihm, auf dem Küchentisch steht das schwarz-weiße Porträt seines Sohnes Steven. "Ich habe mich geirrt. Unschuldige sterben", sagt er. "Sie haben dem Militär freie Hand gegeben, mit Zivilisten zu machen, was sie wollen."
Präsident Noboa, der von Journalisten immer wieder auf den Fall der vier Kinder angesprochen wird, hat sich bislang nicht bei den Familien gemeldet.