Irakische Helfer tragen eine Kiste von USAID.
interview

USAID unter Druck "Das hat sofort massive Folgen"

Stand: 04.02.2025 09:07 Uhr

Ohne Vorankündigung hat Präsident Trump fast die gesamte US-Entwicklungshilfe gestoppt. Der Experte Stephan Klingebiel erklärt, welche unmittelbaren Folgen das hat - für den globalen Süden, aber auch die USA.

tagesschau.de: Welche Bedeutung hat USAID für die internationale Entwicklungszusammenarbeit?

Stephan Klingebiel: Die USA sind auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit weltweit mit großem Abstand das größte Geberland. 2023 waren es gut 65 Milliarden US-Dollar, davon ungefähr 50 Milliarden US-Dollar über USAID. Ungefähr 42 Prozent der humanitären Hilfe der Vereinten Nationen stammen aus den USA. Wenn diese Hilfe von heute auf morgen eingefroren wird, hat das sofort massive Folgen - dann kommt ein ganzes System zum Erliegen.

Stephan Klingebiel
Zur Person
Dr. Stephan Klingebiel leitet die Abteilung Inter- und transnationale Zusammenarbeit beim German Institute of Development and Sustainability (IDOS).

Viele NGOs müssen jetzt schon die Arbeit einstellen

tagesschau.de: Die Folgen dieser Entscheidung sind also vor Ort sofort zu spüren?

Klingebiel: Ungefähr ein Viertel der Ausgaben der USA im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit fließt in den Gesundheitssektor. In Nepal werden bis zu 600.000 Kinder mit Vitamin B versorgt. Schon jetzt erreichen uns Berichte, dass dort all diese von den USA finanzierten Projekte zum Stillstand gekommen sind und viele lokale NGOs sofort ihre Arbeit einstellen mussten.

Das betrifft auch die Bekämpfung der großen Krankheiten zum Beispiel in Afrika - Malaria, Cholera, Masern, und auch das HI-Virus. Er betrifft die medizinische Notversorgung in den Ländern des Südens, die Flüchtlingshilfe. Es betrifft auch die Unterstützung für lokale Wirtschaft in diesen Ländern.

"Fundamentale Umkehr in der gesamten außenpolitischen Konzeption"

tagesschau.de: Die Gelder von USAID fließen zum Teil auch in staatliche Haushalte. Was bedeutet hier der Stopp der Gelder?

Klingebiel: Solche Budgethilfen sollen den Empfängerländern dabei helfen, einen im Sinne der Geberstaaten guten Weg einzuschlagen. Um die Bedeutung der Entscheidung von Trump und Musk zu verstehen, muss man sich in Erinnerung rufen, dass die USA die Erfinder der Entwicklungszusammenarbeit sind.

Präsident Harry Truman hat 1947 vor dem Kongress dafür geworben, Mittel für andere Länder zu mobilisieren, um sie an die USA, an den Westen zu binden - unter den Vorzeichen des damals entstehenden Kalten Krieges. Präsident John F.  Kennedy hat 1961 mit einer Präsidialorder die Gründung von USAID als Zusammenführung von verschiedenen Hilfsprogrammen angestoßen und der Kongress hat es dann bestätigt. Seitdem hat sich USAID als die größte bilaterale Entwicklungsagentur etabliert.

Das schafft Stabilität, kann dazu führen, dass man politische Reformen vereinbart oder auch nur Verhandlungsbereitschaft zeigt. Wenn man humanitäre Hilfe leistet, hat man auch politisch etwas in die Waagschale zu werfen. Jordanien ist durch die Aufnahme vieler palästinensischer Flüchtlinge ein stabilisierender Faktor im Nahen Osten - und hat in den vergangenen Jahren Milliarden US-Dollar bekommen. Wir haben den Einfluss der US-Hilfe in Ruanda gesehen, wo das Wort der USA ein großes Gewicht hat. Nun erleben wir eine fundamentale Umkehr in der gesamten außenpolitischen Konzeption, die sich auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe ausdrückt.

"Dürfte mit Entwicklungspolitik nur noch wenig zu tun haben"

tagesschau.de: Konnten sich die Staaten und NGOs darauf einstellen, dass die Hilfe eingefroren und gänzlich umgebaut wird?

Klingebiel: Aus dem Project 2025 der Heritage Foundation, das viele als Blaupause für die künftige Politik von Trump gesehen haben, konnte man das nicht herauslesen. Es scheint aber ein Vorzeigefall für das plötzliche Zerschlagen staatlicher Strukturen zu sein, wo es nicht mehr um ihre Verbesserung geht, sondern um ihre Zerstörung.

Es kann sein, dass es nach der Phase von 90 Tagen, innerhalb derer die bisherigen Strukturen überprüft werden, wieder eine Art formalistischer Hülle für die Entwicklungszusammenarbeit gibt und neue Instrumente präsentiert werden, die sich an den sehr engen Interessen der neuen US-Regierung orientieren. Das dürfte dann mit Entwicklungspolitik nur noch wenig zu tun haben, sondern vor allem dazu dienen, jedes beliebige Land mit dem Entzug von Unterstützung unter Druck setzen zu können.

"Mehr Gelder für Evangelikale"

tagesschau.de: USAID soll ins Außenministerium eingegliedert werden. Was bedeutet das?

Klingebiel: USAID ist dann keine eigenständige Behörde mehr. Bislang hatte es eine gewisse Eigenständigkeit, künftig wird dann im Außenministerium entschieden, welche Gelder wohin fließen. Wieviel das dann noch sein wird, kann man derzeit nicht abschätzen. Man kann sich aber vorstellen, welche Projekte nicht mehr unterstützt werden. NGOs oder Projekte, die das Empowerment von Frauen unterstützen, die die Rechte von Homosexuellen schützen - auch wenn es finanziell für die US-Regierung gar nicht den großen Unterschied macht. Aber darum geht es auch nicht. Auch das Familienbevölkerungsprogramm der Vereinten Nationen wird wegen seiner Ausrichtung sicherlich die Unterstützung verlieren, wie schon in Trumps erster Amtszeit.

Dafür werden evangelikale Gruppen in Afrika stärker unterstützt werden - was sich auf die Lage zum Beispiel von Homosexuellen in diesen Ländern auswirkt. Und dann wird es sicher auch darum gehen, unter dem Label Entwicklungszusammenarbeit amerikanischen Unternehmen Zugang zu Rohstoffen in anderen Ländern zu verschaffen. Allerdings werden diese Unternehmen spüren, dass der Zugang zu vielen Märkten durch den Rückzug des USA schwieriger wird und ihnen dadurch ein erheblicher Wettbewerbsvorteil verloren geht.

"Europa kann die Lücke nicht schließen"

tagesschau.de: Wenn die USA eine Lücke schaffen, die absehbar nicht komplett wieder geschlossen wird, können dort andere Länder wie China nachstoßen?

Klingebiel: Europa und die anderen westlichen Akteure können diese Lücke nicht schließen. Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat ungefähr elf bis zwölf Milliarden Euro pro Jahr bislang bekommen und wird sicher nicht mehr Gelder erhalten. Das verschafft China und auch Russland Spielräume in vielen Ländern des globalen Südens - allein schon wegen der fundamentalen Verunsicherung, die nun entstanden ist.

Wenn China hier Dinge anstößt, eröffnet das wirtschaftlich weitere Möglichkeiten, zum Beispiel beim Zugang zu Ressourcen. Russland ist hier vielleicht nicht so leistungsfähig, nutzt die Lage aber mit viel weniger Geld propagandistisch aus. Das haben wir schon in der Sahelzone gesehen, in Westafrika. Das schwächt uns massiv bei dem Versuch, China geopolitisch etwas entgegenzusetzen.

"Wir brauchen eine Einrichtung wie USAID"

tagesschau.de: Trump argumentiert, dass diese Ausgaben den amerikanischen Steuerzahlern nicht mehr zu erklären seien, weil sie ihnen nichts nützten. USAID werde von einem Haufen radikaler Verrückter geleitet, behauptet Trump und Elon Musk spricht von einer kriminellen Organisation. Gibt es so etwas wie einen Kern von Wahrheit an der Kritik an USAID?

Klingebiel: Wenn man sich die Mühe macht, wird man bei einem Ausgabenvolumen von 65 Milliarden US-Dollar für Tausende Projekte sicherlich auch ein paar finden, deren Sinn sich nicht völlig erschließt. Aber wenn wir wirksame Projekte haben wollen, brauchen wir eine hochprofessionelle Einrichtung wie USAID. Und das dient übergreifenden Zielen. Entwicklungszusammenarbeit ist ein wichtiges geopolitisches Mittel, um Allianzen zu bilden, um mit anderen Ländern im Dialog zu sein. Sie ist ein Beitrag zur Konfliktreduzierung, indem sie Friedensinitiativen unterstützt.

Wie sehr sie unserer Sicherheit dient, zeigt das Beispiel Ukraine, wo ein großer Teil der zivilen Hilfe Entwicklungszusammenarbeit ist. Sie kann ein Mittel sein, um über die Unterstützung lokaler NGOs der weltweiten Welle von Autokratisierung entgegenzuwirken. Sie ist ein zentraler Faktor in der Bekämpfung des Klimawandels - der größte Teil an internationaler Klimafinanzierung läuft über Entwicklungszusammenarbeit. Es mag sein, dass es ein paar misslungene Projekte gibt. Aber das steht nicht für die Gesamtheit der Entwicklungszusammenarbeit.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de