Zwölf-Punkte-Papier vorgelegt Skepsis nach Chinas Ukraine-Initiative
Wie glaubwürdig ist Chinas Vorstoß für Verhandlungen und Waffenruhe? Bei NATO, EU und Bundesregierung sind die Reaktionen verhalten, aus der Ukraine kommt deutliche Kritik - vor allem daran, dass kein russischer Rückzug gefordert wird.
EU und NATO haben zurückhaltend auf den chinesischen Zwölf-Punkte-Plan für Friedensverhandlungen und eine Waffenruhe in der Ukraine reagiert. "Zu diesen Vorschlägen und Punkten ist erstmal zu sagen, dass China nicht glaubwürdig ist, da sie noch nicht einmal in der Lage waren, die illegale Invasion der Ukraine zu verurteilen", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. "Außerdem haben sie wenige Tage vor der Invasion ein Abkommen (...) über eine grenzenlose Partnerschaft mit Russland abgeschlossen."
Der russische Präsident Wladimir Putin bereite sich derzeit nicht auf Frieden vor, sondern auf mehr Krieg und weitere Offensiven, sagte Stoltenberg. Irgendwann werde der Krieg wohl am Verhandlungstisch enden. Wenn man jedoch eine Verhandlungslösung wolle, bei der die Ukraine als souveräne, unabhängige Nation bestehen bleibe, müsse man das Land militärisch unterstützen. Nur so könne man die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Putin erkenne, dass er auf dem Schlachtfeld nicht gewinnen werde.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, man müsse sich die zwölf Punkte vor dem Hintergrund anschauen, dass China bereits Partei ergriffen habe. China und Russland hätten einander noch kurz vor Kriegsbeginn ihre "grenzenlose" Freundschaft zugesichert. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell relativiert die Bedeutung des chinesischen Vorstoßes. "Ich würde es nicht als Friedensplan bezeichnen. Tatsächlich ist es kein Friedensplan, sondern ein Positionspapier, in dem China alle seine Positionen zusammengestellt hat" sagte er. Dennoch gebe es darin interessante Beobachtungen. Borrell forderte China auf, auch mit der Ukraine über seine Absichten zu sprechen.
Aufruf zu Waffenruhe und Verhandlungen
China hatte zuvor seinen Vorschlag zur "politischen Beilegung" der Krise auf der Website seines Außenministeriums veröffentlicht. Darin ruft die Regierung in Peking zu einem Waffenstillstand und zur Aufnahme von Friedensgesprächen auf. Russland und die Ukraine sollten "so schnell wie möglich den direkten Dialog wieder aufnehmen", heißt es. Atomwaffen dürften weder eingesetzt noch als Drohmittel genutzt werden. Verlangt wird zudem das Ende der westlichen Sanktionen gegen Russland.
Gleichzeitig wird gefordert, dass die legitimen Sicherheitsinteressen aller Staaten ernst genommen werden müssten. Damit bezieht sich China auf die Argumentation Russlands, sich gegen die USA und die NATO verteidigen zu müssen. "Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder muss wirksam gewahrt werden", heißt es in Punkt eins des Dokuments. Was das im Fall der Ukraine bedeutet, die von Russland angegriffen wurde, wird nicht ausgeführt.
China versucht, sich in dem Konflikt als neutral darzustellen, ist Russland aber zugleich in enger Partnerschaft verbunden und hat es vermieden, Moskaus Invasion zu kritisieren oder diese auch nur mit diesem Begriff zu benennen. Dem Westen warf Peking indes wiederholt vor, den Konflikt provoziert zu haben und die Flammen durch Waffenlieferungen an die Ukraine weiter anzufachen.
Kritik aus der Ukraine
Aus der Ukraine kam Kritik an dem chinesischen Positionspapier. "Jeder 'Friedensplan', der nur einen 'Waffenstillstand' und infolge dessen eine neue Trennlinie und die Besetzung von Gebieten vorsieht, handelt nicht von Frieden", schrieb der Berater im Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, auf Twitter. Es handele sich vielmehr um ein "Einfrieren des Krieges", um "nächste Etappen des Völkermords" - und daher eine Niederlage. Die Ukraine bestehe unverändert auf einen Abzug der russischen Truppen aus ihren international anerkannten Grenzen von 1991.
Ähnlich äußerte sich der Fraktionschef der Präsidentenpartei "Diener des Volkes", David Arachamija. Die Chinesen sprächen zwar von der Notwendigkeit die Souveränität eines jeden Landes zu achten, aber nirgendwo sei gemeint, dass die russischen Truppen schnell aus der Ukraine abgezogen werden müssten, sagte er im Fernsehen. Sein Parteifreund und Leiter des Auswärtigen Ausschusses im Parlament, Olexander Mereschko, bezeichnete das Dokument als "Propaganda-Aktion". Es sei eine Ansammlung "leerer Losungen".
Der stellvertretende ukrainische Außenminister Andrij Melnyk sagte im Deutschlandfunk, nach dem Überfall auf sein Land fehle jedes Vertrauen in Zusagen Russlands. "Die einzige Voraussetzung, dass man überhaupt über Verhandlungen nachdenkt, ist, dass die russischen Truppen abgezogen werden. Das wäre ein Schritt. Und keine leeren Worte und Versprechen."
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte einen chinesischen Friedensplan noch vor dessen Veröffentlichung grundsätzlich begrüßt und von einem wichtigen ersten Schritt gesprochen. "Ich denke im Allgemeinen, dass die Tatsache, dass China begonnen hat, über Frieden in der Ukraine zu sprechen, ich denke, dass dies nicht schlecht ist", sagte er.
Bundesregierung: "Fehlen wichtige Elemente"
Die Bundesregierung äußerte sich in einer ersten Reaktion auf das chinesische Papier verhalten. Es sei zwar gut, dass die Regierung in Peking als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats eigene Ideen vorgestellt habe, sagte ein Regierungssprecher. Zu begrüßen sei etwa die klare Ablehnung jeglichen Gebrauchs von Atomwaffen. "Gleichzeitig fehlen aus unserer Sicht wichtige Elemente, zuvorderst der Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine", so der Sprecher. "Wichtig ist, dass China diese Ideen nun auch direkt mit der Ukraine bespricht, nur so kann eine ausgewogene Lösung gefunden werden, die die legitimen Interessen der Ukraine berücksichtigt."
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier blieb in seiner Bewertung zurückhaltend. "Jeder konstruktive Vorschlag, der uns dem Weg zum gerechten Frieden näher bringt, ist hochwillkommen", sagte er, fügte aber hinzu: "Ob die Weltmacht China eine solche konstruktive Rolle spielen will, ist noch fraglich." Falls ja, dann müsse China nicht nur mit Russland sprechen, sondern auch mit der Ukraine. "Wenn dem so ist, dann sollte China sich der überwältigenden Mehrheit der Staaten anschließen und unter dem Dach der Vereinten Nationen für Frieden eintreten."
Die UN-Vollversammlung hatte am Donnerstag mit breiter Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in der eine Friedenslösung und ein russischer Truppenabzug gefordert werden. China enthielt sich bei der Abstimmung jedoch.
Hofreiter spricht von "Ablenkungsmanöver"
Deutliche Skepsis angesichts des chinesischen Vorschlags äußerte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses, Anton Hofreiter. "Das ist nicht als Basis für Friedensverhandlungen gedacht, sondern als Ablenkungsmanöver", sagte der Grünen-Politiker im BR. Putin habe "ganz klar gesagt, es ist weiter sein Ziel, die Ukraine zu erobern. Und so lange der Aggressor nicht bereit ist, die Waffen niederzulegen, ist es sehr schwer, zu einem Frieden zu kommen." Es täuschten sich daher alle, "die glauben, indem man 'Friedensverhandlungen' sagt, dass es dann auch zu Verhandlungen kommt", führte Hofreiter aus. China allerdings "täuscht sich darüber nicht. China versucht da, Teile der Welt zu täuschen."
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth, setzt ebenfalls wenig Hoffnung in den Plan. "Die Chinesen verhalten sich in diesem Krieg nicht neutral, sondern unterstützen Russland politisch und wirtschaftlich", sagte der SPD-Politiker dem Sender ntv. Er sei deshalb sehr skeptisch, ob China glaubwürdig eine Vermittlerrolle einnehmen könne. Peking könne Putin zu einem Einlenken in der Ukraine bewegen, wenn es wolle, doch er bezweifle, dass dieser Wille vorhanden sei.
"Dieser diplomatische Coup hat nichts mit Frieden zu tun", twitterte auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler, deren Partei Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt, begrüßte hingegen bei ntv den chinesischen Vorstoß: "Es ist sicher noch kein Durchbruch, aber ich begrüße sie jede Initiative für Friedensverhandlungen, für diplomatische Bemühungen."
Russischer Außenpolitiker begrüßt Vorschlag
In Russland begrüßte der Außenpolitiker Leonid Sluzki den chinesischen Plan als "ausgewogen". Er sei jedenfalls ausgewogener als die neue UN-Resolution, die faktisch eine Kapitulation Russlands fordere, schrieb der Vorsitzende des Außenausschusses im russischen Parlament im Netzwerk Telegram. "Die Vorschläge aus Peking muss man noch einzeln erörtern. Aber hauptsächlich ist das ein Plan, um die Hegemonie des kollektiven Westens zu beenden." Der chinesische Plan berücksichtige die Sicherheitsinteressen aller beteiligten Seiten, meinte Sluzki. "Wir sind auf Frieden eingestellt, aber nicht auf Kosten der Sicherheit und Souveränität Russlands."
Wie Russland und China zueinander stehen, zeigte sich auch bereits wenige Wochen vor Beginn des Krieges vor einem Jahr, als sich Chinas Staats- und Parteichef Xi und Russlands Präsident Putin grenzenlose Freundschaft geschworen haben. Seither baut die Volksrepublik ihre Beziehungen zu Russland immer weiter aus. Der Handel zwischen den beiden Nachbarländern hat seit Kriegsbeginn deutlich zugenommen.
Mit Informationen von Benjamin Eyssel, ARD-Studio Peking, und Kai Clement, ARD-Hauptstadtstudio