Offensive im Gazastreifen Wie Soldaten-Videos zum Problem für Israel werden
Seit Monaten posten israelische Soldaten Videos von ihren Einsätzen in Gaza, die zeigen, wie menschenverachtend sie zum Teil mit Palästinensern umgehen. Die Armee spricht von Einzelfällen.
Vor wenigen Monaten ging ein TikTok-Video viral. Es zeigt zwei israelische Soldaten in einem Bulldozer, die die Reste eines Hauses im Gazastreifen abreißen. Die beiden Soldaten schicken Grüße an den israelischen Sänger Eyal Golan. "Wir lieben Dich", sagt einer der Soldaten, "wir sind in Chan Yunis, dieses Haus widmen wir Dir, für die Freude, die Du uns bringst."
Eyal Golan hatte nach dem 7. Oktober gesagt, man müsse ganz Gaza auslöschen und keine einzige Person dürfe dort bleiben. Das TikTok-Video, in dem die Soldaten diese Aussage feiern und dabei Häuser abreißen, wurde von Südafrika im Verfahren gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof erwähnt. Südafrika wirft Israel vor, einen Völkermord zu begehen, was Israel entschieden zurückweist.
Videos als enormes Imageproblem
Die Social-Media-Posts werden von israelischen Usern teilweise gefeiert. Für Israel, das behauptet, über die moralischste Armee der Welt zu verfügen, sind die Videos ein enormes Imageproblem geworden.
So ist in einem weiteren Video Rauch von einem Feuer zu sehen. Ein Mann sagt auf Hebräisch: "Oh, Gaza brennt. Möget Ihr bei lebendigem Leib verbrennen, Ihr Hurens****".
In einem anderen Video durchsucht ein Soldat offenbar eine verlassene Wohnung und hat die Unterwäsche einer Frau gefunden. "Ich habe immer gesagt, dass Araberinnen die größten Schlamp** sind, die es gibt", sagt der Mann. Andere Videos zeigen mögliche Plünderungen durch israelische Soldaten. Es gibt auch Aufnahmen, auf denen israelische Soldaten Häuser in Brand setzen.
"Krieg gegen die Idee einer palästinensischen Nation"
Der palästinensische Journalist Younis Tirawi sammelt die Videos seit Monaten und hat sie nach eigenen Angaben verifiziert. Er analysierte die Social-Media-Profile Hunderter israelischer Soldaten. Tirawis Urteil: Die Videos zeigten, dass es nicht um einen Krieg gegen die Hamas gehe. "Es geht um einen Krieg gegen die Idee einer palästinensischen Nation und unsere Existenz."
Ein israelischer Soldat habe zum Beispiel gefilmt, wie er Gebäude nördlich von Gaza-Stadt in die Luft sprengte. Danach habe er geschrien: "Damit sie keinen Ort mehr haben, an den sie zurückkehren können."
Am 7. Oktober hatten die Hamas und der Islamische Dschihad schwere Terrorangriffe gegen Israel verübt. 1.200 Menschen wurden ermordet, Hunderte in den Gazastreifen entführt. Der israelische Journalist Emanuel Fabian ist Militärkorrespondent bei der Zeitung "Times of Israel". Mit Blick auf den 7. Oktober sei das ein sehr emotionaler Krieg, sagt Fabian. Manche Soldaten könnten definitiv Rachegefühle haben. Das sei aber problematisch.
Er selbst war seit Kriegsbeginn mehrfach mit israelischen Truppen im Gazastreifen unterwegs. Wehrpflichtige, berichtet Fabian, müssten meist ihre Handys abgeben. Bei Reservisten sei die Armee weniger streng. Vor dem Krieg habe die israelische Armee Soldaten, die Videos veröffentlichten, durchaus bestraft. Jetzt aber sei die Armee viel zu sehr auf die Kämpfe fokussiert, weniger auf Disziplin. Außerdem brauche die Armee viele dieser Soldaten und könne sie nicht massenhaft bestrafen.
Erniedrigende Fotos als Botschaft an die Hamas?
Doch es scheint auch Kommandeure zu geben, die einen Teil der Videos gutheißen. Im Dezember erschienen Fotos und Videos von gefesselten Palästinensern im Norden des Gazastreifens. Sie trugen nur noch ihre Unterhosen und hatten verbundene Augen.
Der Militärkorrespondent Fabian vermutet, dass die Videos von Kommandeuren eines mittleren Rangs veröffentlicht wurden. Die wollten eine Botschaft an die Hamas aussenden: "Schaut, wir haben Eure Männer gefangen. In einer erniedrigenden Art und Weise." In vielen Fällen, sagt Fabian, waren die Männer aber gar keine Kämpfer der Hamas oder anderer Terrorgruppen.
Rechtsextreme Teile der Regierung stacheln an
Nur wenige israelische Journalisten, ehemalige Soldaten und Wissenschaftler wollen sich auf ARD-Anfrage zu den Videos äußern. In Kriegszeiten gibt es die Sorge, den Soldaten im Gazastreifen mit Kritik in den Rücken zu fallen. Jair Golan war bereit, ein Interview zu geben. Er war früher der stellvertretende Generalstabschef der israelischen Armee. Heute ist er Politiker und die Hoffnung der israelischen politischen Linken, die am Boden liegt. Golan sagt, er verstehe, warum kaum jemand kritisch über die Videos der Soldaten sprechen will. Schließlich seien das Krisenzeiten. Aber: "Wenn wir mit dieser Krise, die anhält, besser umgehen wollen, müssen wir unserem moralischen Kompass neu ausrichten", sagt er.
Er schäme sich für die Videos. Die Auswirkungen auf Israels Reputation seien schrecklich. Golan ist überzeugt, dass sich nur eine kleine Minderheit der Soldaten im Gazastreifen unmoralisch verhält. Diese Minderheit, so sieht es Golan, werde aber angestachelt von Israels teilweise rechtsextremer Regierung: "Nehmen wir an, ein Soldat hat ein extremes Gedankengut. Wenn es eine klare Ansage gibt, dass sein Verhalten nicht akzeptiert ist, wird er sich an die Regeln der Armee halten."
Doch von den extremen Teilen der Gesellschaft bekämen diese Soldaten aktuell Unterstützung. "Und dann denkt dieser Soldat, es ist in Ordnung, in den Krieg zu ziehen, um sich zu rächen."
Militär spricht von Einzelfällen
In einer Stellungnahme schreibt die israelische Armee, bei den Videos handele es sich um Einzelfälle, die von Befehlen und den Werten der israelischen Armee abwichen. In mehreren Fällen seien Reservisten vom Armeedienst suspendiert worden.
"Die israelische Armee prüft solche Vorfälle und reagiert darauf mit Befehls- und Disziplinarmaßnahmen", heißt es von der Armee. "Wenn es einen Verdacht gibt, dass es Straftaten gab, ermittelt die Militärpolizei."
Der palästinensische Journalist Younis Tirawi glaubt nicht, dass es sich bei den Videos um Einzelfälle handelt. Und er zweifelt daran, dass es die Armee ernst meint: In den vergangenen Wochen seien noch mehr Videos gepostet worden als in den Monaten zuvor.