Nach Freitagsgebeten Syrien feiert Neuanfang nach Assad
In Syrien haben Zehntausende den Sturz des Assad-Regimes gefeiert. Sie versammelten sich auf großen Plätzen im ganzen Land, jubelten und schwenkten Fahnen. Die Versorgungslage im Land bleibt aber schlecht. Hilfe kommt aus der EU.
Nach dem Sturz der alten Regierung haben Menschen in ganz Syrien einen Neubeginn gefeiert. Allein an der Umajaden-Moschee in der Hauptstadt Damaskus versammelten sich nach dem Freitagsgebet Zehntausende Landesbewohner, wie Augenzeugen berichteten.
Laut dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira strömten Syrerinnen und Syrer aus vielen Landesteilen für die Feierlichkeiten in die Hauptstadt. "Erhebt eure Köpfe, ihr seid jetzt freie Syrer", skandierte die Menge, wie auf TV-Bildern zu sehen war. Teilnehmer der Versammlung äußerten die Hoffnung auf Frieden und Freiheit in Syrien. Der 51-jährige Chaled Abu Chahine aus der Provinz Daraa im Süden sagte, er wünsche sich eine friedlich Koexistenz zwischen allen Syrern, Alawiten, Sunniten, Schiiten und Drusen. "Nein zum Rassismus."
Zehntausende Syrer feiern vor der Umajaden-Moschee in der Hauptstadt Damaskus.
Menschen im ganzen Land versammelten sich für die Feiern an größeren Plätzen in den Städten. Sie riefen demnach unter anderem "Gott segne das freie Syrien". Eine derartig große Versammlung ist ein ungewohnter Anblick in der syrischen Hauptstadt. Viele Menschen schwenkten die Fahne mit drei Sternen der syrischen Demokratiebewegung von 2011, die nun von der Übergangsregierung übernommen wurde.
Auch jahrelang getrennte Familien feierten ihr Wiedersehen. "Das erste Mal seit 13 Jahren habe ich meine Schwester wiedergetroffen", sagt eine Frau. "Gestern habe ich mich mit meinem Bruder getroffen. Unsere Familie und Geschwister sehen sich jetzt wieder. Wir sind sehr glücklich."
Auch in Aleppo, der zweitgrößten syrischen Stadt, kamen Tausende Menschen zu Freudenfeiern zusammen. Auf dem Hauptplatz der schwer vom Bürgerkrieg gezeichneten Stadt wurde ein großes Plakat mit den Gesichtern des gestürzten Assad und seines Vaters und Vorgängers Hafis al-Assad in Brand gesetzt. Im südsyrischen Suweida, einer von vielen Drusen bewohnten Stadt, sangen und klatschten Hunderte Menschen auf den Straßen.
Rebellenanführer ruft zu friedlichen Feiern auf
Der Anführer der Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), Ahmed al-Scharaa, zuvor bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani, hatte die Menschen zuvor zum friedvollen Feiern auf großen öffentlichen Plätzen aufgerufen. "Ich möchte das große syrische Volk zum Sieg der gesegneten Revolution beglückwünschen. Geht auf die Plätze und feiert - ohne Kugeln abzufeuern und die Menschen zu terrorisieren. Dann lasst uns mit dem Aufbau dieses Landes fortfahren, so Scharaa.
Syrer beten in der Umajaden-Moschee in Damaskus.
Es war das erste Freitagsgebet nach dem Sturz des Präsidenten Assad. Eine von HTS angeführte Rebellenallianz hatte am Sonntag den seit 24 Jahren autoritär regierenden Machthaber Baschar al-Assad gestürzt. Assad floh nach Russland, wo ihm Asyl gewährt wurde.
EU startet Luftbrücke für Syrien
Die Lage für viele Bürgerinnen und Bürger ist nach den langen Bürgerkrieg verheerend. Es mangelt an Lebensmitteln und Medikamenten im ganzen Land. Die Europäische Kommission kündigte deshalb an, eine humanitäre Luftbrücke mit medizinischer Notversorgung und anderen lebenswichtigen Gütern für die Menschen in Syrien starten zu wollen. Mit von der EU finanzierten Hilfsflügen sollen insgesamt 50 Tonnen medizinischer Hilfsgüter aus EU-Lagerbeständen in Dubai nach Adana in der Türkei gebracht werden. In den kommenden Tagen würden diese über die Grenze verteilt werden.
Außerdem sollen 46 Tonnen an Gesundheits- und Bildungsgütern sowie Unterkünften aus einem anderen EU-Lager in Dänemark per Lastwagen nach Adana transportiert. Dort sollen sie an das UN-Kinderhilfswerk UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation zur Verteilung in Syrien übergeben werden. Die humanitäre Hilfe für Syrien im Jahr 2024 beläuft sich nach Angaben der Behörde damit auf insgesamt 163 Millionen Euro.
Ein Großteil der Menschen lebt nach UN-Angaben in Armut und ist auf internationale Hilfe angewiesen. Seit dem Sturz von Assad sind die Lebensmittelprise kräftig gestiegen. Auch, weil viele Grenzübergänge geschlossen sind, Hilfslieferungen nicht mehr durchkommen. Der Leiter des Welternährungsprogramms in Syrien, Kenn Crossley, berichtet von Plünderungen in den Lagern der Hilfsorganisation. Das größte Problem sei aber, dass immer mehr Menschen Hilfe brauchen.
Von der Leyen: "Wandel birgt auch Risiken"
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sprach von neuer Hoffnung für das syrische Volk durch den Sturz des Assad-Regimes. "Aber dieser Moment des Wandels birgt auch Risiken und bringt Not mit sich", sagte sie in einer Mitteilung. "Angesichts der instabilen Lage vor Ort ist unsere Hilfe für die Menschen in Syrien umso wichtiger." Sie wolle dies auch bei ihrem Treffen mit dem türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Dienstag weiter erörtern.
Die Türkei wird nach dem Machtwechsel in Syrien als einflussreichster ausländischer Akteur gehandelt. "Ankara verfügt über die stärksten Kommunikationskanäle und arbeitet seit langem mit der islamistischen Gruppe zusammen, die derzeit in Damaskus das Sagen hat", schrieb die Analystin Gönül Tol in einem Beitrag für Foreign Affairs mit Blick auf die HTS.
Israel setzt Angriffe auf Militäreinrichtungen fort
Während die Menschen in Syrien den Sturz des Assad-Regimes feiern, setzt Israel seine Luftangriffe auf militärische Einrichtungen im Land fort. In der Nacht zu Freitag habe es erneut Luftangriffe gegeben. Dabei seien unter anderem Waffenlager und Forschungszentren in der ländlichen Umgebung von Homs und Hama getroffen worden, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Zudem sollen israelische Soldaten den Winter über auf der syrischen Seite des Berges Hermon stationiert bleiben. Verteidigungsminister Israel Katz habe die Armee angewiesen, den Verbleib auf dem Gipfel für die kommenden Monate vorzubereiten, teilte sein Büro mit. Der strategisch bedeutende Standort ermöglicht die Überwachung großer Teile Syriens und Libanons und sei angesichts der Entwicklungen in Syrien von besonderer Relevanz.
Israels Armee hatte nach dem Umsturz in Syrien Truppen in eine sogenannte Pufferzone verlegt - ein geografisches Gebiet, das gemäß dem Waffenstillstandsabkommen von 1974 zwischen den von Israel besetzten Golanhöhen und Syrien liegt und unter UN-Überwachung steht. Laut Ministerpräsident Benjamin Netanjahu handelt es sich um eine vorübergehende Maßnahme. Das Vordringen auf syrisches Gebiet stößt international auf Kritik.
Mit Informationen von Nina Amin, ARD-Kairo