Thailands Fischerei Zurück zur Sklaverei auf See?
Thailands Regierung will Vorschriften für die Fischerei lockern. Das freut die Industrie, löst aber bei kleinen Fischern und Menschenrechtsaktivisten große Sorgen aus. Kommt es wieder zu sklavenähnlichen Zuständen an Bord?
Zum Sonnenaufgang raus auf den Golf von Thailand - das ist seit seinem achten Lebensjahr das Leben von Kittidet Thedyaem. Von der Arbeit auf einem Kutter könne er heute gut leben. Doch nun will Thailand die Fischerei-Gesetze ändern.
Großen Fangflotten würde das Vorteile verschaffen. Kleine Fischer wie Kittidet haben Angst um ihre Existenz. Er befürchtet: "Die Regierung will die Fanggebiete für kleine Boote wie unseres beschränken, damit die großen Schiffe mehr fischen können. Ich finde das unfair. Ich verstehe nicht, wem sie damit helfen wollen. Uns jedenfalls nicht. Nur den Geschäftsleuten."
"Gelbe Karte" mit Wirkung
Dass es ihm in den vergangenen Jahren wirtschaftlich gut ging, liegt nach seinem Eindruck auch an der EU. Die hatte wegen der Zustände in der Fischerei Thailand 2014 mit einer "gelben Karte" und Importstopps gedroht. Das wirkte.
Die damalige thailändische Militärregierung erließ daraufhin Reformen zur Bekämpfung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei, die international mit dem Kürzel IUU bezeichnet wird.
Zu den Maßnahmen gehörten Verbote von Transfers von Meeresfrüchten und Besatzungsmitgliedern auf See oder von zerstörerischen Fischereigeräten wie Schleppnetzen, sowie die Einführung von Technologien zur Überwachung von Schiffen.
Seitdem sind weniger Schleppnetze im Einsatz und die Kontrollen über Fanggebiete besser. Die Fischbestände haben sich erholt. Weil Thailands Meere begannen, sich langsam zu erholen, hob die EU 2019 die Drohung mit der "gelben Karte" auf.
Die wirtschaftliche Not in den Nachbarländern Kambodscha und Myanmar ist groß. Deshalb versuchen viele Migranten, ihren Lebensunterhalt in Thailands Fischereiwirtschaft zu verdienen.
Die Industrie drängt auf Änderungen
Acht Jahre nach den Reformen zur Bekämpfung der illegalen Fischerei diskutiert die thailändische Regierung nun über Lockerungen der Fischereigesetze. Das soll die Gewinne der Fischerei-Industrie steigern.
Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem vor, die Strafen für schädliche Fischereipraktiken und für den Fang geschützter Meerestiere zu verringern.
Mongkol Sukcharoenkana, ist Präsident des Nationalen Fischereiverbands von Thailand (NFAT) und einer der einflussreichsten Lobbyisten der thailändischen Industriefischerei. Er befürwortet die geplanten Änderungen des Gesetzes,: Man könne mit den derzeitigen Vorschriften einfach nicht wirtschaftlich arbeiten.
Er will die aktuellen Vorschriften wieder lockern, trotz der Bedenken in Europa.
"Das ist uns ziemlich egal"
Doch was, wenn die EU gegenüber Thailand wieder mit einem Importstopp droht? Der NFAT-Präsident gibt sich gegenüber der ARD gelassen: "Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Thailand exportiert doch kaum noch etwas in die EU. Europa ist kein großer Markt, ist nicht mehr so wichtig für uns. Ihr könnt uns sogar eine rote Karte zeigen. Das ist uns ziemlich egal."
Tatsächlich sind die Fisch-Exporte aus Thailand nach Europa stark gesunken. Heute betragen sie nur noch ein Drittel der Menge von vor neun Jahren. Der Großteil der Importe geht nach Japan und in die USA.
"Sklaverei auf See" befürchtet
Viel zu melden hat die EU aus thailändischer Sicht nicht mehr - auch nicht bei der "Sklaverei auf See", wie es Menschenrechtsorganisationen nennen. Die Besatzungen der Schiffe sind oft Migranten aus dem Nachbarland Myanmar. Die EU wollte damals verhindern, dass sie ausgebeutet und misshandelt werden.
Doch nun sollen Strafen für solche Arbeitsrechts-Verstöße wieder geringer ausfallen.
Patima Tungpuchayakul, Mitbegründerin der Organisation "Labour Protection Network", die sich für die Rechte von Schiffsarbeitern in Thailand einsetzt, befürchtet:
"Sollten die Vorschriften wieder gelockert werden, leiden darunter vor allem die Besatzungen. Manche Menschen werden auf offener See von einem Schiff zum anderen quasi verkauft, unter unwürdigen Bedingungen. Manche kommen monatelang nicht an Land und werden ausgebeutet."
Bis 2016 herrschten auf großen Fischtrawlern in Thailand international scharf kritisierte Zustände. Seither sind die Arbeitsbedingungen besser geworden.
Gefesselt, ausgebeutet
Die Menschenrechtsaktivistin kümmert sich in Bangkok um Betroffene wie San Kyaw Hlaing. Er kam vor einem Jahr aus Myanmar, suchte ein besseres Auskommen an Bord eines thailändischen Fischkutters. Doch er wurde schlecht bezahlt und misshandelt.
Seine Arbeitgeber fesselten ihn an Bord. Das führte zu Wunden, die sich entzündeten. Ärzte mussten seinen Arm amputieren. Er erinnert sich an die schlimmste Zeit seines Lebens:
"Ich musste von morgens um 4 Uhr an arbeiten. Netze auswerfen, einholen, Fisch sortieren, bis Sonnenuntergang und noch länger. Bis wir schlafen durften. Aber irgendwann konnte ich noch nicht mal mehr einschlafen. Ich bin verrückt geworden, ich wollte nur noch weg."
Der Fischereiverband weist verweist angesichts der Kritik darauf, dass der Arbeitsschutz von separaten Gesetzen geregelt werde und nicht unter die vom NFAT gewünschten Änderungen der Fischerei-Richtlinien falle. "Die von uns vorgeschlagene Gesetzesänderung hat keine Auswirkungen auf die Besatzungsmitglieder, da es andere Gesetze gibt, die dieses Problem regeln", so der NFAT-Präsident. Außerdem wolle man das Fischereigesetz auch nicht komplett rückgängig machen, sondern lediglich Änderungen vornehmen, die in der Praxis Probleme gemacht hätten.
Eindeutige Haltung im Parlament
Angesichts des aktuellen Gesetzentwurfs drängt die EU auf die Einhaltung der Fischereistandards und warnt vor Rückschritten. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte der Zeitung "The Telegraph", die Kommission sei sehr besorgt über den thailändischen Gesetzesvorschlag. Die Kommission werde nicht zögern, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, falls Thailand bei der Bekämpfung der IUU-Fischerei nicht kooperiert.
Doch das Gesetz ist auf dem Weg. Im Februar stimmte das thailändische Parlament in einer ersten Lesung einstimmig mit 416:0 für eine Lockerung der Vorschriften.
Die neue Regierung unter der Leitung von Premierminister Srettha Thaivisin versprach dabei, die Rentabilität der Fischereiindustrie des Landes zu verbessern.
Die politischen Parteien Thailands nutzten das Thema als Taktik, um Stimmen zu gewinnen, denn die kommerzielle Fischerei ist als Wählerbasis stimmgewaltig.
Sogar die progressive Move Forward Party, die sich selbst als umweltbewusst bezeichnet, hat sich von ihrem Einsatz für nachhaltige Fischerei verabschiedet - nach Einschätzung vomn Politikwissenschaftlern, um die Wahl in den von der Fischereiindustrie dominierten Provinzen zu gewinnen.
Vor der Verabschiedung muss der Entwurf noch weitere Lesungen durchlaufen, eine Entscheidung ist nicht vor Ende 2024 zu erwarten.