Timor-Lestes Präsident Ramos-Horta Keine Feinde, nur Freunde
Das kleine zwischen Indonesien und Australien gelegene Timor-Leste erlangte erst vor 22 Jahren die Unabhängigkeit. Heute ist es so frei wie kein anderes Land Südostasiens - aber wirtschaftlich muss es noch immer auf die Beine kommen.
Der Präsident von Timor-Leste mischt sich gerne unters Volk. Auf dem Nachtmarkt in der Hauptstadt Dili sitzt José Ramos-Horta auf einem weißen Plastikstuhl vor einer Straßenküche, umringt von Kindern. Sie wollen dem 74-Jährigen ihre bunten Ballons verkaufen.
Er gibt stattdessen einer Frau, die Saté-Spieße und Reis verkauft, einen 100-Dollar-Schein. Dafür soll sie den Kindern etwas zu Essen machen. Ein Mädchen setzt sich neben den Präsidenten an den Tisch auf einen der Plastikstühle. "Sie sieht jung aus für ihr Alter. Das ist das Problem mit der Unterernährung. Die Kinder sind oft klein für ihr Alter."
Timor-Leste liegt großteils auf der Ostseite der Insel Timor zwischen Indonesien und Australien.
Junges, armes Land
Timor-Leste ist einer der jüngsten Staaten der Welt. Das kleine, im äußersten Süden Südostasiens und direkt nördlich von Australien gelegene Land ist erst seit dem 20. Mai 2002 offiziell von Indonesien unabhängig.
Mehr als 20 Jahre später leben die Menschen zwar in Frieden, aber die Wirtschaft läuft noch nicht rund. Obwohl das Land reich an Öl ist, lebt rund die Hälfte der Menschen in Armut. Viele Kinder hungern.
Das hat mehrere Gründe. Kurz nach der Unabhängigkeit wurde dem Land von der Weltbank ein strenger Sparkurs verordnet. Später wurde das Geld nicht immer optimal für die Entwicklung des Landes genutzt.
"Die Regierung verlässt sich auf den Erdölfonds, der etwa 80 Prozent der Finanzen der Regierung ausmacht", erklärt Hélder Lopes, Chef der Zentralbank. Timor-Leste legt die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft seit 2005 in einem Staatsfonds an. Es ist eine geschickte Investition, mit der das Land den Großteil seiner Ausgaben finanziert. Derzeit hat der Öl-Fonds ein Volumen von knapp 19 Milliarden US-Dollar.
Hélder Lopes, Chef der Zentralbank von Timor-Leste, sagt, etwa 80 Prozent der Regierungsfinanzen stammten aus einem staatlichen Öl- und Gasfonds.
Widerstand gegen indonesische Unterdrückung
Präsident Ramos-Horta trägt beim Besuch des Nachtmarkts legere Freizeit-Kleidung und eine Schirmmütze mit Flaggen-Pins von Staatsbesuchen. Menschen wollen Selfies mit ihm machen oder führen seine Hand mit einer Verbeugung zu ihrer Stirn, als Zeichen des Respekts. Ramos-Horta war eines der prominentesten Gesichter im Unabhängigkeitskampf seines Landes, das von 1975 bis 1999 von Indonesien besetzt war.
Seit dem 16. Jahrhundert war der Osten der Insel Timor eine portugiesische Kolonie. Noch immer ist Portugiesisch eine der beiden Amtssprachen, fast alle Menschen sind Katholiken. Als sie Mitte der 1970er-Jahre ihre Unabhängigkeit bekommen sollten, marschierte der große Nachbar Indonesien ein.
Schätzungsweise 200.000 Timoresen kamen in dieser Zeit ums Leben - ein Drittel der damaligen Bevölkerung. Ramos-Horta verlor über die Jahre vier seiner elf Geschwister. Er trotzte Verfolgung und Exil, lobbyierte bei den Vereinten Nationen, im Weißen Haus, bei internationalen Organisationen - machte aus dem Ausland auf die Lage in Timor-Leste aufmerksam.
Für seinen gewaltlosen Widerstand gegen die Unterdrückung erhielt er 1996 den Friedensnobelpreis. Er war der erste Außenminister des unabhängigen Timor-Lestes, für eine Übergangszeit Premierminister und ist jetzt zum zweiten Mal Staatspräsident des Landes.
Massives Handelsdefizit
Timor-Leste hat heute rund 1,4 Millionen Einwohner und die jüngste Bevölkerung Südostasiens. Jeder zweite ist jünger als 25. Es gibt zu wenig Jobs für die vielen jungen Menschen. Viele zieht es daher ins Ausland zum Arbeiten. Das Geld, das sie in ihre Heimat zurückschicken, ist nach Öl inzwischen die zweitwichtigste Einnahmequelle des Landes.
Timor-Leste hat ein massives Handelsbilanz-Defizit, das heißt die meisten Güter des täglichen Lebens werden importiert. Nur sehr wenig wird im Land selbst hergestellt. Nach Öl ist Kaffee der zweitwichtigste Rohstoff des Landes. Doch die Erträge werden jedes Jahr geringer.
Für bessere Erträge müssten die Kaffeebauern neue Bäume pflanzen, aber das kostet viel Geld. Die Bäume wurden während der Kolonialzeit unter den Portugiesen gepflanzt und sind teils 200 Jahre alt.
China als wichtiger Partner
Ein wichtiger Partner des südostasiatischen Landes ist China. Chinesen betreiben zahlreiche Geschäfte und Unternehmen im Land, bringen Jobs, langfristige Investitionen. Wie eng Timor-Leste mit China zusammenarbeitet, wird von den USA, Australien und einigen europäischen Staaten kritisch beobachtet.
Sie sorgen sich vor einem zu großen geopolitischen Einfluss Chinas. Ramos-Horta sieht da keine Probleme, betont die gute Partnerschaft. China habe etwa beim Aufbau der Infrastruktur geholfen, mit dem Gesundheitssystem und in der Landwirtschaft.
Das Prinzip von Timor-Lestes Außenpolitik: keine Feinde, nur Freunde. Ein wichtiges Ziel des kleinen Landes ist es, Mitglied von ASEAN zu werden, dem Verband Südostasiatischer Nationen - idealerweise schon im kommenden Jahr. Doch einige ASEAN-Mitglieder bezweifeln, dass Timor-Leste schon bereit für eine Mitgliedschaft ist.
Die Wirtschaft ist weniger entwickelt als die der meisten anderen ASEAN-Staaten. Es fehle an Infrastruktur und einer Verwaltung, um alle Anforderungen und Standards von ASEAN zu erfüllen.
In den ASEAN-Ländern leben mehr als eine halbe Milliarde Menschen auf einem Gebiet halb so groß wie die USA. ASEAN wurde 1967 gegründet und verfolgt gemeinsame Ziele wie Frieden, Sicherheit und wirtschaftlichen Wachstum in der Region. Die Mitgliedsstaaten bemühen sich verstärkt um wirtschaftliche Zusammenarbeit, politisch sind sie aber unabhängig voneinander.
Einzige freie Staat in Südostasien
Der Staat ist noch jung, am Lernen. Und gleichzeitig ist Timor-Leste laut Freedom House Index der einzige Staat in Südostasien der sich "frei" nennen darf. Demokratie, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und die Freiheit der Presse werden hochgehalten und verteidigt. Das liegt auch an der Vergangenheit, an 24 Jahren Unterdrückung durch Indonesien.
1999 fand in Timor-Leste ein Referendum statt. Knapp 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger stimmten für die Unabhängigkeit von Indonesien. Als das Ergebnis bekannt wurde, zogen pro-indonesische Milizen mordend und plündernd durchs Land. Tausende Timoresen wurden in wenigen Tagen getötet. Am Ende waren fast 70 Prozent der Infrastruktur des Landes zerstört.
Erst als Ende 1999 eine von den Vereinten Nationen beauftragte multinationale Schutztruppe landete, konnte die Gewalt eingedämmt werden. Es war der Beginn von nun mehr als 20 Jahren Frieden.
Die schwierige Beziehung zu Indonesien
Heute ist Indonesien nicht mehr Feind, sondern Freund. Eine Kommission hat die Ereignisse und Menschenrechtsverletzungen im Auftrag beider Länder untersucht. 2008 entschuldigte sich Indonesien offiziell für die Besetzung und begangene Gräueltaten.
Ein ehemaliger General, dem während der indonesischen Besatzungszeit Menschenrechtsverletzungen und Morde in Timor-Leste vorgeworfen werden, ist gerade zum neuen Präsidenten von Indonesien gewählt worden.
Ramos-Horta hat bereits mit ihm telefoniert. Die Vergangenheit scheint vergessen. "Wir werden weiter sehr gut zusammenarbeiten", sagt er. "Ich habe mit dem gewählten Präsidenten Prabowo sehr freundlich gesprochen. Er hat viele Freunde in Timor-Leste, viele, die ihn mögen."
Hört man sich auf den Straßen in Timor-Leste um, sehen das viele anders. Doch auf Regierungsebene ist man auf Harmonie aus, betont das Gemeinsame. Der designierte indonesische Präsident Prabowo Subianto betont in einer Rede auf einer Sicherheitskonferenz ebenfalls, wie gut er sich heute mit dem Präsidenten von Timor-Leste verstehe.
"Ich war viele Jahre in den Konflikt in Timor-Leste involviert. Und heute: Können Sie sich vorstellen, dass ich am gleichen Tisch sitze wie Präsident Ramos-Horta? Er hat mich sogar nach Timor-Leste eingeladen", sagt Prabowo.
Wirtschaftlich breiter aufstellen
Timor-Leste muss nach dem langen Kampf für die Freiheit wirtschaftlich auf die Beine kommen und sich breiter aufstellen. Die Haupteinnahmequelle Öl ist endlich. Manche Prognosen sprechen noch von Fördermengen für zehn Jahre. Timor-Leste will seine Infrastruktur ausbauen, um attraktiver für Investoren zu werden, will eine bessere Bildung, ein besseres Gesundheitssystem, mehr Tourismus.
Derzeit besuchen jährlich nur knapp 80.000 Menschen das Land. Die meisten davon beruflich, nur wenige zu touristischen Zwecken. Dabei hat Timor-Leste viel Potenzial als Urlaubsziel, findet Antony Crean, der Whalewatching-Touren anbietet. Im November ziehen Wale mit ihren Kälbern an der Küste entlang. Die Biodiversität unter Wasser ist enorm, verschont von Touristen-Massen.
Doch es gibt Hürden für mehr Tourismus: Es gibt nur wenige Flüge und Hotels, die zudem teuer sind. Im benachbarten Indonesien bekommen Urlauber derzeit mehr für ihr Geld. Doch Dili will moderner und attraktiver für Touristen werden.
Fährt man durch die Stadt, sieht man noch viele Büros internationaler Hilfsorganisationen. Zentralbank-Chef Lopes sagt, die Hilfsgelder internationaler Partner seien lange nützlich gewesen, aber das Land müsse sich weiterentwickeln, mehr private Investoren anziehen.
Seine Beobachtung: Fördergelder sind projektbezogen. Wenn ein Projekt beendet ist, fließt kein Geld mehr und mögliche Erfolge verschwinden nach kurzer Zeit. "Wir wollen auch nicht, dass unsere Leute so erzogen werden, dass sie sagen, okay, alles ist kostenlos." Denn dann, meint Lopes, werde man faul.