Wahlen in Indien Modis Erfolge und ungelöste Probleme
Indien wählt ein neues Parlament, und Premierminister Modi wirbt mit wirtschaftlichen und sozialen Erfolgen. Seine Gegner kritisieren, die Armut sei unter Modi noch gewachsen. Und sie fragen nach dem Zustand der indischen Demokratie.
Narendra Modi ist überall: Der seit zehn Jahren amtierende Premierminister Indiens lächelt gutmütig von Plakaten, läuft in den Hunderten Fernsehsendern des Landes und sogar als Werbung in der App, die in der chronisch versmogten Hauptstadt Neu-Delhi die Luftqualität anzeigt.
Modi tritt bei der Mega-Wahl, die über sechs Wochen lang in mehreren Etappen stattfinden wird, mit seiner hindunationalistischen Partei BJP an. In den 1980er-Jahren habe die BJP mit gerade einmal zwei von 543 Sitzen im Parlament begonnen, erzählt Shazia Ilmi, Sprecherin der BJP-Partei stolz.
Damals habe Indien weder sauberes Trinkwasser noch eine Sanitärversorgung gehabt. Heute stellt die BJP mit über 300 Sitzen die absolute Mehrheit. Es sei sehr viel getan worden, sagt Ilmi und zählt auf: bei der Wasserversorgung, beim Wohnen, mit Gas-Subventionen oder dem weltweit größten Ernährungsprogramm für arme Menschen.
Erfolg nur auf den ersten Blick?
Tatsächlich zeichnen die Zahlen auf den ersten Blick ein Bild des Aufschwungs im Land mit seinen über 1,4 Milliarden Einwohnern. Laut dem Internationalen Währungsfonds soll die indische Wirtschaft in diesem Jahr um 6,8 Prozent wachsen und gilt damit als die am stärksten wachsende Wirtschaft der Welt.
Nicht nur deshalb wird Indien auf der globalen Bühne als Handelspartner hofiert. Sondern auch, weil Länder wie Deutschland sich damit eine Alternative zur Großmacht China erhoffen.
Doch es braucht nur einen Blick auf die Straßen Neu-Delhis oder in die Hinterhöfe der Megacity, um zu sehen, dass der wirtschaftliche Aufschwung längst nicht alle erreicht. Denn zur Wahrheit gehört auch: Die Ärmsten der Armen bekommen von dem Aufschwung kaum etwas mit. Die Schere zwischen Arm und Reich ist unter Modi sogar noch größer geworden.
Korruption, Inflation und Arbeitslosigkeit
Viele Studenten, wie die 20-jährige Manya, blicken deshalb kritisch auf ihre Regierung. Sie gehört zu den gut 200 Millionen Wählerinnen und Wählern unter 30. Korruption, Inflation und Arbeitslosigkeit seien die Themen, die sie bei dieser Wahl beschäftigten, sagt die Studentin. "Und ich glaube nicht, dass die Regierung irgendwas dagegen unternimmt."
Es ist ein Problem, das selbst die Regierungspartei BJP in ihrem Interview mit der ARD anspricht. Bei der Arbeitslosigkeit müsse noch viel mehr getan werden, räumt BJP-Sprecherin Ilmi ein. Aber Indien sei eben ein großes Land und niemand habe einen Zauberstab. Aber wenn einer diese Probleme lösen könne, dann ihre Partei.
Aggression gegenüber Moslems
Neben der Wirtschaft sind die Rechte religiöser Minderheiten ein großes Thema. Modis Partei propagiert Indien als ein hinduistisches Land. Tatsächlich aber leben in Indien mehr als 200 Millionen Muslime. Hinzu kommen Christen, Sikhs und Menschen mit anderen Religionen.
Menschenrechtler warnen, dass die Rechte religiöser Minderheiten seit Jahren Schritt für Schritt ausgehöhlt würden. Es wurden Moscheen zerstört, hinduistische Fanatiker zogen durch muslimische Viertel, und bei Ausschreitungen im vergangenen Jahr starben Dutzende, vor allem muslimische Inder. Die Täter bleiben oft auf freiem Fuß und scheinen sich vor Strafen kaum zu fürchten.
Eine schwache Opposition
Zur Wahl steht neben Modi auch Rahul Gandhi, das Gesicht der größten oppositionellen Kraft, der Kongresspartei. Es ist eine Partei, die mit der Politdynastie der Gandhis fest verbunden ist. Doch sie wirkt im Wahlkampf schlecht organisiert und schwach.
Selbst Sprecher der Oppositionspartei bestreiten das nicht. Die BJP habe einen enormen Zugriff auf Geld, meint Praveen Chakroborty. "Und wir müssen auch zugeben, dass sie organisatorisch viel stärker als die Kongresspartei ist." Wirklich Konkurrenz machen Modi vor allem Politiker regionaler Parteien, die Lokalregierungen leiten.
Seit gut einem Jahr häufen sich Fälle von oppositionellen Politikern, die wegen angeblicher Korruptionsvorwürfe angeklagt werden. Erst vergangenen Monat wurde der Regierungschef Delhis festgenommen. Er ist ein bekannter Kritiker der Modi-Regierung und Mitglied einer Oppositionspartei.
"Eine echte Gewaltenteilung gibt es nicht"
Auch Journalisten sehen sich seit Jahren zunehmend unter Druck. Einer der wenigen Journalisten, die noch kritisch berichten und sich trauen, vor der Kamera zu sprechen, ist Harthosh Singh vom Magazin "Caravan".
Staatliche Behörden seien zum verlängerten Arm der Regierung geworden, warnt er. Wenn unliebsame Politiker wegen angeblicher Korruption festgenommen würden, kämen sie wieder auf freien Fuß, sobald sie der regierenden BJP beigetreten seien.
Und so sehe das, was jetzt in Indien passiert, zwar wie eine Demokratie aus, mit Millionen Menschen, die wählen dürfen. Eine echte Gewaltenteilung, wie in einer Demokratie notwendig, gebe es aber nicht. Staatliche Behörden seien zu Handlangern der Regierung geworden. "Es ist nicht so, dass hier alle sofort hinter Gitter kommen", warnt Singh.
Prinzipien wie die Gewaltenteilung und die gegenseitige Kontrolle demokratischer Institutionen seien auf viel ausgeklügeltere Weise ausgehöhlt worden. Auch deshalb sei der tatsächliche Zustand der indischen Demokratie so schwierig für die Welt zu sehen.