EU-Urteil zu Impfstoff-Verträgen "Die Not war damals groß"
Von Freude oder Genugtuung über das Urteil gegen die EU-Kommission bei der Impfstoffbeschaffung ist in Brüssel wenig zu spüren: Selbst Transparenzverfechter finden das forsche Vorgehen von 2021 nachvollziehbar.
Froh sind die Brüsseler Spitzen nicht über das, was aus Luxemburg kommt - ob es ganz überraschend ist, bleibt unklar. Die EU-Mühlen der Justiz mahlen in der Regel so langsam, dass "viele schon gar nicht mehr damit gerechnet haben, dass da noch was vor der Wahl kommt", argwöhnt ein EU-Parlamentarier. Einige mögen den Fall auch längst vergessen oder verdrängt haben.
Dem Sprecher der EU-Kommission ist anzumerken, dass dieses Urteil nicht gerade zur passenden Zeit fällt - weil es ein Thema berührt, bei dem sich die EU-Behörde nach wie vor im Recht fühlt: Im Grunde seien nur wenige Punkte kritisiert worden, nämlich wenn es um die Schwärzung von Dokumenten gegangen sei, rechtfertigte ein EU-Sprecher das aus seiner Sicht im Großen und Ganzen richtige Vorgehen Brüssels zu den Corona-Hochzeiten im Frühjahr 2021.
Geklagt hatten fünf Grüne
Die EU sei an ausreichend Impfstoff gekommen, daran sei nichts bemängelt worden. Alles andere werde jetzt genau geprüft, bis hin zur Option, den Richterspruch vor dem Europäischen Gerichtshof anzufechten - was dann aber Aufgabe der kommenden EU-Kommissionsspitze wäre.
Um die bewirbt sich Ursula von der Leyen. Die Wahl, für die sie 361 der 720 Parlamentarierstimmen braucht, findet morgen statt. Das Urteil dürfte sie nach Ansicht vieler Abgeordneter zwar nicht zusätzlich unter Druck setzen, der angesichts knapper Mehrheitsverhältnisse ohnehin groß ist. Aber auch bei jenen, die viel getan haben, damit es erst zur Klage gekommen ist, ist nicht gerade größte Freude zu spüren - zumal auch viele Grüne von der Leyen nicht schaden wollen, sondern sie sogar mitwählen, wenn sie sich von den rechten Kräften fernhält. Deshalb ist von Freude oder demonstrativer Genugtuung auch nichts zu spüren. Es überwiegt die Überraschung über den Zeitpunkt.
Fünf Grüne hatten die Klage 2021 eingereicht, die Zugang zu den Dokumenten beim Kauf von Covid-Impstoffen forderten und "stark geschwärzte Fassungen der Kaufverträge" bekamen, wie eine der Initiatorinnen, die grüne Abgeordnete Jutta Paulus, bemängelte: "Transparenz ist aber entscheidend im Kampf gegen Impfskepsis und Misstrauen von Bürgerinnen und Bürgern gegen öffentlichen Institutionen."
"Schwärzungen auf Bitten der Firmen"
Ihr Parteikollege Daniel Freund warnt aber davor, sich nur auf die Vergangenheit zu konzentrieren: Die EU-Kommission müsse nach diesem Urteil bei allen zukünftigen Milliardenprojekten mehr Transparenz zeigen. Etwa bei der gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern, die in den kommenden Jahren bevorstehe und umfangreiche Vertragsarbeiten erforderlich mache - hernach aber ohne Schwärzungen, hofft Freund.
Der CDU-Europaapgeordnete Peter Liese warnt jedoch, das Urteil nun als großen Erfolg jener zu feiern, die mit dem Wunsch nach mehr Transparenz argumentieren. Das Gericht habe der EU-Kommission in Sachen Impfstoffverträgen ja teilweise recht gegeben, einige Punkte hätten besser erklärt werden müssen.
Das interessanteste Detail, das damals eine große Rolle spielte, führt heute allerdings bei vielen Skeptikern zu hochgezogenen Augenbrauen: "Die Schwärzungen wurden auf Bitten der Firmen vorgenommen", erklärt Peter Liese, "die Not damals war groß". Und er warnt davor, sich nun wohlfeil darüber zu echauffieren: "Dass Impfgeber das beanstanden, ist keine Überraschung, aber jeder, der selbst gerne den Schutz durch die Impfung wollte, sollte sich fragen, ob er den Wunsch der Unternehmen nach Schwärzung einzelner Passagen widersprochen und damit die Lieferung weiter verzögert hätte."
Zumal die Unternehmen dadurch vermeiden wollten, dass andere potentielle Kunden - zum Beispiel Japan - etwas über die relativ günstigen Konditionen erfahren, die in Brüssel mit den Unternehmen ausgehandelt worden seien und die nicht an die große Glocke gehängt werden sollten.
AfD und Linke fordern Konsequenzen
Allerdings ist das Luxemburger Urteil auch Futter für alle, die eine andere Sicht auf die Corona-Zeit haben. Aus der AfD kommen Forderungen an von der Leyen, auf eine weitere Kandidatur zu verzichten. Vieles rund um die Verträge sei ungeklärt, auch die damaligen Preise - ein Strafverfahren gegen die EU-Kommissionschefin überfällig.
Auch aus dem linken Lager gibt es Rückzugsforderungen. Dass von der Leyen, die zuletzt wegen ihres Umgangs mit Viktor Orban und seinen Alleingängen unter besonderer Beobachtung stand, dadurch neuen Gegenwind bekommt, ist aber eher unwahrscheinlich.
Sie setzt auf EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne. Zwar gibt es auch aus ihren Reihen Kritik an ihrem forschen Umgang mit Verträgen in der Corona-Zeit - aber auch Zufriedenheit, dass es keinen Mangel gab. Und deshalb auch keine Kritik, die sie beim Namen nennt. Ein Tonfall, der darauf abzielen dürfte, ihr bei der Wiederwahl auch in schwierigen Zeiten nicht zusätzlich zu schaden.