Bei den Protesten gegen die Regierung Georgiens immer wieder neben der Landesfahne zu sehen: Flaggen Europas und der Ukraine
analyse

Kampf um Machterhalt Wie weit geht Georgiens Regierung?

Stand: 06.06.2024 10:28 Uhr

Das "Agentengesetz" hat Georgiens Regierung gegen massive Proteste schon durchgebracht - jetzt bereitet sie sich auf die Wahl im Herbst vor. Und riskiert die Stabilität des Landes.

Die Regierungspartei "Georgischer Traum" (GT) hat es eilig, ihren Gegnern gönnt sie keinen Moment der Ruhe. Sobald sie das Gesetz über "ausländische Einflussnahme" endgültig durchs Parlament gebracht hatte, wurde es am 3. Juni im Amtsblatt veröffentlicht.

60 Tage später, ab Anfang August, müssen sich NGOs und Medien mit mehr als 20 Prozent ausländischer Finanzierung beim Justizministerium registrieren - rechtzeitig vor Beginn des Wahlkampfs für die Parlamentswahl im Oktober. Unabhängige Wahlbeobachterorganisationen wie ISFED fürchten, dass die zentrale Wahlkommission sie nicht zulassen wird.

Wie etwa 100 andere Organisationen und Medien wollen sie die Registrierung verweigern. Sie sprechen vom "Agentengesetz" oder "russischem Gesetz", weil es die Gesetzgebung im nördlichen Nachbarstaat zum Vorbild habe.

GT-Generalsekretär Kacha Kaladse kündigte an, man werde mit den vorgesehenen Geldstrafen und der Beschlagnahmung von Vermögen durchgreifen. Dies könnte schnell an die Existenz der Mitarbeiter gehen. Leiden könnten aber auch jene, denen die NGOs im Land helfen, zum Beispiel im Sozial- und Gesundheitsbereich: Die Unterstützung Kranker und Behinderter könnte eingeschränkt oder ganz eingestellt werden.

Verschleierung von Finanzflüssen

Während die Regierung das Gesetz damit rechtfertigt, Finanzflüsse aus dem Ausland offen zu legen, sorgt sie für Gesetzesänderungen in anderen Bereichen, die finanzieller Intransparenz Vorschub leisten.

Davon betroffen ist etwa der Pensionsfonds. Auf ihn soll der Premierminister künftig vollen Zugriff erhalten, unabhängige Kontrolleure hingegen Einfluss verlieren und riskantere Anlageformen zugelassen werden. Die Denkfabrik ISET Policy Institute in Tiflis warnt, dies berge erhebliche Risiken für die Einlagen der 1,5 Millionen Mitglieder. Dabei sind die Menschen in Georgien durch hohe Inflation und den Verlust der georgischen Währung auch infolge der Regierungspolitik bereits verunsichert.

Hinzu kommen Änderungen am Steuergesetz, wonach Vermögen aus Offshore-Konten leichter ins Land transferiert werden können. Es kann Georgien zu einem Steuerparadies machen und bei der Umgehung von Sanktionen helfen, so Experten und Regierungskritiker.

Stimmung bleibt aufgeheizt

Das Einfrieren von Vermögen ist eine Maßnahme, die Mitglieder des US-Kongresses für verantwortliche Politiker in Georgien vorschlagen. GT-Generalsekretär Kacha Kaladse, einst Profifußballer in Italien, zeigte sich davon unbeeindruckt: "Ich sehe da kein Problem. Wir haben nichts getan, was Sanktionen nach sich ziehen würde", zitierten ihn lokale Medien.

Ein GT-Abgeordneter deutete auf Facebook an, dass er hinter Angriffen auf die Büros von NGOs und Medien stehe. Es sei die Rache dafür, dass er und andere GT-Politiker als "Sklaven Russlands" geschmäht würden.

Der Chef der Sondereinheiten des Innenministeriums wiederum sprach von einer "Liste" von "Schurken", gegen die man vorgehen werde. Konkret nannte er den Chef der Oppositionspartei UNM, der bereits zusammengeschlagen worden ist. Die UNM veröffentlichte am Wochenende Videos, die Vermummte mit Steinen und Stöcken bei einem Angriff auf das Parteigebäude zeigen.

Liberales Europa diskreditieren

Die Regierung arbeitet bereits auf eine emotionsgeladene Stimmung vor der Parlamentswahl hin. Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili stellte ein Gesetzespaket mit umfangreichen Maßnahmen zur weiteren Einschränkung von LGBTQ+-Rechten vor. Die Verabschiedung soll im Herbst erfolgen.

Mit dem Thema versucht die Regierung, die überwiegend konservative Bevölkerung für sich zu gewinnen und das liberale Europa als abschreckend dekadentes "Gayropa" zu diskreditieren, vor dem das georgische Volk und dessen Identität geschützt werden müssten.

Spekulationen über abtrünnige Gebiete

Zudem testet GT offenbar die Stimmung bei einem weiteren Thema, das erhebliches Konfliktpotenzial in sich trägt. Am georgischen Unabhängigkeitstag Ende Mai versprach Premier Irakli Kobachidse, Georgien werde bis 2030 ein "vollwertiges Mitglied der europäischen Familie" sein - an dieser Stelle sprach er nicht von der EU. Und er sagte, Georgien werde geeint und stark sein "zusammen mit unseren abchasischen und ossetischen Brüdern und Schwestern".

Kobachidse nährte damit Spekulationen, wonach seine Partei durch eine Annäherung an Russland Südossetien und Abchasien zurückgewinnen wolle. Südosseten und Abchasen lehnen dies strikt ab, sie betrachten sich als unabhängig. Russland hatte sie 2008 staatlich anerkannt und dort Tausende Soldaten stationiert.

Nun aber könnte Russland Abchasien und Südossetien zu einer Annäherung an Georgien zwingen, wenn sich Georgien dafür dem Einfluss Russlands unterstellt, so eine Theorie. Bislang hält sich die Führung in Moskau zurück.

Applaus kam von dort für die Verabschiedung des "Agentengesetzes". Es erlaube das Zurückdrängen europäisches und amerikanisches Einflusses in Georgien. Vizeaußenminister Michail Galuzin sagte, seine Regierung schließe nicht aus, dass der Westen in Georgien mit einem "Maidan-Szenario" einen Regierungswechsel herbeiführen wolle.

Abchasien und Südossetien berühren den Nationalstolz der Georgier. Deren Verlust im Wahlkampf zu thematisieren, könnte Wunden aufreißen, die bis in den Bürgerkrieg Anfang der 1990er-Jahre zurückreichen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. Juni 2024 um 23:30 Uhr.