Weiter Kritik an Grenzkontrollen Nur die EU-Kommission ist auffallend still
Seit einer Woche wird an allen deutschen Grenzen kontrolliert. In den Nachbarländern kommt das nicht gut an. In Österreich ist von einer deutschen Imagekrise die Rede, die so übertüncht werden soll. Auffallend ruhig ist die EU-Kommission.
Vor einen Rückfall in die Hochzeit der Nationalstaaten warnt der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er sehe mit Sorge, dass mit den Grenzkontrollen die europäischen Regeln erodierten. Sein Landsmann, der luxemburgische Innenmister Léon Gloden, appelliert an die deutsche Bundesregierung, die Ausnahme nicht zum Regelfall werden zu lassen.
Natürlich sei das Problem der unkontrollierten Migration für Deutschland ein besonders großes. Aber eine unilaterale Vorgehensweise - als das einseitige Vorgehen eines EU-Landes - werde in dieser Frage nicht weiterhelfen. "In diesem Fall ist es ein Alleingang. Ich gehe davon aus, dass die deutschen Behörden das auch alles rechtlich sorgfältig überprüft haben."
Alltag in der Grenzregion komplizierter
Laut dem Schengen-Kodex darf es Grenzkontrollen nur im Ausnahmefall und zeitlich begrenzt geben. Allerdings wurden seit 2015 mehr als 400 solcher Kontrollen bei der EU-Kommission angemeldet. Dass Deutschland als größter Staat im Zentrum der Europäischen Union nun an allen seinen neun Grenzen kontrolliert, habe eine völlig neue Qualität, sagt der EU-Abgeordnete Pascal Arimont. Er vertritt im EU-Parlament die deutschsprachige Gemeinde Belgiens.
In der Grenzregion sei das Leben der Menschen bereits jetzt spürbar komplizierter geworden. "In Bezug auf die aktuellen Grenzkontrollen habe ich daher die EU-Kommission dazu aufgefordert, diese Maßnahmen juristisch zu prüfen", sagt Arimont. Es gehe um die Frage, ob die Maßnahmen dem Artikel 25 des Schengen-Kodex entsprechen. "Ich bezweifle, dass diese Kontrollen im Einklang mit diesen Artikel im Schengen-Kodex stehen", erklärt der Politiker der belgischen Christlich Sozialen Partei (CSP).
Mittlerweile gehören 23 EU-Mitglieder sowie Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein zum Schengen-Raum. Nicht - oder nicht vollständig dabei - sind die EU-Länder Irland, Bulgarien, Rumänien und Zypern.
EU-Kommission hat noch nie Einspruch erhoben
Die EU-Kommission hat bisher noch nie Einspruch gegen nationale Grenzkontrollen angemeldet. Und auch zu den aktuellen Maßnahmen der deutschen Bundesregierung äußert sie sich auffallend zurückhaltend.
Anders die Abgeordneten im EU-Parlament. Dort fragen sich viele, wie es an den deutschen Grenzen weitergehen soll - und ob Deutschland tatsächlich Asylbewerber zurückweisen will, für deren Verfahren nachweislich ein anderer EU-Staat zuständig ist.
Mandl: Bundesregierung will eigene Imagekrise lösen
Von einer "verblüffenden Kehrtwende" der deutschen Regierungskoalition spricht der österreichische Europaparlamentarier Lukas Mandl. Jahrelang hätten Deutschlands Sozialdemokraten und Grüne bei der Europäischen Migrationspolitik eher auf der Bremse gestanden: "Und da ist es ein Treppenwitz, dass ausgerechnet die deutsche Bundesregierung jetzt zulasten ganz Europas ihre eigene innenpolitische Imagekrise lösen will."
Österreich werde jedenfalls keine von Deutschland zurückgeschickten Asylbewerberinnen und Asylbewerber aufnehmen. Für europäische Herausforderungen brauche es europäische Lösungen, so der Österreicher Mandl: "Das muss auch die deutsche Bundesregierung verstehen."
Mehrheit setzt auf EU-Migrationspakt
Illegale Migration zu kontrollieren und zu begrenzen, könne nur funktionieren, wenn die EU-Staaten besser zusammenarbeiten und die illegale Migration an den Außengrenzen bekämpft wird. Deshalb plädiert auch eine Mehrheit der EU-Parlamentarier dafür, den im Frühjahr verabschiedeten Asyl- und Migrationspakt noch vor Sommer 2026 umzusetzen.
Die deutschen Grenzkontrollen seien dagegen nur Symbolik und gefährdeten die Freizügigkeit im Schengenraum, beklagt Polens Regierungschef Donald Tusk. Die Freizügigkeit sei eine wichtige Errungenschaft der europäischen Integration.