Die olympische und russische Flagge wehen bei den Winterspielen 2014 in Sotschi.
interview

Russland im Weltsport "Ein Riss im olympischen Geist"

Stand: 11.02.2024 15:31 Uhr

Bei den Olympischen Spielen 2022 sorgte der ukrainische Athlet Heraskewytsch mit seinem Protest gegen Krieg für Schlagzeilen. Heute warnt er davor, dass die nächsten Wettbewerbe nicht zu einer Show für russische Propaganda werden dürfen.

Wladyslaw Heraskewytsch hat sich gerade noch mit rund 130 Kilometern pro Stunde einen Eiskanal hinuntergestürzt, als er eine Botschaft in die Kameras hält: "No War in Ukraine" - "Kein Krieg in der Ukraine". Mit diesem Protest sorgte der ukrainische Skeleton-Profi bei den Olympischen Winterspielen 2022 international für Aufsehen. Nur wenige Wochen später begann Russland mit seiner Invasion der Ukraine.

Der Angriff veränderte auch die Sportwelt. Russische und belarusische Athleten und Athletinnen wurden von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Im vergangenen Dezember erlaubte das Internationale Olympische Komitee (IOC) dann eine Teilnahme bei den diesjährigen Sommerspielen in Paris unter Bedingungen.

Heraskewytsch fährt noch immer Skeleton auf Weltniveau. Heute jährt sich sein Protest zum zweiten Mal.

Wladyslaw Heraskewytsch

Bei den Olympischen Winterspielen 2022 hält Heraskewytsch eine klare Botschaft in die Kameras: "Kein Krieg in der Ukraine".

"Stadien, Athleten und Trainer sind Ziele von Raketen"

tagesschau.de: Es ist genau zwei Jahre her, dass Sie bei den Olympischen Winterspielen in Peking gegen den sich anbahnenden Krieg in der Ukraine protestierten. Rund zwei Wochen später begann Russlands Vollinvasion. Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

Wladyslaw Heraskewytsch: Ich habe angefangen, den Sport anders zu sehen. Als Athlet machst du sonst nur deine Wettkämpfe und denkst, das ist dein ganzes Leben. Aber wenn man sieht, wie Russland den Sport in der Politik einsetzt, dann beginnt man, mehr auf diesen Einfluss zu achten.

tagesschau.de: Hat der Krieg Sie zu einem politischeren Menschen gemacht?

Heraskewytsch: Unser ganzes Leben besteht aus Politik. In Zeiten des Krieges spürt man den Einfluss nur noch mehr. Hat Sport in der Ukraine nichts mit Politik zu tun? Doch, hat er. Unsere Stadien, Athleten und Trainer sind Ziele von Raketen. Wir leben nicht in einer imaginären Welt, in der wir solche Dinge trennen können. Die heutige Realität ist eine totale Invasion.

Wladyslaw Heraskewytsch
Zur Person

Wladyslaw Heraskewytsch ist Skeleton-Profi, Mitglied der Athletenkommission des ukrainischen Olympia-Komitees und unterstützt durch seine eigene Stiftung die Ukraine mit Hilfsgütern, Geld und Sportangeboten für Kinder. An den Olympischen Winterspielen nahm er bereits zweimal teil.

"Dunkle Zeiten für den ukrainischen Sport"

tagesschau.de: Wie steht es um den Sport in der Ukraine?

Heraskewytsch: Die Situation ist ziemlich schwierig. Wir haben viele Schwimmbäder, Hallen und Stadien verloren. Sportanlagen wurden in Donezk und auf der Krim besetzt. Solche Einrichtungen können aber wieder aufgebaut werden. Der größte Verlust ist der von Menschenleben. Es sind sehr dunkle Zeiten für den ukrainischen Sport.

Wir werden die Auswirkungen auch später noch spüren, wenn eine neue Generation von Athleten nicht da sein wird, weil sie keine Stadien haben. Ihnen fehlt die Möglichkeit, Sport zu treiben.

"Das ist absolut inakzeptabel"

tagesschau.de: Das IOC hat sogenannten neutralen Sportlern aus Russland und Belarus unter bestimmten Bedingungen eine Teilnahme an Olympia 2024 in Paris erlaubt. Was halten Sie davon?

Heraskewytsch: Ich bin mit der Entscheidung des IOC überhaupt nicht einverstanden. Es gefällt mir nicht, wie sie versuchen, diese Erlaubnis in olympische Werten zu verpacken. Meiner Meinung nach reichen die Bedingungen für eine Teilnahme nicht aus.

tagesschau.de: Eine davon lautet: keine aktive Unterstützung des Krieges.

Heraskewytsch: Was soll damit gemeint sein? "Aktive Unterstützung" kann alles bedeuten. Reicht dafür ein Post in sozialen Medien? Oder wenn man mit Putin auf einer Bühne die Besetzung der Krim feiert? Und was ist mit Militärverträgen? Ich verstehe nicht, wie das IOC das überprüfen will. Es gibt keine Transparenz. Diese Kriterien gibt es einfach, aber sie werden nicht vom IOC und internationalen Verbänden befolgt. Für mich ist das absolut inakzeptabel.

Teilnahme unter Auflagen

Russische und belarusische Sportler sind als sogenannte neutrale Athleten bei den Olympischen Spielen 2024 zugelassen. Dabei dürfen sie nur als Einzelstarter antreten. Die Nationalhymnen der Länder werden nicht gespielt, nationale Symbole und Fahnen sind auch untersagt.

Außerdem dürfen diese Athleten keine Verbindung zur Armee und den Sicherheitsorganen haben und nicht aktiv ihre Unterstützung für den Krieg gezeigt haben. Die Anti-Doping-Richtlinien müssen erfüllt sein.

Als zusätzliche Auflage fordert das IOC von allen Athleten ein schriftliches Bekenntnis zur Olympischen Charta und damit auch zur "Friedensmission der olympischen Bewegung".

"Sport in Russland ruft dazu auf, den Krieg zu unterstützen"

tagesschau.de: Wie benutzt Russland den Sport aus Ihrer Sicht?

Heraskewytsch: Alle bisherigen Wettbewerbe waren für Russland wie ein Krieg. Sie haben jede Möglichkeit genutzt, um mehr Medaillen zu holen und sich nicht um irgendwelche Regeln gekümmert. Der Sport ist für Russland da, um das eigene Image aufzubessern. Kurz vor der Besetzung der Krim im Jahr 2014 versammelte sich die Welt noch bei den Winterspielen in Sotschi.

Der Sport in Russland ruft auch dazu auf, den Krieg zu unterstützen. Ein Taekwondo-Olympiasieger hat zum Beispiel ein Video mit dem Hauptziel gedreht, Geld für die russische Armee zu sammeln. Ukrainische Medien haben Beweise zu mehr als 600 Athleten aus Russland und Belarus gesammelt.

tagesschau.de: Was für Beweise sind das?

Heraskewytsch: Das fängt in den sozialen Medien an, etwa mit Beiträgen zur Unterstützung des Krieges oder Fotos mit Propaganda-Symbolen wie dem Buchstaben "Z". Auch Veranstaltungen mit russischen und belarusischen Politikern zählen beispielsweise dazu.

Dabei kennen russische Sportler Ukrainer, sie kennen Menschen aus verschiedenen Ländern, aus Deutschland, aus den USA. Sie waren im Ausland. Und sie können verstehen, dass dieser ganze Wahnsinn, den sie in den russischen Medien hören, falsch ist.

"Hoffentlich ohne russische Athleten"

tagesschau.de: Es sind nur noch fünfeinhalb Monate bis zu den Sommerspielen in Paris. Was für ein Olympia erwarten Sie?

Heraskewytsch: Hoffentlich werden es friedliche Wettbewerbe ohne russische Athleten. Aber wenn es so bleibt, wie es aktuell ist, wird es für mich einen Riss im olympischen Geist geben.

Für die Ukraine ist es trotzdem wichtig, diese Plattform nicht aufzugeben, sonst wird Russland sie für sich nutzen. Ich bin der Meinung, dass wir unseren Protest zeigen sollten. Es darf nicht sein, dass aus diesen Wettbewerben eine Show für russische Propaganda wird.

Das Gespräch führte Jonas Hüster, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 17. Dezember 2023 um 19:11 Uhr.