Neuer Regierungschef Harris Ein TikTok-Premier für Irland
Simon Harris wird heute wohl zum neuen Premierminister Irlands gewählt. Für viele Iren muss er sich noch profilieren, und das versucht er via Social Media. Dennoch könnte er ein Übergangspremier bleiben.
Wenn die Iren von ihrem Premierminister sprechen, benutzen sie das Wort Taoiseach - gälisch für "Führungsperson", Ministerpräsident. Ausgesprochen klingt dieses Wort wie "Tischock". Und weil Simon Harris, der heute sehr wahrscheinlich zum neuen Premier gewählt wird, viel auf TikTok unterwegs ist, nennen die Iren ihn "TikTok Tischock", was ein bisschen witzig klingt.
Simon Harris ist 37 Jahre alt, wirkt dynamisch, er ist Familienvater, er ist - wenn heute alles klappt - der jüngste je gewählte Taoiseach. Doch auf ihn warten riesige Herausforderungen und er ist ein Ministerpräsident des Übergangs.
Die Tapete ist gutbürgerlich und das Erzählformat auf der Höhe der Zeit: Auf TikTok erklärt Simon Harris die Probleme der Zeit.
Im Anzug auf dem Bildschirm
Doch vorerst packt er auf TikTok alle Themen an. Den israelisch-palästinensischen Konflikt, Studiengebühren, Vaping: Kein Thema ist zu kompliziert für die kurzen Clips, die ohne Musik aus- und ziemlich nüchtern rüberkommen.
Ein Mann im Anzug erklärt die Welt auf dieser sonst so bunten Plattform, und trotzdem wirkt das irgendwie sympathisch. Er hat knapp 100.000 Follower. An die Landwirte gerichtet, sagt er da in einem seiner jüngsten Beiträge, Klimapolitik könne nur partnerschaftlich angegangen werden, sie sollten nicht belehrt werden. Aber Klimapolitik bringe auch neue Einkommensmöglichkeiten, beispielsweise aus der Produktion von Biogas.
Das drängende Problem des Wohnungsbaus
Am vergangenen Wochenende legte Simon Harris vor Parteimitgliedern dar, wie seine Politik aussehen soll. Er will den Wohnungsbau fördern, die Weichen stellen, damit junge Familien leichter eine Immobilie kaufen können. "Wir brauchen mehr Wohnungen und wir brauchen mehr Wohnungseigentümer. In den kommenden fünf Jahren werden wir 250.000 Wohnungen bauen."
Alles nicht neu, alles nicht überraschend. Und doch drängt die Zeit: Die Lage am Immobilienmarkt ist gerade für junge Familien und junge Erwachsene schwierig, und seine Partei hat in der Regierung versäumt, die Weichen zu stellen.
Protest gegen Flüchtlingspolitik
Das war auch ein Grund, warum gerade junge Menschen Ende letzten Jahres auf die Straße gegangen sind. Dabei kam es zu Ausschreitungen und es mischten sich Rechtsradikale unter die Protestierenden. Bei den Demonstrationen ging es auch um das Thema Flüchtlinge und den Eindruck, dass Irland möglicherweise zu viele aufgenommen haben könnte und deswegen der Wohnungsmarkt angespannt sei. Experten wie Rory Hearne halten dagegen. Der Professor an der Maynooth Universität argumentiert, dass die Regierung den Wohnungsbau seit Jahren vernachlässigt, die Flüchtlinge in der Debatte lediglich instrumentalisiert würden.
An Geld fehlt es nicht. Das Wirtschaftswachstum ist solide in Irland. Der Steuersatz in Irland ist besonders niedrig. Die Republik erhält viele Steuern von internationalen Konzernen, die in Dublin sitzen. Die Regierung hat in der Vergangenheit Überschüsse erwirtschaftet. Doch das Geld kommt offenbar nicht bei allen an.
Harris verspricht auch mehr Bildungsgerechtigkeit: "Unter meiner Führung wird diese Partei den Kurs fortsetzen, Hürden einzureißen." Es geht vor allem um Studiengebühren, die Harris reduzieren will. Er kommt aus einem Haushalt, in dem es nicht viel Geld gab: Der Vater war Taxifahrer, die Mutter Sonderschulpädagogin.
Nach der Wahl schon ein Ehemaliger?
Viel Zeit für eine neue Politik bleibe ihm nicht und es gebe so viel zu tun, sagte er vor Parteimitgliedern. Denn nach dem überraschenden Rücktritt seines Vorgängers übernimmt er nun, doch bis zum Frühjahr 2025 müssen Neuwahlen stattfinden. Und in den Umfragen liegt die Oppositionspartei Sinn Fein weit vorne. Fine Gael, die Partei von Harris, regiert in einer Koalition mit den Grünen und Fianna Fail.
Wird Harris die Herausforderung meistern können? Wird er ein so guter Taoiseach sein können, dass er der Partei eine Niederlage bei den bald stattfindenenden Wahlen ersparen kann? Der Kommentator und Buchautor Fintan O´Toole schrieb in der Irish Times, Harris habe vor allem als Gesundheitsminister Karriere gemacht. Das war zu Pandemie-Zeiten, als die wichtigen Entscheidungen nicht von ihm, sondern vom Ministerpräsidenten getroffen wurden.
Will heißen: Harris hat längst noch nicht bewiesen, ob er ein durchsetzungsstarker Politiker ist oder einfach nur skandalfrei seine Zeit als Minister überlebte.