Spanien vor der Wahl Rolle rückwärts mit Vox?
Bei der Parlamentswahl am kommenden Sonntag könnte in Spanien ein Bündnis von konservativen und ultrarechten Parteien gewinnen. Steht dann Spaniens liberales Abtreibungsrecht zur Disposition? Das Land wirkt tief gespalten
Fast jeden Samstag parkt Jesus Poveda den Kleinbus an einer unscheinbaren Straßenecke in Madrid. "Schwangerschafts-Diagnose" steht groß auf dem Kleinbus. Der Standort ist bewusst gewählt - genau gegenüber einer Abtreibungsklinik.
Povedas Mission: Frauen, die dort hinein gehen, doch noch umzustimmen, zunächst mit Infos. Ohne Druck, betont der Arzt, der hier ehrenamtlich für seine Überzeugung und die "Ambulancia vida" arbeitet. "Das Schöne an unseren 'Rettungsaktionen' ist, dass wir den Frauen, die glauben, dass sie nichts anderes tun können als abzutreiben, eine Alternative bieten, so dass sie dann auch wirklich Hilfe haben."
Wenn die Frauen nicht gleich nein zu dieser Art von Hilfe sagen, geht es im Bus weiter mit einer Ultraschalluntersuchung.
Klinikchefin Sonia Lamas kennt den samstäglichen Belagerungszustand vor ihrer Abtreibungsklinik nur zu gut. Sie ärgert sich über die Methoden der Abtreibungsgegner. Sie hinderten die Frauen daran, ihr Recht wahrzunehmen, manchmal müsse vor der Tür der Klinik sogar die Polizei einschreiten.
"Sie behaupten, dass sie Erfolg haben, selbst wenn das nicht stimmt. Sie haben aber vor allem die Absicht, Frauen zu belästigen, einzuschüchtern und zu schikanieren. Jeder kann gerne seinen eigenen ideologischen Standpunkt behalten, aber bitte nicht vor den Türen einer anerkannten Klinik stehen, mit dem Vorwand, Frauen zu helfen."
Was geschieht nach der Wahl?
Das Recht auf Abtreibung ist auch Teil des spanischen Wahlkampfes. Für die ultrarechte Partei Vox gehört es abgeschafft. Das linke Bündnis Sumar möchte das liberale Abtreibungsrecht in Spanien dahingehend ausbauen, dass auch öffentliche Kliniken Abtreibungen garantieren.
Dazwischen bewegen sich die großen Parteien, die mit den Linken regierenden Sozialisten PSOE und die konservative PP. Am grundsätzlichen Recht auf Abtreibung wollen auch die Konservativen nicht rütteln, wohl wissend, dass es in der spanischen Bevölkerung einen breiten Konsens für dieses Recht gibt. Aber was wird die PP machen, wenn sie, wie es jetzt in diversen Regionalregierungen der Fall ist, nicht allein regieren kann und eine Koalition mit Vox schmiedet?
Eine Gratwanderung für den Herausforderer
Politikwissenschaftler Fernando Vallespín hält es durchaus für wahrscheinlich, dass dieses Bündnis nach dem Wahlsonntag die künftige Regierung bildet. Allerdings sei Spanien eine liberale Demokratie, und das Abtreibungsgesetz könne nicht einfach so abgeschafft werden.
"Es könnte vielleicht in einigen kleinen Punkten verändert werden, aber es kann nicht aufgehoben werden, weil das spanische Verfassungsgericht selbst bereits darauf hingewiesen hat, dass es ein Recht ist", so Vallespín.
Aber auch wenn die Verfassung den radikalsten Vorstellungen der ultrarechten Partei einen Riegel vorschieben könnte - es bleibt die Gretchenfrage im spanischen Wahlkampf: Wie hält es der konservative Herausforderer Alberto Núñez Feijóo von PP mit Vox? Feijóo versucht zumeist, das Thema irgendwie zu umschiffen. Der in Umfragen hinten liegende spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hingegen legt so oft wie möglich den Finger in diese Wunde.
Valencia als Vorbild?
In der Region Valencia hat sich bei der Regionalwahl Ende Mai das PP-Vox-Bündnis durchgesetzt. In der Bar Murta in einem von der linken Szene frequentierten Viertel von Valencia drückt der regionale politische Richtungswechsel auf die Stimmung. Sebastiá Garcia, Chef dreier linker Kneipen, war schon mit 14 politisch links aktiv. Um sich selbst müsse er sich als weißer heterosexueller Unternehmer keine Sorgen machen, sagt er, um seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingegen schon.
Garcia findet das beängstigend, es komme ihm gerade vor wie eine Wiederbelebung des Faschismus der 1970er-Jahre, mit politischen Ideen, die weit entfernt von der heutigen Zeit seien. "Ich habe zum Beispiel zwei trans Mitarbeiter. Am 28. Mai, nach den Regionalwahlen, sagten sie mir, dass sie Angst haben und daran denken, von hier wegzugehen."
Für manche hier könnte Spaniens linke Regierung eine noch linkere Politik machen. Dass aber die Rechten ihre komplette Kritik an der Regierungskoalition auf den Ministerpräsidenten Sánchez fokussieren und gegen den sogenannten "Sánchismo" mobilisieren, geht vielen auch gegen den Strich.
Den "Sanchismo" mit Füßen treten
Im Militärviertel Valencias bietet sich das gegenteilige Bild. Vor der Kneipe "Rincón Español" liegt eine Fußmatte mit Sánchez' Konterfei vor der Tür - jeder, der reinkommt, kann den "Sánchismo" erstmal mit Füßen treten. Kneipenwirtin Yolanda Reza erzählt, ihre Gäste seien alle sehr rechts, die meisten wählten Vox.
Spanien sei wirtschaftlich ruiniert, die Steuern zu hoch, es gebe zuviel Kommunismus, so sehen sie die Politik der Regierung in Madrid. Kneipengast Fernando Zárate findet, das Gute an Vox sei, dass die Partei die Einwanderung drastisch einschränken würde - "oder Abtreibung, zum Beispiel, Abtreibung ist für mich negativ".
Mancher zweifelt hier sogar ganz offen an der Demokratie. José Luis Roberto weist erstmal darauf hin, dass er für das, was er jetzt sagt, in Deutschland ins Gefängnis käme. Und stellt dann fest: "Das beste System ist ein Führer mit ehrlichen Leuten, der mit wenigen Worten und ohne viel Geld auszugeben klare Ansagen macht."
Eine Entwicklung wie in den USA
Zwei Kneipen, zwei Spanien, so scheint es. Aber auch wenn dies die extremen Pole sind - Spanien scheint in diesem Wahlkampf generell stark polarisiert zu sein. Politikwissenschaftler Vallespín findet, das, was in Spanien geschehe, ähnele ein wenig der Situation in den Vereinigten Staaten, wo es zwei Welten gebe, die traditionellere Welt der Rechten und eine viel fortschrittlichere Welt der Linken.
Anders als in Deutschland gebe es außerdem keinerlei Möglichkeit der Verständigung zwischen den beiden großen Parteien PSOE und PP. Sprich: Eine große Koalition kommt nicht in Frage. Daraus folge: "Wenn die Volkspartei regieren will, ist es nur logisch, dass sie eine Verständigung mit Vox sucht. Sie kann sich weder mit der Sozialistischen Partei noch mit anderen linken Parteien, geschweige denn mit nationalistischen Parteien des Baskenlandes und Kataloniens verständigen", so Vallespín.
Wer die Wahl gewinnt, dürfte sich auf den letzten Metern entscheiden, glauben Experten, mancher Wähler treffe seine Entscheidung erst am Wahltag. In den Umfragen liegt das rechte Lager weiter vorn. Am Sonntag entscheiden die spanischen Wähler, ob Spanien ziemlich weit links bleibt - oder eine Kurve mehr oder weniger weit nach rechts macht.