Korruption und Pressefreiheit Ukrainische Investigativreporter bespitzelt
Die ukrainische Rechercheplattform "Bihus.Info" deckt Korruptionsfälle auf. Nun ist ein Video mit heimlich gefilmten Redaktionsmitgliedern aufgetaucht. Präsident Selenskyj hat sich eingeschaltet.
Das Video, das in der Ukraine einen Sturm der Empörung ausgelöst hat, ist fünf Minuten und neun Sekunden lang. Auf den Bildern sind mehrere Mitglieder der bekannten investigativen Rechercheplattform "Bihus.Info" bei einem Treffen in einem Hotel Ende Dezember zu erkennen. Die Szenen wurden offenbar heimlich mit versteckten Kameras gefilmt und zeigen angeblich, wie einige der Mitarbeiter Drogen konsumieren. Veröffentlicht wurde das Video von dem YouTube-Kanal "Narodna Prawda". Übersetzt bedeutet der Name "Volkswahrheit". Inzwischen ist das Video gelöscht.
In anderen Ausschnitten des Videos werden Telefongespräche zwischen Redaktionsmitgliedern abgespielt, in denen sie sich über Drogen wie MDMA oder Marihuana austauschen. Der Redaktionsleiter, Denys Bihus, hat bestätigt, dass es sich um Kameraleute der Redaktion handelt. Einige der Kollegen seien inzwischen entlassen worden, so Bihus. Auch seien redaktionsintern Drogentests angeordnet worden. Laut seinen Angaben muss die Redaktion über einen längeren Zeitraum von mehr als einem Jahr abgehört worden sein.
Denys Bihus, Gründer des Portals ""Bihus.Info"", bestätigt, dass das Video Redaktionsmitglieder zeigt - einige von ihnen seien inzwischen entlassen worden.
Bihus wittert organisierte Spähaktion
In der Ukraine ist "Bihus.Info" vor allem für seine investigativen Recherchen zu Korruptionsfällen und Vetternwirtschaft in Verwaltung, Institutionen und Behörden bekannt. Laut Bihus-Angaben wird die Plattform unter anderem von der EU-Kommission und verschiedenen europäischen Journalistennetzwerken unterstützt. Auf YouTube erreicht der Bihus-Kanal rund eine Million Abonnenten.
Für Redaktionsleiter Denys Bihus ist der Upload des Videos Teil einer Diskreditierungskampagne. Seit zehn Jahren veröffentliche die Plattform investigative Antikorruptionsrecherchen, erzählt Bihus: "All diejenigen, die Macht haben oder hatten, mögen uns nicht besonders" - da gebe es viele. Im Hinblick auf das traditionelle Spannungsverhältnis zwischen Medien und Autoritäten in der Ukraine sei der Vorfall ein weiterer Tiefpunkt: "Ein neues Level ist erreicht", sagt Bihus.
Auf die Frage, wer hinter dem Video und den Spionageangriffen stehen könnte, antwortet Bihus: Es mache derzeit "offensichtlicherweise Sinn, über amtierende Behörden zu sprechen". Bei rund zehn investigativen Veröffentlichungen pro Monat zu unterschiedlichsten Akteuren sei es allerdings schwierig, spezifische Personen und Stellen als Verdächtige zu benennen.
Auch die Rechercheplattform selbst geht dem Vorfall nach. Nach Bihus-Recherchen waren mehr als 30 Personen daran beteiligt, Kameras in "einem Dutzend" Hotelzimmern anzubringen. Für Denys Bihus ist das ein Indiz dafür, dass es sich um eine "geplante, organisierte" Aktion gehandelt hat.
Ukrainischer Geheimdienst ermittelt
Inzwischen hat der ukrainische Geheimdienst SBU Ermittlungen zu dem Fall aufgenommen. Darin geht es insbesondere um die mutmaßlich illegalen Abhörmethoden. Zusätzlich hat "Bihus.Info" eine Strafanzeige bei der Polizei eingereicht.
Die Brisanz des Falls zeigt sich auch an den politischen Reaktionen. So hat sich das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, mit dem Fall befasst und den Eingriff in die Privatsphäre von Journalisten mit breiter Mehrheit verurteilt. Und sogar der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich einen Tag nach dem Erscheinen des Videos Mitte Januar zur "Überwachung von Journalisten" geäußert. Er sagte, "jeglicher Druck auf Journalisten sei inakzeptabel" und kündigte eine Aufklärung der Umstände durch den ukrainischen Geheimdienst an.
Für Denys Bihus, den Redaktionsleiter der investigativen Plattform, sind die Äußerungen Selenskyjs, die Ermittlungen der Polizei und des Geheimdienstes "ziemlich untypisch". Gleichzeitig setzt er wenig Hoffnung in diese Form der Aufklärung: "Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Struktur eine wirksame Untersuchung durchführt, wenn Mitarbeiter dieser oder einer benachbarten Struktur etwas begangen haben?", fragt er. Erfahrungsgemäß endeten solche Ermittlungen "normalerweise mit nichts", so Bihus: "Einige Zeit vergeht, jeder vergisst es, das Leben geht weiter."