Nach dem Militärputsch Warum Niger für den Westen so wichtig ist
Die Bundesregierung hat nach dem Militärputsch die Entwicklungszusammenarbeit mit Niger gestoppt. Warum ist die Stabilität in dem Land für Deutschland so wichtig? Wie sicher sind die Bundeswehrsoldaten dort? Und wie könnte es nun weitergehen?
Die Ausgangslage
Am vergangenen Mittwoch hat das Militär die Macht im westafrikanischen Niger übernommen. Der gewählte Präsident Mohamed Bazoum und seine Frau wurden von der Präsidentengarde - einer Eliteeinheit des Militärs - im Präsidentenpalast festgesetzt. Hinter dem Putsch steht deren Befehlshaber, General Abdourahmane Tchiani. Er erklärte sich am Freitag zum neuen Machthaber, wenig später setzten die Putschisten die Verfassung des westafrikanischen Landes außer Kraft und lösten alle verfassungsmäßigen Institutionen auf.
Begründet wird der Umsturz mit der schwierigen Wirtschafts- und Sicherheitslage im Land. Denkbar ist aber nach Einschätzung von Experten auch ein interner Machtkampf. So habe es zuletzt etwa Gerüchte über eine Absetzung des Chefs der Präsidentengarde gegeben. Zudem gebe es in Teilen der Armee Vorbehalte gegen die französische Armee, die seit dem Abzug aus Mali präsenter im Niger sei.
Die neuen Machthaber gehen offenbar hart gegen die Putsch-Gegner vor. Nach Angaben der demokratisch gewählten Regierungspartei wurden bereits mindestens 180 ihrer Mitglieder festgenommen - unter ihnen auch mehrere Minister und prominente Politiker.
Direkt nach dem Putsch gab es Proteste gegen die Machtübernahme, allerdings auch Pro-Putsch-Demonstrationen, die sich gegen eine Einmischung aus dem Ausland richteten. Unklar ist noch, wie weit das Militär hinter General Tchiani steht: So gibt es Berichte, dass Spezialkräfte aus dem Hinterland nach Niamey aufbrachen, um den festgesetzten Präsidenten freizukämpfen.
Wie sind die Reaktionen auf den Putsch?
Der Putsch wird international mehrheitlich verurteilt. Die USA, die UN, die EU und die Westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas forderten, Bazoum wieder als Präsident einzusetzen. Die finanziellen Hilfen für das Land wurden weitgehend gestoppt.
Die Ecowas stellte den Putschisten am Sonntag ein Ultimatum: Sollte Bazoum nicht binnen einer Woche freigelassen werden, werde man Maßnahmen ergreifen, "die den Einsatz von Gewalt beinhalten könnten", hieß es. Außerdem verhängte die Gemeinschaft Sanktionen gegen Niger, unter anderem eine Wirtschaftsblockade. Die Folgen könnten für das bitterarme Land verheerend sein.
Die EU stellte sich hinter die Maßnahmen und Drohungen der Ecowas: "Die Europäische Union unterstützt alle Maßnahmen, die die Ecowas als Reaktion auf den Staatsstreich ergriffen hat und wird sie rasch und entschlossen fördern", so der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Ähnliches war aus Washington und London zu vernehmen. Borrell erklärte zudem, dass die EU ihre Budgethilfe für den Niger sofort einstellen und alle Maßnahmen der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich auf unbestimmte Zeit aussetzen werde. Allein für den Zeitraum von 2021 bis 2024 waren über ein Mehrjahresprogramm Unterstützungszahlungen in Höhe von mindestens 503 Millionen Euro vorgesehen.
Frankreich - ehemals Kolonialmacht - steht besonders im Fokus der Proteste im Niger. So demonstrierten direkt nach dem Putsch zahlreiche Menschen vor der französischen Botschaft in Niamey, dabei kam es auch zu Gewalt. Paris stellte in einer ersten Reaktion seine Unterstützung für das Land ein - und Präsident Emmanuel Macron richtete eine scharfe Warnung an die Putschisten: Jede Aktion gegen französische Staatsbürger werde eine unverzügliche und strikte Reaktion Frankreichs nach sich ziehen.
Auch die Bundesregierung legte weitere Hilfen für Niger auf Eis. Am Montag wurde die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit ausgesetzt, nachdem zuvor alle direkten Unterstützungszahlungen an die zentrale Regierung in Niamey vorerst gestoppt worden waren.
Russland, dessen Kämpfer der Söldnergruppe Wagner im benachbarten Mali aktiv sind, verurteilte den Putsch offiziell: "Es ist nötig, die verfassungsmäßige Ordnung im Niger wiederherzustellen", sagte Außenminister Sergej Lawrow einen Tag nach dem Staatsstreich.
Welche Folgen hat der Putsch für die Region?
Der Niger galt bislang als eine der wenigen funktionierenden Demokratien in der vom islamistischen Terrorismus heimgesuchten Sahelzone. Deswegen haben europäische Staaten zuletzt massiv in den Wüstenstaat investiert, in Militärkooperationen und Entwicklungszusammenarbeit. Auch weil die Militärjunta im Nachbarstaat Mali immer mehr westliche Partner vergrault hat und mit der russischen Söldner-Gruppe Wagner kooperiert. Mit dem Putsch droht nun eine weitere Destabilisierung der Region. "Der bis zum Putsch relativ sichere und politisch stabile Niger hatte Hoffnung für die gesamte Region gegeben. Diese ist nun zerstört", sagt etwa Ibrahim Yahaya Ibrahim vom Think Tank International Crisis Group.
Der Putsch gefährde aber auch die Zusammenarbeit zwischen den Sahel-Ländern und den westlichen Mächten. Für die EU bricht mit dem Absetzen der gewählten nigrischen Regierung ein wichtiges Partnerland bei der Eindämmung von Flucht- und Migrationsbewegungen in Richtung Europa weg. Denn hier spielt der Niger als Transitland ebenfalls eine Schlüsselrolle. Die EU kooperiert mit dem Niger bereits seit 2015, vor allem um die kritische Migrationsroute von der nigrischen Wüstenstadt Agadez nach Libyen zu blockieren.
Und auch für die deutsche Entwicklungshilfepolitik ist der Putsch in Niamey ein herber Rückschlag: Erst kürzlich hat Ministerin Svenja Schulze den Vorsitz der sogenannten Sahel-Allianz übernommen, man wolle den Versuch antreten, so sagte sie im Vorfeld, zu beweisen, dass man die Region auch ohne westliche Militärpräsenz etwa im Nachbarland Mali stabilisiert bekomme. Das Vorhaben dürfte nun noch einmal schwieriger umzusetzen sein.
Was macht die Bundeswehr in Niger?
Rund 100 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind in Niger stationiert - die Bundeswehr unterhält in der Hauptstadt Niamey einen Luftstützpunkt. Der ist vor allem wichtig für die Versorgung der Bundeswehr-Soldatinnen und -Soldaten im benachbarten Mali - und für den Abzug der Truppe aus dem Krisenstaat. Der Einsatz in Mali soll bis Ende 2023 beendet werden, weil die dortige Regierung die Truppen der UN-Mission MINUSMA - unter ihnen auch die deutschen Truppen - als unerwünscht ansieht und sie in ihrer Arbeit behindert.
Zumindest bis zum 4. August ist das deutsche Luft-Drehkreuz in Niamey aber lahmgelegt - die neue Regierung sperrte den Luftraum bis zu diesem Datum. Sollte der Betrieb des deutschen Stützpunkts auch mittel- und langfristig nicht mehr gewährleistet sein, wäre der Zeitplan für den Mali-Abzug womöglich nicht mehr zu halten. Im schlimmsten Fall müssten Mensch und Material dann auf dem Landweg abziehen.
Neben dem Betrieb des Luftstützpunkts bildeten Bundeswehrsoldaten über Jahre hinweg mit einigem Erfolg nigrische Spezialkräfte im Kampf gegen den "Islamischen Staat" aus. Derzeit ist Deutschland daran beteiligt, hierfür ein Ausbildungszentrum zu schaffen - dessen Betrieb allerdings steht nun in Frage.
Wie sicher sind die Deutschen?
Von Seiten des Verteidigungsministeriums hieß es schon kurz nach dem Putsch, die Sicherheit der deutschen Soldatinnen und Soldaten im Niger können gewährleistet werden. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius erklärte noch einmal, das gelte sowohl für die Truppe in Mali als auch für die Soldatinnen und Soldaten in Niger.
Deutschland sei mit den jeweiligen Ansprechpartnern in dem westafrikanischen Land "auf verschiedenen Kanälen in Verbindung". Es gebe "bisher keinen Grund zur Annahme", dass die rund 100 deutschen Soldatinnen und Soldaten im Niger gefährdet seien oder nicht mehr versorgt werden könnten, so Pistorius. Man bereite sich aber dennoch auf alle denkbaren Entwicklungen vor: "Wir sind in Gesprächen und bereiten uns auf die verschiedenen Szenarien mit verschiedenen Optionen vor", sagte der Minister.
Auch für die Deutschen, die nicht der Bundeswehr angehören, sieht die Bundesregierung derzeit keine Gefahr: Man vertrete bislang die Einschätzung, dass die "Aktivierung von Evakuierungsplänen" derzeit "nicht notwendig ist", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Das Ministerium geht davon aus, dass sich eine hohe zweistellige Zahl deutscher Staatsbürger in dem Land aufhalte, die nicht für die Bundeswehr oder die Botschaft arbeiteten.
Experten rechnen damit, dass im Krisenfall Frankreich einspringen müsste. Paris hat in dem westafrikanischen Land deutlich stärkere Kräfte stationiert - bis zu 2.000 französische Soldaten sollen sich in Niger befinden.
Unklar ist zudem, was geschieht, sollte die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas ihre Drohung wahrmachen und mit Gewalt gegen die neuen Machthaber im Niger vorgehen. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hält in dem Fall eine Evakuierung für zumindest nicht ausgeschlossen. "Es zeichnet sich also ab, dass wir wahrscheinlich unsere Soldatinnen und Soldaten dort evakuieren müssen", so Kiesewetter.