Russland erzwingt Ende der UN-Mission Sieg für Moskau, mehr Verantwortung für die EU
Das Zeichen ist eindeutig: Mit seinem Veto gegen die Verlängerung der UN-Mission im von Georgien abtrünnigen Abchasien zeigt Russland, dass es bei den Konflikten in seinen Nachbarländern nicht zu Kompromissen mit dem Westen bereit ist. Nun ist die EU gefordert, während in Georgien eine weitere Destabilisierung droht.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin hielt sich nicht mit diplomatischen Floskeln gegenüber den westlichen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates auf: "Mit unserer traditionell offenen Art habe ich ihnen deutlich gemacht, dass Russland gegen den Entwurf stimmen wir". Der Resolutionsantrag zur Verlängerung der UN-Mission in Georgien und Abchasien sei schlichtweg "inakzeptabel". Vorgelegt hatten ihn die USA, Großbritannien, Frankreich gemeinsam mit Deutschland, der Türkei, Österreich und Kroatien.
Das Veto Russlands im UN-Sicherheitsrat bedeutet das Ende für die seit 16 Jahren bestehende UN-Mission in dem Konfliktgebiet. Da das alte Mandat in der Nacht ausgelaufen ist, hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bereits den Abzug der 150 UN-Beobachter angeordnet. Auch eine "technische Verlängerung" des Mandats um zwei Wochen war bei den Gesprächen hinter verschlossenen Türen nicht durchzusetzen. Es ging um den Namen der Mission ebenso wie um die Bezugnahme auf frühere Resolutionen und die Erwähnung Georgiens im Text.
Die entscheidende Frage: Unabhängig oder nicht
Hintergrund des Streits um diese Details ist die territoriale Integrität Georgiens: Russland hat die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien nach dem Fünf-Tage-Krieg im vergangenen Jahr als unabhängig anerkannt. Die Regierung in Moskau besteht darauf, dass diese "neuen Realitäten" berücksichtigt werden. Doch kein Land außer Nikaragua ist diesem Schritt bislang gefolgt und der Westen beharrt auf der territorialen Einheit Georgiens.
An diesem Konflikt war bereits die Verlängerung einer weiteren internationalen Beobachtermission gescheitert: Bis Ende des Monats müssen die Mitarbeiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) ihre Büros in Georgiens Hauptstadt Tiflis räumen. Ihr Mandat umfasste die Beobachtung der Lage im Konfliktgebiet Südossetien und Projekte zum Demokratieaufbau in Georgien. Schwache Hoffnungen auf eine Verlängerung in letzter Sekunde haben sich mit dem Scheitern der Verhandlungen in New York zerschlagen.
Mehr Verantwortung für die EU
Das Ende beider Missionen rückt die Europäische Union stärker in den Fokus. Sie bleibt nun als einzige mit einer 340 Mitarbeiter umfassenden Beobachtermission (EUMM) und dem Mandat vor Ort und die Lage in den Konfliktgebieten zu kontrollieren. Auch wenn die Missionen der UNO und der OSZE oft als wenig effektiv kritisiert worden sind und sie den Krieg im August 2008 nicht verhindern konnten, so haben sie doch zur Stabilisierung beigetragen. Fraglich ist vor allem, ob die in Abchasien verbliebenen Georgier nach dem Abzug der UNO in ihren Dörfern bleiben können oder ob sie nicht nach und nach vertrieben werden.
Für die EUMM wird es sehr schwer, solche Entwicklungen aufzuhalten. Zwar wurde im von der EU vermittelten Waffenstillstandsvertrag zwischen Georgien und Russland vereinbart, dass die EU-Beobachter auch in Abchasien und Südossetien patrouillieren dürfen. Doch bisher werden sie an den Verwaltungsgrenzen abgewiesen. Die Beobachter schauen zu, wie Russland das Abkommen unterläuft beispielsweise mit der Stationierung von weit mehr Soldaten als vereinbart oder mit der Ankündigung, Militärbasen in Südossetien und Abchasien zu errichten.
Georgien vor der Zerreißprobe
Auch wenn Experten wie der russische Journalist Pawel Felgenhauer warnen, scheint es unwahrscheinlich, dass Russland derzeit Interesse an einem neuen Krieg hat. Zu sehr belasten wirtschaftliche und politische Probleme in Abchasien, Südossetien und im Nordkaukasus die Regierung in Moskau, als dass sie sich weitere Probleme einhandeln wollte. Doch da sich die Gegner an den Grenzen Abchasiens und Südossetiens nach wie vor direkt gegenüber stehen und es noch keine funktionierenden Vereinbarungen zur Konfliktprävention gibt, können kleinere Schießereien schnell eskalieren.
Hinzu kommt, dass sich die innenpolitische Lage in Georgien merklich zuspitzt. Seit bald drei Monaten demonstrieren Regierungsgegner täglich in Tiflis und blockieren Straßen. Zwar schafft es die Opposition nicht, die Mehrheit der Bevölkerung für sich zu gewinnen und die uniformierten Sicherheitskräfte halten sich sehr zurück. Doch Teile der Opposition gebärden sich zunehmend radikaler. Zudem sorgen Schlägertrupps in Zivil und teils mit Masken bekleidet für Unruhe. Immer öfter kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Vor wenigen Tagen sah sich der französische Botschafter Eric Fournier zu Kritik an der Opposition genötigt, nachdem Demonstranten Parlamentsabgeordnete und den tschechischen Botschafter angegriffen hatten. Die Opposition reagierte verärgert und forderte Kommentare zu ungeklärten Angriffe auf ihre Anhänger. Auch verlangen sie nach wie vor von der EU, im Streit mit der Regierung zu vermitteln.
Warten auf die EU
Dass Russland mit dem Abzug der UN-Mission aus Abchasien einen weiteren Sieg für sich verbuchen kann, sorgt für weiteren Unmut nicht nur unter den Flüchtlingen, die seit Jahren vergebens auf die Rückkehr in ihre Dörfer hoffen. Bei der EU reagiert man bisher verhalten auf das Ende der beiden anderen Missionen. EUMM-Pressesprecher Steve Bird sagte tagesschau.de, es sei noch zu früh, um über Konsequenzen zu sprechen. Die EU-Beobachter würden ihre Arbeit entsprechend ihrem Mandat fortsetzen. Man hoffe auf einen Fortschritt bei den Friedensverhandlungen in Genf, die am 1. Juli fortgesetzt werden. Ähnlich äußerte sich der Pressesprecher des EU-Sonderbeauftragten Pierre Morel, Henri Duquenne.
Die EU- und Südkaukasus-Expertin Lili di Puppo kritisiert, dass die EU keine eindeutige Position bezieht. Nach wie vor gebe es unterschiedliche Ansichten über den Umgang mit Russland. "Zu wenige Leute in der EU verstehen, dass der Konflikt um die abtrünnigen Gebiete und die instabile innenpolitische Lage die Frage aufwerfen, wie Georgien als Staat überhaupt weiter existieren kann."