Interview

Interview zur Hungersnot "In Somalia ist die Situation weiterhin prekär"

Stand: 09.11.2011 11:25 Uhr

Die Katastrophe am Horn von Afrika verschwindet hinter neuen Nachrichten. Dabei hat sich die Hungersnot durch starke Regenfälle und den Einmarsch kenianischer Truppen in Somalia weiter verschärft. Ein Ende der Krise sei noch nicht absehbar, sagt Afrika-Korrespondent Peter Schreiber im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Was ist im Moment das größere Problem am Horn von Afrika - die Dürre oder der Konflikt zwischen Kenia und der radikalislamischen Al-Shabaab-Miliz in Südsomalia?

Peter Schreiber: Die kenianische Militäroffensive in Südsomalia erschwert die Hilfslieferungen. 750.000 Menschen sind allein in Somalia immer noch vom Hungertod bedroht. Der kenianische Truppenvormarsch führt dazu, dass viele Somalier ihre Dörfer im Süden des Landes verlassen - aus Angst, zwischen die Fronten zu geraten. Viele von ihnen sind dadurch nur noch schwer von den Hilfsorganisationen zu erreichen. Die Al-Shabaab-Milizen ihrerseits versuchen, die Menschen in ihren Dörfern zu halten, möglicherweise auch als Schutzschilde bei möglichen Angriffen.

Zur Person
Peter Schreiber arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Auslandskorrespondent. Seit Juli 2008 ist er Afrika-Korrespondent im ARD-Fernsehstudio in Nairobi. Für tagesschau.de berichtet er regelmäßig über die Lage in den von der Hungersnot in Ostafrika betroffenen Gebieten.

tagesschau.de: Kenia hatte vor knapp drei Wochen Truppen in das Nachbarland verlegt, nachdem zuvor mehrere Europäer aus Kenia nach Somalia verschleppt worden waren. Welche Motive verfolgt Kenia?

Schreiber: Zunächst geht es Kenia um die Sicherheit seiner eigenen Grenze mit Somalia. Die Nachrichten über verschleppte Ausländer schaden dem Tourismus - immerhin die zweitwichtigste Devisenquelle Kenias. Mit Hilfe verbündeter somalischer Milizen will Kenia eine Art Pufferzone entlang der fast 800 Kilometer langen Grenze einrichten. Darüber hinaus versucht Kenia die Al-Shabaab dauerhaft zu schwächen, durch Luftangriffe auf deren Stellungen und eine Blockade der Hafenstadt Kismayu. Der zweitgrößte Hafen Somalias ist die wichtigste Geldquelle von Al Shabaab. Durch Hafengebühren und Schmuggel soll sie zweistellige Millionenbeträge einstreichen.

tagesschau.de: Bis vor kurzem sind täglich über tausend Somalier wegen der Hungersnot über die Grenze nach Kenia geflohen. Welche Auswirkungen haben die Kämpfe im Grenzgebiet jetzt auf die Flüchtlingsströme?

Schreiber: Durch die kenianische Militäroffensive kommen am Tag  nur noch 100 bis 200 somalische Flüchtlinge über die Grenze. Vor der Offensive waren es bis zu 1000 am Tag. Kenia versucht die Flüchtlinge auf somalischem Territorium zu halten. Langfristig sollen auch die Menschen aus Dadaab, dem größten Flüchtlingslager der Welt, von kenianischem auf somalisches Gebiet umgesiedelt werden. Ob dieser Plan wirklich durchzusetzen ist, ist unklar. 

tagesschau.de: Hilfsorganisationen haben vor kurzem noch vor einer Ausweitung der Hungersnot in Somalia gewarnt - hat sich durch die vorangegangenen Hilfslieferungen denn gar nichts gebessert?

Schreiber: Im Sommer waren am Horn von Afrika insgesamt rund 13 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Inzwischen hat sich in den Dürregebieten von Kenia und Äthiopien die Versorgungslage verbessert - vor allem durch internationale Hilfslieferungen. In Somalia ist die Situation weiterhin prekär. Zwar funktioniert der Nachschub in die Hauptstadt Mogadischu, doch bei der Weiterverteilung gibt es Probleme. Große Teile Somalias werden von Al-Shabaab-Milizen kontrolliert, die internationale Hilfslieferungen ablehnen oder allenfalls durch somalische Partner-Organisationen zulassen. Deshalb sind - nach Schätzungen der Weltbank - immer noch 750.000 Somalier akut vom Hungertod bedroht.

tagesschau.de: Seit Tagen regnet es in der Region. Ist mit dem lang erhofften Wasser auch ein Ende der Hungersnot in Sicht?

Schreiber: Der Niederschlag fällt regional höchst unterschiedlich. Immerhin gibt es seit drei Jahren erstmals wieder eine richtige Regenzeit in Ostafrika. Gleichzeitig erhöht der Regen die Gefahr von Seuchen. Deshalb ist es für eine Entwarnung noch zu früh. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Somalia könnten zudem verhindern, dass die Bauern ihre Felder bestellen. Und selbst wenn die Aussaat gelingt, gibt es die nächste Ernte frühestens im Februar und März 2012.

Das Interview führte Samira Knoke für tagesschau.de.