Israelische Armee im Gazastreifen Erbitterte Kämpfe in Chan Yunis
Nach dem Ende der Feuerpause hat das israelische Militär seinen Einsatz im Gazastreifen auf den Süden ausgeweitet. Dort spricht die Armee nun von heftigen Gefechten - mit Folgen für die palästinensische Zivilbevölkerung.
Das israelische Militär liefert sich nach eigenen Angaben im Gazastreifen die schwersten Kämpfe mit der militant-islamistischen Palästinensergruppe Hamas seit Beginn seines Einsatzes am Boden. Die Truppen seien in erbitterte Gefechte in Chan Yunis verwickelt, teilte das Militär mit.
Die größte Stadt im Süden des Gazastreifens ist seit Dienstag von israelischen Soldaten eingekesselt, die bereits ins Zentrum vorgedrungen sind. Hunderte Ziele der Terrororganisation seien angegriffen worden, teilte das Militär mit. Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte:
Mit großer Stärke sind wir vom Norden des Gazastreifens zum Kampf im Süden übergegangen. Wir operieren in beiden Abschnitten. Was die Stadt Gaza erlebte, widerfährt jetzt der Stadt Chan Yunis. Es sind harte Schläge und die Ergebnisse sind beeindruckend. Die Hamas-Terroristen wissen nun, dass ihnen niemand zur Hilfe kommen wird.
Die Kassam-Brigaden, der bewaffnete Teil der Hamas, erklärten, ihre Kämpfer seien an den Gefechten mit israelischen Truppen beteiligt.
Armee findet offenbar großes Waffenlager
Auch im Norden gehe der Kampf weiter. Dort entdeckte die Armee eigenen Angaben zufolge ein riesiges Waffenlager nahe eines Krankenhauses und einer Schule. Dort hätten sich Hunderte Panzerfaustgeschosse und Panzerfäuste befunden sowie Dutzende Panzerabwehrraketen, Sprengsätze, Raketen mit längerer Reichweite, Granaten und Drohnen.
Es handele sich "um eines der größten Waffenlager", die bisher im Gazastreifen entdeckt worden seien. Die Waffen seien von den Soldaten mitgenommen worden, manche würden weiter untersucht, andere seien direkt vor Ort zerstört worden.
Militär setzt Luftangriffe fort
Zuvor teilte die Armee außerdem mit, sein Bombardement im Gazastreifen fortgesetzt zu haben. Im Laufe des vergangenen Tages seien etwa 250 Terrorziele angegriffen worden. Die Truppen seien weiter dabei, Waffen, Tunnelschächte, Sprengstoff und andere militärische Infrastruktur zu lokalisieren.
Ein Kampfflugzeug habe im Verbund mit den Bodentruppen zwei Raketenabschussrampen getroffen, von denen aus Terroristen ein Sperrfeuer von Raketen auf das Zentrum Israels abgeschossen hätten. Bei weiteren Angriffen seien Terroristen der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad getötet worden.
Kämpfe beeinträchtigen Hilfslieferungen
Wegen der anhaltenden Kämpfe und Straßenschließungen durch die israelischen Streitkräfte ist laut der UN-Nothilfeorganisation OCHA die Verteilung von Hilfsgütern eingeschränkt. Über die vergangenen drei Tage sei diese nur in und um Rafah an der südlichen Grenze des Küstengebiets mit Ägypten möglich gewesen.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen forderte ein Ende der Belagerung. Im Al-Aksa-Krankenhaus, nördlich von Chan Yunis, seien die Vorräte an Treibstoff und medizinischem Material inzwischen auf einem "kritisch niedrigen" Niveau, erklärte die Organisation. Seit dem Auslaufen der Waffenruhe am 1. Dezember seien täglich bis zu 200 Verwundete eingeliefert worden.
"Ohne Strom funktionieren die Beatmungsgeräte nicht mehr, die Blutspenden müssen eingestellt werden, und die Sterilisation von chirurgischen Instrumenten ist unmöglich", sagte Marie-Aure Perreaut Revial, die Notfallkoordinatorin der Hilfsorganisation im Gazastreifen.
Der abgeriegelte Küstenstreifen muss seit der ersten Woche des Krieges, der durch den Großangriff der Hamas am 7. Oktober ausgelöst wurde, ohne Strom auskommen - abgesehen von jenem, der mit Hilfe von Treibstoff über Generatoren erzeugt wird. Angesichts des Mangels an Treibstoff mussten jedoch bereits mehrere Krankenhäuser den Betrieb einstellen.
Graue Flächen: Bebaute Flächen im Gazastreifen. Schraffur: Israelische Armee
Verliert die Hamas an Rückhalt in der Bevölkerung?
Indessen gibt es im Gazastreifen auch deutliche Anzeichen, dass die Hamas in der dortigen Bevölkerung an Rückhalt verliert. Das liege vor allem an der katastrophalen humanitären Lage, sagte Ohad Hemo, ein Experte für die palästinensischen Gebiete, dem israelischen Sender Channel 12. "Die Spannung zwischen der Hamas und der Zivilbevölkerung wird im Süden des Gazastreifens größer und verschlimmert sich", so Hemo. Es gebe weiterhin kein Wasser, keine Nahrung und kein Gas. "Ein Grund dafür ist, tatsächlich, dass die Hamas einen sehr großen Teil der Hilfslieferungen stiehlt, die in den Gazastreifen kommen. Natürlich weiß das auch die Zivilbevölkerung."
Hamas meldet mehr als 16.000 Tote
Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen wurden seit Kriegsbeginn rund 16.300 Menschen getötet, darunter mehr als 7.100 Kinder und rund 4.900 Frauen. Tausende Menschen werden noch vermisst und liegen vermutlich unter den Trümmern zahlloser zerstörter Häuser begraben.
Die Opferzahlen lassen sich gegenwärtig nicht unabhängig überprüfen. Die Vereinten Nationen und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten.
Mit Informationen von Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv