Ansturm auf Lampedusa Flüchtlingsstrom schreckt Europa auf
Alarm in Europa: Der Massenansturm von Flüchtlingen hat die Europäer aufgeschreckt. Italien fühlt sich allein gelassen, die EU-Innenminister beraten. Die Bundesregierung lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen ab. Inzwischen riegelte die Übergangsregierung in Tunis den Küstenstreifen ab. Der Flüchtlingsstrom nach Lampedusa ebbte ein wenig ab.
Der Massenandrang von Flüchtlingen aus Tunesien hat Europa aufgeschreckt. Der Europarat appellierte an Italien, die seit Tagen in dem Land eintreffenden tunesischen Flüchtlinge nicht auszuweisen. Es dürfe es keine "massiven Abschiebungen" geben, sagte der Präsident der Parlamentarier-Versammlung des Europarats, Mevlut Cavusoglu, in Straßburg. Zugleich mahnte er: Die europäischen Staaten müssten ihren Teil der Verantwortung übernehmen. Die Bundesregierung lehnte die Aufnahme von Flüchtlingen bereits ab.
Bislang kein Hilfegesuch Italiens an EU
Ein Sprecher von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström erklärte, Italien habe wegen der Flüchtlingswelle noch keine Unterstützung aus Brüssel angefordert. Bei einer Bitte aus Rom sei etwa eine rasche Entsendung von EU-Grenzschutzexperten möglich, sagte Michele Cercone. Er verwies auf Griechenland: Dort unterstützen EU-Experten unter anderem aus Deutschland die griechischen Grenzschützer bei der Sicherung der Grenze zur Türkei. Italien und die EU seien "mit nie da gewesenen Umständen konfrontiert", fügte Kommissionssprecher Cercone hinzu. Brüssel sei sich des außergewöhnlichen Drucks auf Italien bewusst.
Auf Ablehnung in Brüssel und Berlin stieß der Vorschlag Italiens, Polizeikräfte aus EU-Ländern zur Bewältigung der Massenflucht nach Tunesien zu entsenden. Damit würde die Souveränität Tunesiens infrage gestellt, sagte Außenminister Guido Westerwelle in Berlin. Die EU-Kommission betonte, dass bei allen Maßnahmen "die bestehenden Regeln und die Menschenwürde" beachtet werden müssten. "Frontex ist niemals dafür da, um illegale Flüchtlinge zurückzuschicken", betonte der Kommissions-Sprecher.
Eine Weiterleitung der Flüchtlingsströme in andere EU-Staaten ist derzeit nicht möglich. Das sogenannte Dublin-II-Abkommen legt fest, dass Asylbewerber bis zur Prüfung ihrer Anträge in dem Land bleiben müssen, in dem sie europäischen Boden betreten haben.
EU-Außenbeauftragte schweigt
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton wollte sich zu dem neuen Flüchtlingsproblem der EU bei ihrem Besuch in Tunis nicht äußern. Über das Migrationsproblem werde in Brüssel beraten, sagte Ashton in Tunis, einen Monat nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali. Auf Fragen nach dem Umgang mit den tunesischen Migranten, die zu Tausenden auf der italienischen Insel Lampedusa angekommen waren, wollte sie nicht weiter antworten.
Flüchtlingsstrom ebbt ab
Die tunesische Übergangsregierung regierte derweil auf die gewaltige Flüchtlingswelle eigener Landsleute in Richtung Italien. In der Küstenregion Gabès seien mittlerweile alle möglichen Fluchtwege blockiert, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur TAP. Folge: In den vergangenen 24 Stunden kamen keine weiteren Flüchtlinge auf der Mittelmeerinsel Lampedusa an. Eine Sprecherin der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Genf sagte, bis zum Nachmittag seien keine neuen Boot auf der Insel angekommen. Von den rund 5000 Tunesiern, die in den vergangenen fünf Tagen auf der Insel gelandet waren, seien 3000 auf das italienische Festland gebracht worden.
Nach Angaben der IOM ist das einzige Aufnahmelager für Flüchtlinge völlig überfüllt. Viele hätten in dem Zentrum, das für 800 Menschen ausgelegt ist, auf dem Boden schlafen müssen, sagte die Sprecherin der Hilfsorganisation. Auf dem nur 20 Quadratkilometer großen Eiland wurde bereits am Wochenende der humanitäre Notstand ausgerufen.