Russischer Chefentwickler der Su-25 "MH17 nicht von Kampfjet abgeschossen"
Der Abschuss von Flug MH17 über der Ostukraine im vergangenen Sommer kann nicht durch einen ukrainischen Kampfjet vom Typ Su-25 erfolgt sein. Das sagt nicht irgendwer, sondern der russische Chefentwickler der Su-25, Wladimir Babak. Bislang befeuerten der Kreml und russische Medien genau diese These.
Noch gibt es kein offizielles Ermittlungsergebnis, wer die Boeing mit 298 Menschen am 17. Juli 2014 über der Ostukraine abgeschossen hat. Umso heftiger tobt der Kampf um die Hintergründe des Abschusses: Westliche Geheimdienste gehen von einem Buk-Raketenwerfer im Separatistengebiet aus. Die staatlich kontrollierten russischen Medien sprechen dagegen von einem ukrainischen Kampfflugzeug, das die Boeing abgeschossen habe.
Im Fokus steht dabei vor allem die Su-25, ein weit verbreiteter Flugzeugtyp aus sowjetischer Herstellung. Das russische Verteidigungsministerium hatte kurz nach dem Absturz von MH17 erklärt, dass eine ukrainische Su-25 in der Nähe der malaysischen Boeing gesehen worden sei. Dieser Version widerspricht der russische Chef-Konstrukteur dieses Flugzeugtyps im Interview mit WDR, NDR und SZ.
"Wir haben mit unseren Kollegen alle Varianten durchgespielt und können nicht verstehen, wie eine Su-25 die Boeing hätte abschießen können", sagt Wladimir Babak, der sich seit 35 Jahren mit seinem Lieblingskind, der Su-25, beschäftigt. Zwar könne das Flugzeug ganz kurz auf mehr als 10.000 Meter Höhe steigen, könne dort aber nicht schießen, ohne abzustürzen. Denn die Su-25 sei ein Tiefflieger, nur dafür sei sie konstruiert worden.
Konstrukteur geht von einer Boden-Luft-Rakete aus
Der Konstrukteur hält es auch für unmöglich, dass andere Kampfflugzeuge die Maschine abgeschossen haben. Denn Luft-Luft-Raketen hätten andere Wirkungen gehabt, sie hätten eine so starke Maschine wie die Boeing nur beschädigt, nicht in der Luft auseinanderbrechen lassen. MH17 ist aber schon in der Luft zerbrochen.
"Ich möchte nochmal betonen, dass an den Wrackteilen am Boden zu sehen ist, dass das Flugzeug in der Luft auseinandergebrochen ist. Es ist nicht beim Aufprall auf den Boden passiert, sondern in der Luft", sagt Babak. Das Fazit des Ingenieurs lautet daher: "Die Boeing wurde mit einer Buk-Rakete abgeschossen. Ich kann mir nichts anderes vorstellen." Eine Buk ist eine Boden-Luft-Rakete, die am Boden von Kettenfahrzeugen abgefeuert wird.
Für Babak bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Separatisten für den Abschuss verantwortlich sind. Er hält eine abgefeuerte Buk der ukrainischen Armee als Ursache durchaus für denkbar. Die Ukraine verfügt über solche Waffen, aber zum Zeitpunkt des Abschusses von MH17 offenbar auch die Separatisten. Als Beleg dafür hat das internationale Bloggerteam Bellingcat Fotos und Videos präsentiert: Die Bilder zeigen einen Buk-Raketenwerfer am Tag des Abschusses im Separatistengebiet, auch wenn die Separatisten dies immer wieder geleugnet hatten.
Ein wichtiger Hinweis ist auch auf einem Foto zu sehen, das Minuten nach der Katastrophe aufgenommen wurde: Zu sehen ist eine für Buk-Abschüsse typische Rauchsäule im Separatistengebiet.
Anwohner berichten von Raketen-Abschussgeräuschen
In der ostukrainischen Stadt Snizhne, dort wo die Rauchsäule hinführt, berichten Anwohner dem Rechercheteam von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung tatsächlich von Geräuschen, wie sie für einen BUK-Abschuss typisch sind - am Tag der Katastrophe. Aus Angst wollen sie nicht erkannt werden. Ein Anwohner erzählt: "Es gab einen Knall, man hat wohl aus Richtung Stepanowka geschossen. Man hörte einen Knall, dann ein Gezische, dann noch einen Knall im Himmel und dann gab es eine Explosion."
Südlich von Snizhe liegt das Dorf Pervomais'ke. Damals heftig umkämpftes Gebiet, wie Anwohner erzählen. Ukrainische Armee und Separatisten standen sich erbittert gegenüber, sie kämpften um den militärisch wichtigen Hügel Saur-Mogila. Das Foto mit der verräterischen Rauchsäule zeigt eine Stelle nahe Pervomais'ke.
Ein anderes Bild, das von einem Satelliten aufgenommen wurde, belegt, dass ein verdächtiges Feld zwischen dem 16. und 20. Juli 2014 verbrannt oder umgepflügt wurde. Heute ist hier ein militärischer Checkpoint, Männer mit Kalaschnikows verlangen Papiere. Das verdächtige Feld liegt einige hundert Meter von der Straße entfernt, Zutritt nicht möglich. Doch vieles deutet darauf hin, dass von hier die für MH17 tödliche Buk-Rakete abgefeuert worden sein könnte.
Die schwierige Suche nach der Wahrheit
Unklar ist immer noch, ob das Flugzeug mit einem von Russland an die Separatisten abgegebenen Buk-Raketensystem abgeschossen wurde, oder mit einer von Separatisten erbeuteten Buk, von einem ukrainischen Stützpunkt. Westliche Geheimdienste gehen inzwischen davon aus, dass Russland die Buk an die Separatisten geliefert hat, dass der Abschuss einer Passagiermaschine aber nicht beabsichtigt war.
Noch immer gibt es dazu keine offizielle Äußerung der internationalen Untersuchungskommission, die von der niederländischen Staatsanwaltschaft geleitet wird. In einem ersten Bericht des niederländischen Dutch Safety Boards, der im vorigen Jahr veröffentlicht wurde, waren Schuldzuweisungen vermieden worden. Der Abschlussbericht der Behörde wurde für Sommer 2015 angekündigt.