Neuseeland wählt Chris gegen Chris
Nach dem Rücktritt von Neuseelands Polit-Star Jacinda Ardern kämpft ihr Nachfolger Chris Hipkins nun darum, die Labour-Partei an der Regierung zu halten. Doch in Umfragen liegt die Opposition vorn - mit einem anderen Chris.
Die Politik in Neuseeland hat für internationale Beobachter ihren Glamour verloren, seit Jacinda Ardern im Januar als Regierungschefin zurückgetreten ist.
Ihr Nachfolger Chris Hipkins ist 45 Jahre alt, geht gerne klettern, ist ein Fan von Würstchen im Blätterteig und Diät-Cola. Ein Mann der Mitte, der eine breitere Wählerschaft ansprechen soll als Ardern und so die sozialdemokratische Labour-Partei zu einer dritten Amtszeit führen soll.
Chris Hipkins verteilt bei einem Pressetermin Bratwürste.
"Haufen Mist erworben"
Unter Ardern war Hipkins Minister für Bildung, den öffentlichen Dienst und zeitweise Gesundheit. Während der Covid-Pandemie konnte er sich als Krisenmanager profilieren. Als gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine Flutkatastrophe und Zyklon Gabrielle Neuseeland trafen, konnte er diese Fähigkeiten erneut unter Beweis stellen.
"Eigentlich kommt er gut an, aber ich glaube, er hat einfach einen Haufen Mist erworben", sagt Monique Surges, Leiterin der deutschen Auslandshandelskammer in Neuseeland. So wie es derzeit liefe, stünden seine Chancen eher schlecht. Die Labour-Partei kämpfte in den vergangenen Monaten mit internen Skandalen und Ministerwechseln.
Die Bevölkerung beklagt steigende Lebenshaltungskosten, eine hohe Inflation, mangelnden bezahlbaren Wohnraum, ein marodes Gesundheitssystem und eine zunehmende Banden- und Drogenkriminalität in den Städten. Diese Themen dominierten daher auch den Wahlkampf.
Opposition führt in Umfragen
Laut Umfragen sieht alles nach einem Regierungswechsel aus. Chippy, wie Chris Hipkins auch genannt wird, liegt mit 26 Prozent Zustimmung auf dem zweiten Platz. Vorne liegt mit 36 Prozent die größte Oppositionspartei, die konservative National Party. Ihr Slogan: Das Land wieder auf Kurs bringen. Eines ihrer wichtigsten Wahlversprechen: Steuersenkungen.
Der Vorsitzende der National Party, Christopher Luxon, ist ein politischer Neuling. Der 53-jährige Geschäftsmann war CEO der neuseeländischen Fluggesellschaft Air New Zealand. Seit drei Jahren sitzt er im Parlament. Im Wahlkampf ist er viel im Land unterwegs gewesen, um mit den Menschen auch in kleinen Orten ins Gespräch zu kommen.
"Jeder geht auf Nummer sicher"
Die Neuseeländerinnen Louise und Stephanie aus Auckland sind von beiden Politikern nicht begeistert. In ihren Augen packt keine der großen Parteien die Probleme des Landes wirklich an. "Jeder geht auf Nummer sicher, um gewählt zu werden", sagt Stephanie.
So bremste Hipkins zum Beispiel eine geplante Vermögenssteuer aus und konzentriert sich seit Anfang des Jahres auf "Brot und Butter"-Themen, wie er sagt. Die Regierung erhöhte Zuschüsse für die Kinderbetreuung, senkte Kosten für öffentliche Verkehrsmittel und bot mehr kostenlose Schulmahlzeiten an, um Menschen mit mittleren Einkommen zu unterstützen.
Ex-Premierministerin Ardern polarisierte
Die beiden Frauen aus Auckland vermissen Jacinda Ardern und ihre Art, Dinge anzupacken und zu verändern. Die ehemalige Regierungschefin hat bei ihnen in der Nachbarschaft gewohnt. Doch aus dem Wahlkampf hält sich Ardern bewusst raus. Sie ist gerade in den USA an der Harvard-Universität. Politische Beobachter halten das für eine strategisch gute Entscheidung. Arderns Politik habe die Gesellschaft in Neuseeland gespalten: Sie wurde geliebt oder gehasst, bekam Todesdrohungen, besonders wegen ihrer strikten Covid-Politik.
Während ihr nahbarer Politikstil im Ausland gefeiert wurde, nahm die Kritik im Inland immer weiter zu. "Ich nenne das den Merkel-Effekt", sagt Monique Surges. "In Neuseeland hat jeder wirklich toll über Merkel geredet. Und dann war ich erstaunt, wenn ich mit Verwandten in Deutschland gesprochen habe. Die haben nur gemeckert."
Streitthema Maori-Politik
Nicht nur Arderns Covid-Politik stand in der Kritik, sondern auch ihr Fokus auf die Wiederbelebung von Sprache und Kultur der indigenen Maori. "Es gibt viele weiße Neuseeländer, die sich von der Politik in die Ecke gedrängt fühlen", beobachtet Surges. Man werde fast verpflichtet, Maori zu lernen. Die Sprache findet sich zunehmend in Regierungsdokumenten, auf staatlichen Webseiten oder Straßenschildern. Surges selbst lernt die indigene Sprache inzwischen mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Büro.
Rund 15 Prozent der Neuseeländer bezeichnen sich selbst als Maori. Einer von ihnen ist Etienne Neho vom Stamm Ngati Whatua Orakei. Er will seine Stimme der Maori-Partei geben. "Das ist der einzige Weg, wie wir vorankommen, zum Wohle unseres Volkes, unserer Kultur und unserer Sprache."
Außenpolitik zum ersten Mal Thema
Das erste Mal seit Jahren ist die neuseeländische Außen- und Verteidigungspolitik ein Thema im Wahlkampf. Die Öffentlichkeit ist zunehmend besorgt über die geopolitischen Spannungen um Taiwan und Chinas Machtansprüche vor ihrer Haustür im Südpazifik. Mit den Salomonen etwa hat China ein Sicherheitsabkommen geschlossen, von dem bis heute nicht klar ist, was der Pakt beinhaltet.
Der Ton der Labour-Partei hat sich vor dem Hintergrund der wachsende Präsenz Pekings im Südpazifik verschärft, während die National Party aus wirtschaftlichen Gründen eher eine weitere Annäherung anstreben würde. Sehr stark unterscheiden sich die Positionen jedoch nicht.
Differenzen beim Klimaschutz
Beim Klimaschutz schlagen National und Labour unterschiedliche Töne an. Die Regierung unter Ardern hat eine Reihe neuer Gesetze und Vorschriften erlassen, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. So sollen etwa Emissionen von landwirtschaftlichen Betrieben, wie Schaf- und Rinderfarmen, ab Ende 2025 besteuert werden.
Dieser Vorschlag stößt auf erheblichen Protest bei Landwirten, die höhere Produktionskosten und eine geringere Wettbewerbsfähigkeit fürchten. Die National Party will die Besteuerung um fünf Jahre bis 2030 hinauszögern, während sie gleichzeitig das Verbot für Gentechnik aufheben will.
Keine Begeisterung
Die Stimmung in Neuseeland steht auf Wechsel. Die Mehrheit scheint genug von Labour zu haben und etwas Neues ausprobieren zu wollen. Doch auch Luxons National Party wird den Umfragen zufolge nicht allein regieren können, sondern muss sich Koalitionspartner suchen. Das könnten die populistische Partei New Zealand First oder die rechtsliberale Partei ACT sein.
Insgesamt scheinen beide großen Parteien und ihre Kandidaten die Wähler nicht begeistern zu können, weder Chris Hipkins noch Chris Luxon. Doch so oder so, ein Chris wird ziemlich sicher neuer Regierungschef von Neuseeland werden.