Bewaffnete Männer in Papua-Neuguinea.
weltspiegel

Stammeskriege Der brutale Alltag in Papua-Neuguinea

Stand: 17.11.2024 08:50 Uhr

Stammeskriege sind Alltag in Papua-Neuguinea. Das Land hat bis zu tausend ethnische Gruppen - und neue wirtschaftliche Rivalitäten sowie alte Fehden werden mit modernen Waffen immer brutaler ausgetragen.

Von Florian Bahrdt und Julia Kurrat, ARD Singapur

"Die Angreifer kamen mitten in der Nacht", erzählt Danny, während er an Grabstätten in seinem winzigen Heimatdorf im Hochland Papua-Neuguineas vorbeiläuft. Hier wurden Dorfbewohner bestattet, die bei der letzten Auseinandersetzung mit einem verfeindeten Clan ums Leben gekommen waren.

Solche Stammeskriege sind Alltag im Inselstaat nördlich von Australien, fast wöchentlich gibt es Berichte über eskalierende Streitigkeiten, Chaos und Gewalt. Mehrere hundert Menschen sterben jedes Jahr bei den Auseinandersetzungen.

Eine bergige Landschaft in den Highlands Papua-Neuguineas.

Die Ursachen der Konflikte in dem ethnisch extrem heterogenen Staat sind vielfältig. Teils geht es um Landrechte und Ressourcen, teils um persönliche Auseinandersetzungen oder politische Spannungen.

Spirale der Rache

Die Ursachen der Konflikte liegen zum Teil Generationen zurück. Papua-Neuguineas Gesellschaft ist geprägt durch hunderte unterschiedliche Ethnien mit mehr als 800 Sprachen und unterschiedlichen Traditionen.

Zwar hat sich nach dem Ende der Kolonialzeit unter Großbritannien, Deutschland und Australien eine Identifikation mit dem fast 50 Jahre alten Staat entwickelt, aber den Lebensmittelpunkt und den Wertekompass sehen die meisten in ihrer Dorfgemeinschaft.

Ein Streit zwischen ethnischen Gruppen oder Stämmen, der vor Jahrzehnten begann, kann immer wieder aufflammen. Alte Fehden heizen die Gewalt an, und die Eskalation folgt meist dem gleichen Muster: Ein Übergriff fordert Opfer, die andere Seite übt Rache. Es ist eine Spirale aus Gewalt und Vergeltung.

Karte Papua-Neuguinea mit Port Moresby

Gesellschaftsstrukturen im Umbruch

Die Ursachen der Konflikte sind vielfältig. Häufig geht es um Landrechte. Hinzu kommen Ressourcenkonflikte, etwa um den Zugang zu Flüssen, Jagdgebieten oder landwirtschaftlichen Flächen. Nicht selten sind auch persönliche Auseinandersetzungen oder die Ehre einer Familie Auslöser. Zudem können politische Spannungen und wirtschaftliche Unterschiede zwischen Dorfgemeinschaften eine Rolle spielen.

Nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC) sind mehr als 50 Prozent der Bevölkerung des Landes unter 24 Jahre alt. Wenige Perspektiven und begrenzte Arbeitsplätze treiben demnach viele Jugendliche in die Gewalt.

Darüber hinaus veränderten sich im Zuge der Modernisierung Papua-Neuguineas und der Verfügbarkeit von sozialen Medien die traditionellen Kultur- und Stammesstrukturen. Traditionelle Anführer und Respektspersonen würden ihren stabilisierenden Einfluss verlieren, so das ICRC.

Eskalation durch moderne Waffen

Wenn ein Stammesmitglied getötet oder verletzt wird, bleibt das selten ohne Antwort. Der betroffene Stamm fühlt sich zur Rache verpflichtet. Während Danny über lehmigen Boden an den kleinen Häusern aus Stroh vorbeigeht, erzählt er von der Logik der Auseinandersetzungen:

Wenn Du meine Leute tötest, töte ich Dich. Alle haben eine riesige Wut im Bauch. Wir haben gesehen, wie sie unsere Verwandten mit Macheten und Äxten und anderen Waffen getötet haben. Und darum will ich es ihnen auf dieselbe Art und Weise heimzahlen.

Die Eskalation wird zusätzlich durch den Zugang zu modernen Waffen verschärft: Wo früher traditionell Pfeil und Bogen verwendet wurden, sind heute immer häufiger automatische Waffen im Einsatz, die durch illegalen Handel oder Schmuggel ins Land gelangen. Diese Entwicklung hat nicht nur die Zahl der Opfer erhöht, sondern auch das Ausmaß der Zerstörung verstärkt.

Eine Frau mit Baby in Papua-Neuguinea.

Die Konflikte destabilisieren ganze Landesteile Papua-Neuguineas. Schulen, Krankenhäuser und wichtige Versorgungswege werden immer wieder zerstört oder blockiert.

Stammeskriege sorgen für Krisen im ganzen Land

Die Polizeikräfte Papua-Neuguineas stoßen angesichts der Stammeskriege an ihre Grenzen. Die oft unzugängliche Lage vieler Konfliktregionen erschwert es der Polizei, rechtzeitig einzugreifen. Infrastruktur und Ausrüstung sind mangelhaft, und in einigen Fällen müssen sie tagelang durch unwegsames Gelände reisen, um zu den Krisengebieten zu gelangen. Zudem fehlt es an ausreichenden Ressourcen und finanziellen Mitteln.

Ein Polizist, der manchmal Besucher aus dem Ausland durch die gefährliche Region in den Southern Highlands begleitet, erzählt: "Wir Polizisten haben nur ein paar Schrotflinten und Sturmgewehre. Aber sie haben viel mehr und leistungsfähigere Waffen. Scharfschützen könnten hier überall auf Anhöhen liegen und von da schießen." Auch Soldaten und Polizisten seien bereits getötet worden.

In den Augen vieler Stämme gilt die staatliche Polizei außerdem als Institution, die das lokale Rechtssystem nicht versteht, so dass die Sicherheitskräfte oft wenig Akzeptanz bei den Stämmen genießen.

Für den Staat Papua-Neuguinea sind die Konflikte auch deshalb ein Problem, weil sie ganze Landesteile destabilisieren können. Sie unterbrechen wirtschaftliche Aktivitäten und belasten die ohnehin fragile Infrastruktur. Schulen, Krankenhäuser und wichtige Versorgungswege werden immer wieder zerstört oder blockiert. Besonders im ländlichen Raum, wo die staatliche Präsenz schwach ist, führen die Auseinandersetzungen zu einer allgemeinen Unsicherheit, die viele Menschen zwingt, ihre Heimat zu verlassen.

Erfolglose Maßnahmen der Regierung

Die Regierung in der Hauptstadt Port Moresby versucht, die Lage durch Friedensverhandlungen zu entspannen. So gab es zum Beispiel Friedensgespräche im Februar 2024, bei dem Vertreter mehrerer betroffener und verfeindeter Stämme mit der Regierung des Landes zusammenkamen, um einen Waffenstillstand zu vereinbaren - jedoch ohne konkrete, verbindliche Ergebnisse.

Im vergangenen Jahr hat Papua-Neuguinea ein Sicherheitsabkommen mit der ehemaligen Kolonialmacht Australien abgeschlossen, das australische Unterstützung bei der Bekämpfung innerer Sicherheitsprobleme zusichert.

Grundsätzlich aber scheitern Bemühungen um gewaltfreie Lösungen der Konflikte oft am tiefsitzenden Misstrauen der Stämme gegenüber staatlichen Autoritäten. Zivilgesellschaftliche Organisationen und religiöse Gruppen erzielen in manchen Regionen kleinere Erfolge, doch das Ausmaß der Herausforderungen übersteigt ihre Kapazitäten. Die Menschen in Papua-Neuguinea rechnen also weiterhin mit regelmäßigen Ausschreitungen, Verletzten und Toten.

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Weltspiegel - am Sonntag um 18.30 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 17. November 2024 um 18:30 Uhr.