Freiwilligen-Bataillone in der Ukraine Kämpfen auf eigene Faust
Wenn die ukrainische Armee gegen die pro-russischen Separatisten kämpft, wird sie dabei von Aidar unterstützt. Das ist der berüchtigtste Freiwilligenverband - viele Mitglieder sind Neonazis und Rechtsextreme. Doch auch die Separatisten kämpfen nicht allein.
Seit Wochen verbringen die Einwohner in den Dörfern entlang der unsichtbaren Grenzlinie zu den sogenannten Autonomen Republiken Donezk und Lugansk fast jede Nacht in Kellern und Schutzräumen. Sie haben Angst vor dem immer wiederkehrenden Artilleriebeschuss. Denn ungeachtet der vereinbarten Waffenruhe im Osten der Ukraine gibt immer wieder Feuergefechte zwischen den pro-russischen Separatisten und den ukrainischen Streitkräften.
In vielen Fällen beklagen sich die Betroffenen darüber, dass der Beschuss ihrer Wohnhäuser aus der Richtung der ukrainischen Streitkräfte komme. Unklar bleibt jedoch, ob in solchen Fällen reguläre ukrainische Streitkräfte verantwortlich sind oder die Freiwilligen-Bataillone, die an deren Seite gegen die pro-russischen Separatisten kämpfen. Diese Verbände, bestehend aus erfahrenen und zu allem entschlossenen Kämpfern, hatten sich im Mai gebildet - nach dem Beginn der schleichenden russischen Invasion im Osten der Ukraine. Sie verstärken die Regierungstruppen beim Kampf gegen die Separatisten und die sie unterstützenden Russen.
Neonazis und Rechtsextreme
Dabei handeln die Freiwilligen-Bataillone aber offenbar weitgehend auf eigene Faust und nach eigenen Regeln. Besonders berüchtigt ist das Bataillon Aidar, zu dem rechtsgerichtete ukrainische Nationalisten gehören, von denen sich einige mit Hakenkreuzen und anderen Nazi-Symbolen schmücken - als Abzeichen auf der Tarnkleidung oder als Tätowierung auf dem Körper. Die Anführer und viele Mitglieder sind bekennende Neonazis und Mitglieder von rechtsextremen Gruppen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft Aidar schwere Menschenrechtsverletzungen vor: "In den Gebieten, die diese Bataillone von den pro-russischen Separatisten zurückerobert haben, haben sie die gleichen Verbrechen begangen, wie zuvor die Separatisten", sagt Bogdan Ovcharuk, der Sprecher von Amnesty International in der Ukraine. "Wir haben Folter dokumentiert, Misshandlungen, Entführungen und Lösegeld-Erpressung. Die fehlende Untersuchung solcher Straftaten und die fehlende Kontrolle dieser Bataillone führen immer wieder zu solchen Verstößen."
Der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, forderte bei seinem jüngsten Besuch in Kiew die ukrainische Regierung auf, die Freiwilligenverbände stärker unter Kontrolle zu halten. Es dürfe nicht sein, sagte er, dass sich die offiziellen Truppen und ihre Verbündeten genauso verhielten wie die Separatisten und ihre russischen Unterstützer: "Das Aidar-Bataillon und einige andere Freiwilligen-Verbände haben zurzeit faktisch kein Oberkommando und keine klare Kommandostruktur. Es sieht so aus, als seien sie faktisch niemandem verantwortlich. Sogar die Kommandeure der lokalen Regierungstruppen scheinen keine Kontrolle über sie zu haben."
Die Regierungstruppen scheinen keine Kontrolle über die Freiwilligen-Bataillone zu haben, sie können aber offenbar auch nicht auf ihre Unterstützung verzichten. Aidar und die anderen Verbände haben mehrere Hundert Mann unter Waffen, die mit Entschlossenheit und Brutalität in den Kampf ziehen. Im Internet kursieren Videos vom Gefechtstraining, mit denen Aidar seine Schlagkraft demonstrieren und weitere Freiwillige rekrutieren möchte. Während die regulären Truppen Panzer und Militärfahrzeuge haben, fahren die Freiwilligen von Aidar in alten Autos an die Front, darunter auch Fahrzeuge, die sie der Zivilbevölkerung im Osten gestohlen beziehungsweise zwangsweise konfisziert haben.
Zusammengeschweißt auf dem Maidan
Bei der Bevölkerung in der ukrainischen Hauptstadt und im Westen der Ukraine haben die freiwilligen Kämpfer großen Rückhalt. In Kiew gibt es immer wieder Kundgebungen von Sympathisanten, die von der ukrainischen Regierung mehr Unterstützung fordern. Und der Maidan ist es, der die Freiwilligenverbände zusammengeschweißt hat.
Viele der nationalistischen Kämpfer waren schon auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew dabei, als Ende vergangenen Jahres der Aufstand gegen die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch begann, ein zunächst friedlicher Protest von Tausenden Ukrainern, die für eine Annäherung ihres Landes an die Europäische Union demonstrierten. Doch der Aufstand führte nach wochenlangen schweren Zusammenstößen mit mehr als 100 Toten letztendlich zum Sturz des Regimes. Die Mitglieder des sogenannten Rechten Sektors hatten in vorderster Front gegen die inzwischen aufgelöste Spezialeinheit Berkut gekämpft, die berüchtigte Sonderpolizei von Janukowitsch. Ohne die Kämpfer des Rechten Sektors wäre der Umsturz wahrscheinlich nicht so schnell gelungen.
Auch die Separatisten kämpfen nicht alleine
Auch die andere Seite, die pro-russischen Separatisten, kämpft nicht alleine. Die Präsenz offizieller russischer Soldaten in der Ukraine wurde zwar von der Regierung in Moskau immer wieder als westliche Propaganda bezeichnet und als Falschmeldung westlicher Medien dementiert. Die Recherchen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International haben jedoch die Beteiligung russischer Streitkräfte im Konflikt rund um Donezk und Lugansk bestätigt.
"Uns liegen Satellitenaufnahmen vor, aus denen ganz deutlich eine direkte aktive Beteiligung Russlands ersichtlich ist", sagte Amnesty-Generalsekretär Shetty in Kiew und sprach von einem echten zwischenstaatlichen Konflikt: "Russland kann nicht länger leugnen, Konfliktpartner zu sein. Dort sind systematisch gut organisierte mobile Artillerie-Einheiten und andere bewaffnete Einheiten im Einsatz. Es ist nicht möglich, dass die Separatisten dies alleine organisieren könnten. Außerdem gibt es Augenzeugenberichte von russischen Panzern, die die Grenze zur Ukraine überquert haben. Man kann das also nicht mehr leugnen."
Kämpfen gegen das westliche Wertesystem
Zudem haben sich offenbar freiwillige Kämpfer aus anderen Teilen Europas auf die Seite der pro-russischen Separatisten geschlagen. Fernsehreporter haben in der Ukraine unter anderem serbische Kämpfer getroffen, die an einem unbekannten Ort das mögliche Ende der ausgehandelten Waffenruhe abwarten, bevor sie gegen die ukrainischen Streitkräfte und die mit ihnen verbündeten Freiwilligen-Bataillone in die Schlacht ziehen.
Einer von ihnen, der sich Radimir nennt, fühlt sich den Russen durch die gemeinsame slawische Kultur verbunden: "Ich bin aus Serbien und ich weiß, was es heißt, gegen einen universellen Feind zu kämpfen. Zu kämpfen gegen das westliche Wertesystem, das sie uns aufzwingen wollen. Wir haben unseren eigenen Weg, unsere eigene Spiritualität und das Recht, so zu leben wie wir wollen. Die Menschen dort im Osten sollten das Recht haben ihre eigene Sprache zu sprechen und ihre eigene Kultur zu leben. Was diese Junta in Kiew und ihre Nazi-Vampire ihnen verweigern wollen."
Außer dem globalen Konflikt zwischen Russland und dem Westen scheint der Osten der Ukraine zu einem Schlachtfeld geworden zu sein, auf dem Freiwillige oder bezahlte Söldner unterschiedlicher Herkunft und Ideologie gegeneinander kämpfen - auf dem Rücken der Zivilbevölkerung des Donbass-Gebietes um Donezk und Lugansk. 3500 Menschen sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen bislang ums Leben gekommen. Man habe sich dabei aber nur auf zugängliche Quellen stützen können, hieß es. Die tatsächliche Zahl der Opfer liege wahrscheinlich wesentlich höher.