UN-Weltbevölkerungsbericht wird vorgestellt Nur in Industrieländern schrumpft die Bevölkerung
Bald ist die Sieben-Milliarden-Marke geknackt: Während in Deutschland die Gesellschaft altert, wächst weltweit die Bevölkerung. Der Weltbevölkerungsbericht fasst das in Zahlen. Renate Bähr von der Stiftung Weltbevölkerung warnt im Interview mit tagesschau.de vor einer "Armutsspirale".
tagesschau.de: 2010 leben laut UNO 6,9 Milliarden Menschen auf der Welt. Damit ist Bevölkerungszahl im letzten Jahr um knapp 80 Millionen Menschen gewachsen. Wir werden also immer mehr. Ist das ein Problem?
Renate Bähr: Ja, die Armut verschärft sich. Die größten Probleme gibt es in Subsahara-Afrika, aber auch in Südasien. In diesen Ländern ist das Bevölkerungswachstum besonders stark. Der Mangel an Bildung und Gesundheitsversorgung ist dort am größten. Je mehr die Bevölkerung wächst, umso größerer werden die Probleme: eine Armutsspirale.
Das andere große Problem ist die Frage: Wie viele Menschen kann die Welt ernähren? Die Zahl der Hungernden steigt, und das hängt auch mit dem Weltbevölkerungswachstum zusammen. Vor dem Hintergrund der wachsenden Weltbevölkerung müssen die Ressourcen effizienter genutzt werden. In den nächsten zwei Jahrzehnten wird sich die Wassersituation dramatisch verschärfen, weil Wasser ganz klar eine ortsgebundene Ressource ist. Viel Wasser in Norwegen hilft einem Land, das kein Wasser hat, kein bisschen.
tagesschau.de: Lassen sich auf globaler Ebene Zusammenhänge zwischen Bevölkerungsentwicklung und Umweltveränderungen feststellen?
Bähr: Ja, ganz klar. Ich nehme das Beispiel Äthiopien: Da ist ganz deutlich zu sehen, dass der Wald abgeholzt wird. Die Bevölkerung wächst, und weil es dort keine andere Energieversorgung gibt, wird das Holz als Brennstoff genommen. Der Faktor Mensch nimmt Einfluss auf die Ressourcen.
tagesschau.de: Das Erdbeben in Haiti oder Überschwemmungen in Pakistan: Ist an den großen Opferzahlen mancher Naturkatastrophen auch das Bevölkerungswachstum schuld?
Bähr: Natürlich hängen nicht alle Naturkatastrophen damit unmittelbar zusammen. Aber wenn ich an die starke Besiedlung in küstennahen Regionen denke und den Einfluss auf das Wetter durch erhöhte C02-Belastung , kann der Faktor Mensch ganz entscheidend für das Entstehen und das Ausmaß solcher Katastrophen sein.
Prognose: Bis 2050 neun Milliarden Menschen
tagesschau.de: Wie wird die Bevölkerungsentwicklung weiter gehen?
Bähr: Wenn nichts Entscheidendes passiert, also etwa mehr Menschen Zugang zu Familienplanung erhalten, dann müssen wir davon ausgehen, dass um 2050 noch einmal 30 Prozent Menschen mehr auf der Welt leben. Mindestens neun Milliarden, wenn nicht mehr. Der stärkste prozentuale Zuwachs ist ganz klar in Afrika zu verzeichnen: Wir gehen davon aus, dass sich bis zum Jahr 2050 in Afrika südlich der Sahara die Bevölkerung auf gut zwei Milliarden Menschen verdoppelt. Die Armutsspirale wird durch das Bevölkerungswachstum noch weiter angeheizt. Das ist das Fatale.
tagesschau.de: In Deutschland wird die Bevölkerung älter und schrumpft. Sind wir damit weltweit allein?
Bähr: Nein, die europäischen Länder und die Industrieländer allgemein wachsen nicht, sondern schrumpfen.
Mehr Migration - vor allem innerhalb der Entwicklungsländer
tagesschau.de: Welche Rolle spielt der Faktor Migration bei der künftigen Bevölkerungsentwicklung? Rechnen Sie mit größeren Bevölkerungsverschiebungen?
Bähr: Die Armut wird den Migrationsdruck noch erhöhen. Gerade in Afrika kann man davon ausgehen. Aber zunächst wird es sich meist um Binnenmigration innerhalb eines Landes handeln, also vom Land in die Stadt, wo man sich ein besseres Leben verspricht. Das Thema Megacities wird noch brennender werden. Erst unter Höhergebildeten geht die Migration dann verstärkt nach Deutschland oder nach Europa. Wir diskutieren ja auch darüber, dass wir Fachkräftemangel haben.
tagesschau.de: Der UN-Bevölkerungsbericht stellt jedes Jahr ausgewählte Aspekte in den Vordergrund. In diesem Jahr sind es Kennzahlen zu Bildung und Gesundheit. Was wurde festgestellt?
Bähr: Mit zunehmendem Bildungsstand werden die Menschen auch gesünder. Da besteht ein ganz deutlicher Zusammenhang. Wenn ich besser informiert bin, kann ich auch besser auf meine Gesundheit achten. Die andere deutliche Erkenntnis ist, dass in den Entwicklungsländern der Gesundheitszustand von Menschen auf dem Land am schlechtesten ist. Es gibt hier ein ganz klares Stadt-Land-Gefälle. In Slums ist die Gesundheitssituation zwar schlecht, aber insgesamt kann man in der Stadt leichter Gesundheitsversorgung leisten.
Die Fragen stellte Fiete Stegers, tagesschau.de