Europawahl 2024
E-Voting in Estland Wahlverhalten bislang nicht verändert
Estland ist das einzige Land, in dem die Bürger bei der Wahl zum Europaparlament online abstimmen können. Eingeführt wurde die Option schon vor fast 20 Jahren. Mehr Menschen wählen bislang aber trotzdem nicht.
Wählen im Internet? Was in Deutschland noch unmöglich scheint, ist in Estland schon lange normal. Bei den letzten Parlamentswahlen stimmte sogar mehr als die Hälfte der Estinnen und Esten online ab.
Datenschutzbedenken scheinen die meisten Menschen nicht zu haben. "Ich halte es für zuverlässig und vertraue dem System sogar mehr. Denn so kann sich schließlich niemand verzählen", sagt eine Passantin; "Es ist einfach bequem, von zu Hause aus per E-Voting zu wählen. Ich habe mich daran gewöhnt." Ein anderer weist darauf hin, dass so auch jene leichter an den Wahlen teilnehmen könnten, die keine Möglichkeit haben, in die Wahllokale zu gehen.
Online-Abstimmung seit 2005
Zum ersten Mal konnten die Estinnen und Esten bereits 2005 online abstimmen. Es war eine Art Testballon bei Lokalwahlen. Später machten die Menschen auch bei Parlaments- und Europawahlen ihr Kreuzchen online.
Dazu müssten die Wahlberechtigten zunächst eine Software auf dem Computer herunterladen, erklärt Arne Koitmäe, Direktor des staatlichen Wahlamtes: "Der Wähler identifiziert sich dann entweder mit der estnischen ID-Karte oder der mobilen ID, trifft seine Auswahl, unterzeichnet sie erneut mit der ID-Karte und überträgt dann die Stimme verschlüsselt an den Abstimmungsserver."
Wer will, kann ins Wahllokal
Für die Estinnen und Esten ist das längst nichts Besonderes mehr. Wer sich technisch nicht fit fühlt, kann weiter ins Wahllokal gehen. Doch das sind in Estland immer weniger.
Das Vertrauen in die Behörden sei dabei groß, sagt der Forscher Mihkel Solvak von der Universität in Tartu: "Die Menschen sehen es nicht notwendigerweise als eine zusätzliche Bedrohung ihrer Privatsphäre. Digital zu wählen ist für sie auch nichts anderes als Gesundheitsdaten im Internet einzusehen oder Finanzen oder Steuern über das Internet zu regeln. Wenn es Kritik gibt, dann daran, dass eine Wahl online schwieriger zu beobachten ist, also zu schauen, ob alles korrekt nach den Regeln abläuft."
"Jüngste Wähler stimmen nicht ab"
Die Verteilung der Stimmen habe sich durch das E-Voting nicht groß verändert, sondern nur die Art, wie die Menschen wählen, sagt Solvak. Vor allem für Estinnen und Esten, die im Ausland leben oder während der Wahl im Urlaub sind, macht die Online-Abstimmung die Teilnahme leichter.
Insgesamt hat sich die Hoffnung, dass sie mehr Menschen zum Wählen motivieren könnte, aber nicht erfüllt. Das will die Regierung ändern.
Gerade hat das estnische Parlament ein Gesetz verabschiedet, dass das Abstimmen per Handy-App möglich macht. Solvak erklärt: "Es ist so designt, dass es die jüngsten Wählerinnen und Wähler anlocken soll. Denn wir haben leider feststellen müssen, dass die nicht abstimmen."
Für die Europawahl kommt die Gesetzesänderung aber zu spät. Bis die App zum Einsatz kommen kann, muss sie noch ganz genau auf ihre Sicherheit geprüft werden - insbesondere, da zurzeit Cyberangriffe zunehmen. Bisher, so heißt es in Estland, habe es bei Online-Wahlen zum Glück keine größeren Pannen oder Zwischenfälle gegeben.