Attacken auf Baerbock Alte Mythen, neues Feindbild
Nach ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin wird die Grünen-Politikerin Baerbock in den sozialen Netzwerken attackiert. Sie sei eine Marionette des Milliardärs Soros, lautet ein Vorwurf.
"Soros-Musterschülerin wird Kanzlerkandidatin" - dazu eine Fotocollage mit dem Milliardär George Soros als Lehrmeister und darunter Annalena Baerbock als dessen Schülerin. Diese Grafik hat der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Siechert auf Facebook veröffentlicht. Mehrere Hundert Konten teilten das Posting. Auf Twitter schrieb ein anonymes Profil, das seit Jahren Desinformation verbreitet: "Ich gratuliere George Soros zur Kanzlerkandidatur" - und postete dazu ein Bild der Grünen-Politikerin neben dem Milliardär und Investor.
Mit solchen und ähnlichen Postings soll offenkundig die Unabhängigkeit der ersten Kanzlerkandidatin der Grünen in Frage gestellt werden. Die Darstellungen suggerieren, sie werde durch einen Strippenzieher gesteuert.
Der AfD-Abgeordnete Sichert behauptet, Baerbock sei eine Musterschülerin von Soros.
Der Milliardär Soros taucht seit Jahren als vermeintlicher Hintermann von Ereignissen und politischen Entscheidungen auf. Er soll den UN-Migrationspakt entworfen haben, um seine angeblichen Pläne für eine Migration oder sogar einen "großen Austausch" der Bevölkerung zu realisieren. Soros soll Flüchtlinge auf der Balkan-Routen mit Millionen Euro finanziert haben, um sie nach Mitteleuropa zu lotsen. In den USA sei er die graue Eminenz hinter Antifa-Gruppen und habe eine Anleitung für Ausschreitungen finanziert - so die Legende, die von rechtsradikalen Aktivisten verbreitet wurde.
In Ungarn, wo Soros geboren wurde, ist er über Jahre zum zentralen Feindbild der Regierung von Viktor Orban aufgebaut worden; mit Verschwörungslegenden machte Orban gezielt Stimmung gegen Soros und seine Stiftungen, die eine offene Gesellschaft fördern sollen. Mit seinen Milliarden steuere Soros eine muslimische Masseneinwanderung in die EU - mit dem Ziel, die christlichen Nationalstaaten in Europa zu destabilisieren, so die Parolen der ungarischen Fidesz-Partei.
In Deutschland setzte vor allem die AfD in der Flüchtlingsfrage auf das Feindbild Soros. Bundestagsabgeordnete der AfD sprachen ebenfalls davon, er sei Wegbereiter des UN-Migrationspakts, dessen Ziel es sei, das deutsche Volk aufzulösen. In einer Bundestagsdebatte behauptete ein AfD-Abgeordneter, Soros wolle sich mit seiner Stiftung "Open Society" für "die Auflösung der gewachsenen europäischen Identitäten" einsetzen.
Der Rechtsextremist Björn Höcke bezeichnete den Verfassungsschutz als "Exekutivorgan für den völkerauflösenden und als pervers zu bezeichnenden Geist eines George Soros" und Kanzlerin Angela Merkel als "Soros-Kundin".
Nun ist es also die Grünen-Kandidatin Baerbock, die angeblich von Soros gesteuert werde. Als vermeintlicher Beleg für die Behauptungen dient ein einziges Foto, das sie neben dem Milliardär zeigt. Tatsächlich ist hier allerdings kein geheimes Treffen zu sehen, sondern Baerbock hatte dieses Foto selbst auf Instagram veröffentlicht - in einer Story und als Beitrag.
Es stammt von der Münchner Sicherheitskonferenz 2019. Dort hatte Baerbock nach eigenen Angaben unter anderem mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras und anderen Politikern sowie auch Soros über "die anstehenden Europawahlen, den Brexit- und den ökologisch-sozialen Umbau unserer Industrie und Wirtschaft" gesprochen.
Altbekannte Muster
Das Bild des geheimen Strippenziehers, der die Politik steuere und die Nationen auflösen wolle, knüpft nahtlos an altbekannte antisemitische Verschwörungslegenden an. Der jüdische Milliardär Soros spielt bei diesen Mythen eine zentrale Rolle als obskurer Hintermann.
Fachleute betonen, solche Legenden seien gefährlich. Sie führten zu Hass und Gewalt gegen Juden. Dabei gehe es im Kern "um eine Unfähigkeit oder Unwilligkeit", politische Prozesse, die nicht nach einem simplen, unterkomplexen Muster funktionieren, zu verstehen, betonte der Experte für Antisemitismus, Samuel Salzborn. Zugleich existiere die "wahnhafte Phantasie, dass eben hinter allem, was man ablehnt, irgendeine unbekannte Macht stecken müsse".
Remko Leemhuis vom American Jewish Comitee (AJC) in Berlin sagte, solche Legenden seien sehr gefährlich, "da ihre Anhänger notwendigerweise zu dem Schluss kommen, dass alle Probleme dann gelöst wären, wenn man die vermeintlich Verantwortlichen an ihrem Handeln hindern könnte.
Inwieweit solche Verschwörungsmythen im anstehenden Wahlkampf eine Rolle spielen werden, lässt sich noch nicht seriös abschätzen. Zuletzt waren vor allem Attacken auf CSU-Chef Markus Söder aufgefallen, der beleidigt und bedroht wurde.
Angesichts der aufgeheizten Stimmung in der Corona-Pandemie und vielen kursierenden Verschwörungslegenden heißt es in Sicherheitskreisen, die Gefährdungslage sei derzeit äußert angespannt.