Humane Immunschwächen-Viren
Interview

Aids in Deutschland "Nicht heilbar - nur kontrollierbar"

Stand: 01.12.2014 05:15 Uhr

Als das HI-Virus zu Beginn der 1980er-Jahre entdeckt wurde, kam die Diagnose  für Millionen Menschen einem Todesurteil gleich. 30 Jahre später hat die Medizin erhebliche Fortschritte gemacht. Der AIDS-Experte Norbert H. Brockmeyer sagt anlässlich des Welt-AIDS-Tages im Interview mit tagesschau.de: Das Virus ist heute immer noch nicht heilbar, aber immerhin kontrollierbar.

tagesschau.de: Was bedeutet die Diagnose heute für einen Erkrankten in Deutschland?

Norbert H. Brockmeyer: Die Diagnose bedeutet auch heute immer noch eine grundlegende Änderung der Lebensumstände und für viele einen Schock. Auf der anderen Seite hat die Medizin so große Fortschritte gemacht, dass Menschen, die heute positiv auf HIV getestet werden, eine Lebenserwartung haben, die der Allgemeinbevölkerung entspricht - wenn sie in einem frühen Stadium der Infektion diagnostiziert und therapiert werden.

Zur Person

Professor Norbert H. Brockmeyer ist HIV-Experte an der Ruhr-Universität Bochum und Sprecher des Deutschen Kompetenznetzes HIV/AIDS. Der Mediziner berät als Mitglied des Nationalen AIDS-Beirats auch die Bundesregierung.

tagesschau.de: Die hohe Lebenserwartung steht aber nicht für eine Heilung?

Brockmeyer: Das Virus ist "nur" kontrollierbar. Lediglich in einem Fall ist es gesichert gelungen, das Virus zu entfernen. Vielleicht kann das Virus ohne weitere Behandlung Jahre vom Menschen kontrolliert werden, wenn es gelingt - bei HIV-Infizierten sehr früh - also in den ersten Tagen nach der Infektion - mit einer Therapie zu beginnen und diese Therapie etwa drei Jahre durchgeführt wird. Das ist ein Lichtblick. Das Gegenteil ist allerdings viel häufiger und eine große Herausforderung. 20 Prozent der Menschen werden erst in einem späten Stadium diagnostiziert, häufig im Vollbild der Erkrankung. Das erschwert die Therapie natürlich.

tagesschau.de: Eine Therapie muss also nicht zwangsläufig auf das ganze Leben angelegt sein?

Brockmeyer: Die Therapie ist immer noch als eine lebenslange Therapie angelegt und notwendig. Vor 15 Jahren wurde wegen der Nebenwirkungen der Medikamente auf einen späten Therapiebeginn gesetzt. Mittlerweile wissen wir, dass sich die Qualität des Immunsystems bei einem späten Therapiebeginn nicht im gewünschten Maße wieder herstellen lässt. Und je früher mit der Therapie begonnen wird, desto seltener sind nicht wieder zu heilende Schäden zum Beispiel am Nervensystem entstanden oder ruhende Immunzellen infiziert. Letztere sind ein Grund dafür, weshalb das HI-Virus nicht aus dem Körper zu entfernen ist. Diese Zellen können mehrere Jahre ruhen, und wenn diese sich dann wieder vermehren, vermehrt sich das Virus ebenfalls wieder.

tagesschau.de: Das Virus kann sich zurückmelden, auch wenn es eine Zeitlang nicht nachweisbar war?

Brockmeyer: Das HI-Virus versteckt sich, so wie wir es von anderen Viren auch kennen - etwa wie Herpes simplex in einem Hirnganglion, welches dann aus bislang nicht geklärter Ursache immer wieder an der Haut aktiv wird. Es ist also immer da, aber man bemerkt es meistens nicht. Ähnlich ist es mit HIV, das in unterschiedlichen Immunzellen unbemerkt jahrelang aktiv sein kann.

"Ein Leben mit hoher Qualität"

tagesschau.de: Beruht die gestiegene Lebenserwartung auch darauf, dass es heute bessere Medikamente gibt?

Brockmeyer: Die Medikamente, die wir heute zur Verfügung haben, sind sehr wirksam. Selbst nach langen Behandlungszeiten entstehen selten resistente HI-Viren. Und sie haben deutlich weniger Nebenwirkungen als noch vor zehn Jahren. HIV-Infizierte genießen in der Regel eine hohe Lebensqualität, sie sind arbeitsfähig und es gibt keinen Grund, einen Beruf nicht auszuüben. Das stärkt - nebenbei - auch die Sozialkassen.

tagesschau.de: Hat sich denn die Akzeptanz am Arbeitsplatz - und in der Gesellschaft - auch verbessert?

Brockmeyer: Das ist nach wie vor ein großes Problem. Die Stigmatisierung durch HIV ist immer noch erheblich. Allein in meinem Patientenkollektiv sind in den vergangenen zwei Jahren zwei Erkrankte gedrängt worden, ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Ich habe den Eindruck, dass die Vorbehalte in den vergangenen Jahren wieder zugenommen haben. Das liegt auch daran, dass HIV in der Öffentlichkeit kein häufiges Thema mehr ist. Es fehlt die Erfahrung, das Wissen, und alles, was man nicht kennt, macht Angst. Zudem lösen alle sexuell übertragbaren Infektionen irrationale Ängste aus. Dies ist auch bei der Syphilis so und führt zu Ausgrenzungsmechanismen gegen Infizierte. Dabei haben wir in Deutschland weltweit die niedrigste Zahl an HIV-Neuinfektionen. Das ist auch ein Erfolg des liberalen Umgangs mit HIV - Infizierte nicht auszugrenzen, sondern sie anzunehmen. Sehr wichtig ist zudem, dass die wirksame Therapie die Infektion mit HIV weitgehend verhindert.

"Kinderwunsch ist heute einfach zu erfüllen"

tagesschau.de: Lange Zeit galt es für HIV-Erkrankte als hoch riskant, Kinder zu bekommen, weil das Risiko der Übertragung so hoch war. Ist das heute noch so?

Brockmeyer: Der Kinderwunsch ist heute verhältnismäßig einfach realisierbar, wenn beide Partner sonst gesund sind. Früher hat man eine künstliche Befruchtung empfohlen, allerdings war die Erfolgsquote dabei noch geringer als die ohnehin schon geringe, durchschnittliche Erfolgsquote. Die modernen Therapien ermöglichen den Paaren, ihren Kinderwunsch auf natürlichem Wege zu erfüllen. Probleme gibt es dann, wenn die Schwangere nicht weiß, dass sie HIV-infiziert ist und wenn es Schwierigkeiten in der Schwangerschaft gibt. Dann kann das Infektionsrisiko steigen. Insgesamt ist die Rate von HIV-infizierten Kindern sehr niedrig. Es muss kein Kind mehr mit dem Virus geboren werden.

tagesschau.de: Wie ist es um den Zugang zu ärztlicher Versorgung bestellt? Ist der in Deutschland uneingeschränkt gewährleistet?

Brockmeyer: Der Zugang zu ärztlicher Versorgung ist einer der besten weltweit. Das hohe Niveau der Versorgung ist auch ein Grund für die Lebenserwartung und die geringe Zahl an Neuinfektionen.

tagesschau.de: Gibt es Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit einen Impfstoff geben wird?

Brockmeyer: Ich bin fest davon überzeugt, dass es einen Impfstoff geben wird. Es gab einige Rückschläge in der Forschung, aber wir haben daraus gelernt. Hinzu kommt, dass unsere molekularbiologischen Methoden immer besser geworden sind. Heute können wir besser als noch vor fünf Jahren Aufbau und Struktur des Virus und seine Veränderungen im Verlauf der Infektion analysieren. Das ist wichtig für die Entwicklung von Antikörpern, die das Virus stoppen und eliminieren können. Wir wissen: Es ist möglich, einen Impfstoff zu entwickeln, auch wenn es noch einige Jahre dauern wird.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. Dezember 2014 um 14:00 Uhr.