Interview

Alzheimer-Experte zum Fall Assauer "Wir werden alle dement"

Stand: 02.02.2012 18:17 Uhr

Buch, Talkshow, Reportage: Assauers Alzheimer-Erkrankung ist nicht nur persönliches Schicksal, sondern auch Medienthema. Hilft das anderen Betroffenen? Im Interview mit tagesschau.de bewertet der Psychiater Hans Förstl den Schritt des Fußballmanagers an die Öffentlichkeit und den Stand der Forschung.

tagesschau.de: Wie hilfreich ist die öffentliche Aufmerksamkeit wegen der Erkrankung des Fußballmanagers Rudi Assauer und wegen seines Buches? Zum einen für Ihre Arbeit, zum anderen für ihn selbst?

Hans Förstl: Ich glaube, dieser mutige Schritt Assauers hilft der Sache. Es bedeutet nicht unbedingt, dass jetzt neue Forschungsgelder in diese Richtung gelenkt werden. Aber die öffentliche Wahrnehmung von Alzheimer ist nach wie vor ein wenig naiv. Bleiben wir beim Beispiel Assauer: Der hat geraucht. Der hat auch schon mal ein Glas getrunken. Da ziehen manche vielleicht vorschnell den Schluss: selbst schuld - bei allem Respekt vor der Person. Dabei wird gerne übersehen, dass sich die Probleme Alzheimer und Demenz nicht in den nächsten paar Jahren wissenschaftlich und praktisch lösen lassen, trotz vieler erfolgversprechender Ansätze.

Bei Patienten mit einer ausgeprägten Demenz infolge von Alzheimer lassen sich inzwischen bestimmte Hirnveränderungen, die wahrscheinlich für Alzheimer verantwortlich sind, tatsächlich wieder rückgängig machen. Leider profitiert der Patient davon nicht mehr: Die geistige Leistungsfähigkeit verbessert sich dadurch nicht. Das Gehirn hat substantiell zu lange unter den Veränderungen gelitten. Nach einer solchen chronischen Degeneration kann keine rasche Regeneration mehr erfolgen. Aber: Die biologischen Prinzipien stimmen.

Assauer hat die Öffentlichkeit nie gescheut. Sein Umgang mit den Problemen des Lebens war immer offensiv und sportlich. Er will sich nicht verkriechen. Ich bin sicher, dass da kein Egoismus dahinter steckt, sondern eine altruistische Absicht. Er will auf das Problem noch mal aufmerksam machen. Öffentlich zu jammern - dafür ist er nicht der Typ.

Zur Person
Seit 1997 leitet der gebürtige Münchener die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München. Förstl ist Mitglied des Fachlichen Beirats der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft. Zusammen mit Carola Kleinschmidt hat er das "Anti-Alzheimer-Buch" geschrieben.

"Hinterher ist man immer schlauer"

tagesschau.de: Was macht den Unterschied zwischen einer Alzheimer-Erkrankung, einer Demenz und der "normalen" Vergesslichkeit aus?

Förstl: Vergesslich und schusselig sind Sie und ich auch, wie alle Menschen. Und in der Tat: Es ist zunächst recht schwierig, vorübergehende Vergesslichkeit und beginnende Demenz als Folge einer Alzheimer-Erkrankung voneinander zu unterscheiden. Auch hier gilt im Übrigen der Grundsatz, dass man hinterher immer schlauer ist.

Ich halte es für einen großen Fortschritt, dass im letzten Jahr Konzepte dafür entwickelt wurden, die zugrundeliegenden Hirnveränderungen als "Alzheimer Krankheit" zu definieren und von der symptomatischen Folge "Alzheimer Demenz" zu unterscheiden. Genau so werden zum Beispiel in der Inneren Medizin ein hoher Blutdruck oder ein hoher Blutzuckerspiegel bereits als Krankheit aufgefasst und behandelt - auch wenn der Patient noch keine Beschwerden wahrnimmt. Der allerletzte Zusammenhang zwischen Hirnveränderungen und Demenz ist noch nicht bewiesen. Aber man weiß, welche Art von Hirnveränderungen besonders häufig mit kognitiven Störungen einhergehen. Einige dieser Veränderungen kann man heute durch bestimmte bildgebende Verfahren sehr früh und lange vor dem Tod visualisieren. Ich kann dann nicht sagen, ob und wann mein Patient dement wird, aber ich weiß: Besser wäre es, wenn er diese Veränderungen nicht hätte.

Eine Diagnose wie ein Damokles-Schwert

tagesschau.de: Auf welchen Verlauf müssen sich Erkrankte und ihre Angehörigen einstellen?

Förstl: Das lässt sich kaum vorhersagen. Die Forschung wird sich dieses Themas bei der Frühdiagnose in den nächsten Jahren verstärkt annehmen müssen. Wir brauchen noch mehr Daten, um eine statistische Wahrscheinlichkeit für diesen oder jenen Verlauf genauer einschätzen zu können. Das Problem ist: Wir haben noch kein Rezept gegen dieses Damokles-Schwert, das über dem Patienten schwebt. Wir haben noch nicht dieses tolle Medikament, das die Hirnveränderungen und deren Folgen grundsätzlich verhindert.

Bei Patienten mit sehr leichten Symptomen gibt es einige Zeichen, die dafür sprechen, dass die Probleme in absehbarer Zeit eher zunehmen: Depression, Rückzug, Immobilität und körperliche Erkrankungen, die sich negativ auf die Hirnleistung auswirken. Alle diese Faktoren lassen sich günstig beeinflussen, und das hat wiederum günstige Auswirkungen auf die geistige Leistungsfähigkeit.

tagesschau.de: Ab wann wird es denn das "tolle Medikament" geben?

Förstl: Meiner Schätzung nach werden wir erst so um 2030 über Verfahren verfügen, die frühzeitig, beim noch symptomfreien Menschen, angewandt werden können, um die Manifestation einer Demenz hinauszuschieben. In der Zwischenzeit wird aber das Bewusstsein für diese Erkrankung zunehmen. Das Wissen um die Risikofaktoren wie zum Beispiel Depression, Übergewicht und Bewegungsmangel wird dazu führen, dass sie immer konsequenter behandelt werden. Damit werden die Demenzraten pro Altersstufe weiter sinken.

"Dement, aber trotzdem charmant"

tagesschau.de: Handelt es sich dann überhaupt um eine Erkrankung oder dann doch um eine Alterserscheinung?

Förstl: Wir werden alle dement. Das ist mein festes Credo, und das ist auch eine Erleichterung. Diese 1,2 Millionen Demenzkranken, von denen man heute ausgeht und die man hochrechnet, sind im Grunde eine Bagatellisierung. In der westlichen Welt ist es so, dass etwa ein Drittel der Menschen ihre Demenz erleben, allerdings meist recht kurz vor ihrem Tod. Joopi Heesters hatte mit Sicherheit auch mit erheblichen Symptomen zu kämpfen, war aber trotzdem äußerst charmant. Demenz muss also keine Katastrophe sein. Man sollte sich also darauf einstellen, entsprechend leben und Respekt vor den schon Betroffenen haben.

Das Interview führte Ute Welty, tagessschau.de