Ministerin in Kriegszeiten Wie Baerbock die Außenpolitik prägt
Sie ist derzeit das Gesicht der deutschen Außenpolitik: Annalena Baerbock hat sich national und international Respekt verschafft. In diesen Kriegszeiten trifft sie den richtigen Ton.
Der bildliche Kontrast zwischen beiden Begegnungen könnte kaum größer sein. Am Dienstag hatte Annalena Baerbock Kiew besucht. Vor dem Treffen mit ihrem Amtskollegen Dmytro Kuleba war sie durch die Trümmer im schwer zerstörten Ort Butscha gelaufen. Zwei Tage später: Die deutsche Außenministerin ist an der Ostseeküste Gastgeberin beim Treffen mit ihren Amtskolleginnen und -kollegen der G7-Staaten. Auch Kuleba wird dabei sein, ebenso wie der Chefdiplomat der Republik Moldau. Das kleine Nachbarland der Ukraine fürchtet, ebenfalls Angriffsziel Russlands zu werden.
Es geht um mehr als Unterstützung der Ukraine
Schlossgut Weißenhaus ist eine Hotelanlage der sehr gehobenen Kategorie. Auf dem gepflegten Rasen steht bis Samstag ein G7-Logo. Es ist eine mit großem Polizeiaufgebot geschützte stille Kulisse. Kiew und die schleswig-holsteinische Küste - der russische Angriffskrieg bestimmt hier wie dort die Welt der deutschen Außenministerin. Die sieben reichsten Demokratien der Welt beraten, wie sie die Ukraine weiterhin unterstützen können. Die Folgen gehen weit über das angegriffene Land und seine Nachbarschaft hinaus.
Gestern Abend hatte Baerbock vor einer weltweiten Ernährungskrise gewarnt. Millionen Tonnen Getreide können das Land nicht per Schiff verlassen. Die Konsequenzen könnten bald die Ärmsten der Armen in Afrika oder im Nahen Osten brutal treffen. Die wolle man nicht im Stich lassen, sagte Baerbock:
Deswegen setzen wir heute ein deutliches Signal: Wir sehen Euch, wir hören Euch, wir unterstützen Euch.
Das Krisenmanagement ist zum täglichen Geschäft geworden in den fünf Monaten seit Amtsantritt der Ampel-Regierung. Und Baerbock ist inzwischen das Gesicht der deutschen Außenpolitik - mitten in Kriegszeiten. Anfangs skeptisch beäugt in der immer noch männlich dominierten Welt der Diplomatie, hat sich die 41-jährige Grünen-Politikerin Respekt verschafft: bei ihren internationalen Kolleginnen und Kollegen, aber auch in Deutschland.
Ob beim Stopp von Nord Stream 2 oder bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine - Baerbock schien dem Bundeskanzler voraus zu sein, entschlossener und schneller das Nötige zu fordern. Eine verabredete Rollenverteilung? Oder doch gewollte Abgrenzung? Zumindest brachte ihr das sogar Komplimente von der Opposition im Bundestag ein:
Frau Außenministerin, Sie haben gerade die Rede gehalten, die wir von unserem Bundeskanzler erwarten",
sagte etwa der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter Ende März in der Haushaltsdebatte im Bundestag. Nicht zu überhören war da die Kritik an Scholz, zu träge zu sein und zu wenig zu kommunizieren.
Die Außenministerin dagegen fällt gerade durch ihre Kommunikation auf: Zwar holpert gelegentlich die Grammatik, doch statt sich in diplomatischen Floskeln zu verlieren, versucht Baerbock oft, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Etwa als sie den Kiewer Vorort Butscha besuchte, wo nach dem Abzug der russischen Truppen Hunderte Leichen gefunden wurden. Spürbar vom Grauen der offensichtlichen Kriegsverbrechen berührt, sagte die Ministerin:
Diese Opfer, auch das spürt man hier so eindringlich, diese Opfer könnten wir sein.
Umdenken bei den Grünen
Deutsche Panzer und andere schwere Waffen in ein Kriegsgebiet wie die Ukraine zu liefern - das wäre noch vor einem halben Jahr kaum vorstellbar gewesen. Dass gerade die Grünen in der Bundesregierung das Umdenken vorangetrieben haben, trifft bei vielen ihrer Anhänger auf Zustimmung, wie der ARD-DeutschlandTrend zeigt. Fast vier Fünftel der Grünen-Anhänger sind dafür, Russland gegenüber Härte zu zeigen.
Wer prägt die deutsche Außenpolitik? Die werde "insbesondere im Kanzleramt gesteuert", hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich noch zum Start der neuen Regierung gesagt. In seiner Fernsehansprache zum 8. Mai hat Scholz die Ukraine- und Russland-Politik jedenfalls so definiert, dass sich auch die Außenministerin darin wiederfindet: der Ukraine auch mit schwerem Kriegsgerät helfen, aber selbst nicht Partei in dem Krieg werden.
Dass sie als erstes Kabinettsmitglied seit dem russischen Angriff in die Ukraine reiste und dort die diplomatischen Wogen glätten konnte, dürfte Baerbock und Scholz gleichermaßen genützt haben. Mit dem G7-Treffen in idyllischer Kulisse kann die Außenministerin jetzt noch einmal Bilder in alle Welt schicken - als Beleg, dass Deutschland und seine internationalen Partner zusammenstehen.
Raum für Klima-Außenpolitik
Wie viel Raum bleibt in Kriegszeiten für andere Anliegen der deutschen Außenpolitik? Ein Beispiel ist die Klima-Außenpolitik, die die Ministerin in ihr Haus geholt hatte. Baerbock schlug gestern Abend den Bogen, als sie mit Bezug auf den Krieg sagte: "Diese Ernährungskrise, die sich da am Himmel zusammenbraut, wird verschärft durch die globalen Klimaauswirkungen."
Einen "Doppelschlag" fordert Lisa Göldner von Greenpeace im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio: raus aus den fossilen Energien und rein in die Erneuerbaren Energien, um die Klimakrise zu stoppen. In Weißenhaus müssten die G7 Vereinbarungen für einen "schnellstmöglichen" Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas vorbereiten, die dann noch auf dem Gipfel in Elmau beschlossen werden: "Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist die beste Antwort der G7-Staaten, um Krieg und Krisen vorzubeugen und eine lebenswerte Zukunft zu sichern."
Bis Samstag tagen die G7 an der Küste. Direkt danach schließt sich am Wochenende in Berlin ein Treffen der NATO-Außenministerinnen und -minister an. Und wieder wird der Krieg die Tagesordnung dominieren. Und mittendrin: Annalena Baerbock.