Bundestagswahl 2025

"Trauern aus Liebe, nicht aus Hass, weniger Wahkampf, mehr Mitgefühl", steht auf einem Schild am Gedenkort nach dem Messerangriff in Aschaffenburg.
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Aschaffenburg und die Folgen   Wie die Tat den politischen Diskurs verändert hat

Stand: 28.01.2025 11:27 Uhr

Seit dem Messerangriff in Aschaffenburg dominiert die Migrationspolitik die politische Debatte. Der Ton wird ruppiger - Stil und Semantik verrutschen immer häufiger. Wie geht es weiter?

Eine Analyse von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

Plötzlich ist alles anders in diesem Wahlkampf. Der Messerangriff von Aschaffenburg verschiebt wenige Wochen vor der Bundestagswahl den Fokus: Die Wut, die im politischen Berlin auf die tödliche Attacke folgte, schafft offenbar ganz neue Möglichkeiten. "Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht. Ich sage nur, ich gehe keinen anderen", sagt Friedrich Merz.

Es war dieser eine Satz, mit dem der Weg von Kanzlerkandidat Merz nach der Tat von Aschaffenburg die Union in eine neue Richtung führte und das Land vor eine neue Frage stellte: Wie hält es die Union mit der AfD? Was Merz da in der vergangenen Woche formulierte, klang wie die Einladung an die AfD, mit abzustimmen für seine Vorschläge, Grenzen zu schließen, Zurückweisungen unterschiedslos anzuordnen, das Recht auf Asyl de facto auszusetzen.

SPD spricht von "Tabubruch"

In der SPD empören sie sich. Und sehen zugleich Mobilisierungspotenzial für den eigenen, eher schleppend laufenden Wahlkampf. "Was Merz und die Union scheinbar vorhaben, ist ein beispielloser Tabubruch in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland." SPD-Generalsekretär Matthias Miersch wählt das größtmögliche Empörungsvokabular: "beispielloser Tabubruch".

Die Wahlkampfstrategen im Willy-Brandt-Haus jedenfalls reagierten umgehend. "Keine Zusammenarbeit mit Nazis. Seit 1863." Mit diesem Slogan flutete die SPD die sozialen Medien. Nur der Kanzler reagiert, wie Olaf Scholz eben reagiert. Auf die Frage im Bericht aus Berlin, dass viele jetzt sagen, es geschehe zu wenig gegen irreguläre Einwanderung, sagte Scholz: "Das wird welche geben, die das sagen. Aber die haben alle nicht Recht."

Scholz spricht von "Sprücheklopfern" und meint wohl auch den Unions-Kanzlerkandidaten Merz. Der Bundeskanzler will am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Bundestag Stellung beziehen.

Hält die Brandmauer zur AfD?

Merz plant, am selben Tag zwei Anträge zur Abstimmung zu stellen. Einen Gesetzentwurf will er noch hinterherschieben - und hat mit seiner möglicherweise bewusst unklar formulierten Äußerung der SPD ein Thema beschert. Hält die Brandmauer zur AfD? "Wie ist es, wenn es nach der Wahl wieder mögliche Mehrheiten mit der AfD gibt?", fragt Generalsekretär Miersch, wohl wissend, dass die jüngsten Merz-Äußerungen jetzt auch den eigenen Laden und die SPD-Basis mobilisieren könnten.

Auch Merz glaubt, derzeit für die Mehrheit im Land zu sprechen. "Ich habe noch nie in meinem langen politischen Leben so viel Zustimmung aus der Bevölkerung und meiner Partei bekommen wie für diese Vorschläge jetzt", sagt der CDU-Politiker im Interview mit dem SWR.

Der Kanzlerkandidat der Union setzt gerade sehr viel - möglicherweise alles - auf diese eine Karte. "Wir bringen die Vorschläge ein, die wir in der Sache für richtig halten", sagt der Oppositionsführer. Er schaue nicht nach links und nicht nach rechts, sondern gehe geradeaus.

Grüne warnen vor Normalisierung der AfD

Die Grünen jedenfalls gehen da nicht mit. Für Grünen-Co-Chef Felix Banaszak steht jetzt eine Frage im Raum: "Nimmt Herr Merz die schleichende Normalisierung der AfD in Kauf?" Die AfD könne ihr Glück derzeit ja kaum fassen, sagt Banaszak.

Und AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel? Sie streckt im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio die Hand Richtung Union aus. "Die Bürger wollen doch eine blau-schwarze Koalition haben. Sie wollen endlich Politik für die eigene Bevölkerung."

Aschaffenburg und die Folgen

In Berlin sind seit der Tat in Aschaffenburg ein paar Dinge in Bewegung geraten. Noch im November hatte Unions-Kanzlerkandidat Merz nach dem Ampel-Aus öffentlich im Bundestag versprochen, dass bei Abstimmungen in der Sache nicht ein einziges Mal eine zufällig herbeigeführte Mehrheit mit "denen da" zustande kommt. "Die Damen und Herren da Rechtsaußen hätten das ja gern, dass sie plötzlich die Mehrheiten besorgen", sagte Merz damals in Sachen AfD.  

Knapp drei Monate später aber klingt es anders. "Ich höre das Geschrei von der ganzen linken Seite über die Frage, wie die AfD jetzt abstimmt. Das ist mir mit Verlaub völlig egal", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in der ARD. Man wolle schließlich das Richtige tun. Aber ist "das Richtige" in diesen Tagen auch das politisch Kluge?

Lindner: "Mir ist es sogar egal, ob die AfD mitstimmt"

Geht es nach FDP-Chef Christian Lindner, ist die Antwort klar. "Mir ist es sogar egal, ob die AfD mitstimmt", sagt er im Deutschlandfunk. Es gehe um ein politisches Signal des Bundestages. FDP-Vize Wolfgang Kubicki, amtierender Bundestagsvizepräsident, formulierte es gewohnt drastischer: "Mir doch Latte, wer da sonst noch zustimmt."

Die Latte hängt in diesen Wahlkampftagen offenbar recht tief. Der Ton wird ruppiger. Der Kanzler sagt, er werde nicht dabei mitmachen, das Grundgesetz in Frage zu stellen, und er erinnert daran, dass Deutschland in Europa derzeit das einzige Land gewesen sei, das bisher einen Abschiebeflug nach Afghanistan hinbekommen habe.

Unions-Kanzlerkandidat Merz reicht das nicht. "Es wird im Augenblick ein bisschen abgeschoben", sagt er im ZDF. "Aber das, was im Monat abgeschoben wird, ist in drei Tagen wieder da." Dass "das, was da abgeschoben wird", Menschen sind, sagt er nicht.

Stil und Semantik verrutschen immer häufiger

In diesen Wahlkampftagen verrutschen immer häufiger Stil und Semantik. Offenbar bei allen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach vermischte gerade auf der Internetplattform X den Holocaust-Gedenktag mit der Migrationsdebatte von Merz und unterstellte ihm, "sich von Nazis unterstützen zu lassen". Der SPD-Politiker hat sich inzwischen entschuldigt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert trotzdem Lauterbachs Entlassung.

Noch ist nicht absehbar, wohin die Tat in Aschaffenburg den politischen Diskurs im Land verschiebt. Und an diesem Mittwoch sitzen sie dann alle im Bundestag und erinnern mittags würdig der Holocaust-Opfer. Feierlicher Gedenkakt im Bundestag. Eine Stunde danach dann ausgerechnet an jenem Tag eine Regierungserklärung des Kanzlers zum Thema Aschaffenburg und Migration.

Miersch: "Besonnen handeln"

Es dürfte eine vom Wahlkampf geprägte wüste Aussprache werden - und möglicherweise kommt es danach zur Abstimmung über die Unionsanträge. SPD-Generalsekretär Miersch klingt da am Montagmittag fast ahnungsvoll bittend: "Man muss anständig und im Rahmen der Demokratie besonnen handeln", sagt der Sozialdemokrat.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 28. Januar 2025 um 08:43 Uhr.