Corona-Maßnahmen Merkel bittet Bürger um Geduld
Nach Ostern - so lauten Forderungen, die strengen Corona-Maßnahmen wieder zu lockern. Die Kanzlerin widerspricht - und bekommt Unterstützung von Ministerpräsidenten. Der Ethikrat fordert aber wenigstens eine Perspektive.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich gegen Überlegungen gestellt, möglicherweise schon nach Ostern die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zu lockern. Sie wolle "sehr klar sagen, dass im Augenblick nicht der Zeitpunkt ist, über die Lockerung dieser Maßnahmen zu sprechen", sagte sie am Abend.
Im Moment dauere es immer noch nur vier bis fünf Tage, bis sich die Zahl der Infizierten verdoppele. Diese Zeitspanne müsse sehr viel weiter gestreckt werden, "in Richtung von zehn Tagen". Zudem erstrecke sich die Inkubationszeit über mindestens fünf Tage und könne bis 14 Tage dauern. Das Ziel der Maßnahmen sei es, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet werde.
Die Kanzlerin erinnerte daran, dass die am vergangenen Sonntag beschlossenen Maßnahmen erst am Montag in weiten Teilen Deutschlands in Kraft getreten seien. Deshalb könne man noch nicht sehen, ob sie wirkten. Sie müsse deshalb "die Menschen in Deutschland um Geduld bitten", sagte die Kanzlerin und ergänzte: "Es war immer klar, dass wir erst dann, wenn wir Effekte sehen, darüber nachdenken können", die Maßnahmen zurückzufahren. Davon sei man leider "noch ein ganzes Stück entfernt".
Merkel äußerte sich in einer im Internet übertragenen Pressekonferenz. Sie befindet sich selber derzeit in Quarantäne. Sie begab sich freiwillig in die häusliche Isolation, nachdem sie Kontakt zu einem mit dem Coronavirus infizierten Arzt gehabt hatte.
Unterstützung von Ministerpräsidenten
Unterstützung bekam Merkel von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Die Diskussion um eine Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen komme "zu früh", sagte der SPD-Politiker im gemeinsamen morgenmagazin von ARD und ZDF. "Wir können gar nicht über Lockerungen reden, wenn wir nicht einen wesentlichen Rückgang bei den Infektionsfällen feststellen." Klar sei aber, dass man das gesellschaftliche Leben nicht auf Dauer "tiefkühlen" könne.
Nach den Osterferien würden Bund und Länder über die aktuell geltenden Maßnahmen beraten, sagte Weil. Selbst wenn dann erste Lockerungen beschlossen würden, dürfe man sich nicht vorstellen, dass Corona dann "besiegt" wäre. Man sei gerade immer noch dabei, das Gesundheitswesen auf die noch bevorstehenden, "riesengroßen Herausforderungen" einzustellen. Zudem werde es allenfalls stufenweise Lockerungen der aktuellen Lebenseinschränkungen geben, betonte Weil.
Im gleichen Sinne äußerten sich auch die Ministerpräsidenten von Bayern und Nordrhein-Westfalen, Markus Söder und Armin Laschet.
Ethikrat: Große Solidarität "nicht unbegrenzt"
Der Deutsche Ethikrat begrüßt die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus, fordert aber auch ein Szenario für den Ausstieg aus den drastischen Alltagsbeschränkungen. Freiheitsbeschränkungen müssten kontinuierlich mit Blick auf die vielfältigen sozialen und ökonomischen Folgelasten geprüft und möglichst bald schrittweise gelockert werden, heißt es in einer Stellungnahme des Gremiums zur aktuellen Corona-Krise.
Der Ethikrat betont, dass es eine große Ressource der Solidarität in der Gesellschaft gebe, die für eine Akzeptanz der Maßnahmen sorge. Diese Ressource bestehe aber "weder automatisch noch unbegrenzt", heißt es in der Stellungnahme: "Ungewissheit über das Ende solcher Maßnahmen führt mit zunehmender Dauer zur Entsolidarisierung und Demotivation." Zudem drohten "Systemgefährdungen", beispielsweise im Bildungssystem.
Was tun, wenn Patienten ausgewählt werden müssen?
In seiner Stellungnahme befasst sich der Ethikrat auch mit der sogenannten Triage, der Auswahl von Patienten, wenn etwa Beatmungsplätze nicht reichen sollten. Für die Triage selbst entwickelte der Ethikrat keine Kriterien, sondern verwies auf Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften. Die Wissenschaftler halten aber fest, dass eine Auswahl von Patienten etwa bei zu wenig verfügbaren Beatmungsgeräten unter ethischen Gesichtspunkten erfolgen kann. Eine Auswahl "ex post", bei der die Behandlung eines Patienten abgebrochen würde zugunsten eines anderen, dessen Heilung erfolgversprechender ist, hält das Gremium für problematisch.
Lindner fordert Perspektive
Die Diskussion war von FDP-Chef Christian Lindner forciert worden. In der Debatte über das Rettungspaket im Bundestag hatte er am Mittwoch gefordert, jetzt schon darauf hinzuarbeiten, die beschlossenen Maßnahmen so schnell wie möglich und Schritt für Schritt zurürckzunehmen.
Der Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, fordert von der Bundesregierung im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio, die Wirtschaft "allerspätestens nach Ostern" schrittweise wieder hochzufahren. Auch aus dem CDU-Wirtschaftsflügel wurden ähnliche Überlegungen laut.
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nannte mögliche Maßnahmen, die zu gegebener Zeit eine Lockerung der verhängten Einschränkungen ermöglichen könnten. Sie sei dafür, "fortlaufend" zu prüfen, "ab wann es die epidemiologische Lage erlaubt, die harten Einschnitte zu lockern", sagte die Verteidigungsministerin der Zeitung "Die Welt".
Die gesundheitlichen und sozialen Folgen
Der Dortmunder Statistik-Professor Walter Krämer, wies auf die gesundheitlichen Folgen einer längeren Einschränkung des öffentlichen Lebens und von Kontaktbegrenzungen hin. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte er, in diesem Fall würden in der Bevölkerung Übergewicht und Diabetes zunehmen, auch werde es zu mehr häuslicher Gewalt und Selbstmorden kommen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien in Deutschland Todesursache Nummer eins. Dies könne durch eine längere Zeit ohne Sport, mit zu viel Essen und in Isolation noch befördert werden.
Familienministerin Franziska Giffey wiederholte ihre Warnung vor einer Zunahme häuslicher Gewalt. Sie appellierte an die Bundesländer, im Fall von überfüllten Frauenhäusern Hotelzimmer als Schutzräume anzumieten.
Nur noch zu zweit oder in der Familie nach draußen
Bund und Länder hatten sich am Wochenende auf verschärfte Einschränkungen des öffentliche Lebens verständigt. Sie zielen vor allem darauf ab, die sozialen Kontakten der Bürger zu begrenzen, um eine weiter schnelle Verbreitung des Cotronavirus zu verhindern und die Krankenhäuser vor einer Überlastung zu schützen.
Nach den jüngsten vorliegenden Zahlen des Robert-Koch-Instituts gibt es in Deutschland inzwischen rund 42.290 Corona-Infektionsfälle und 253 verzeichnete Todesopfer. Die Johns-Hopkins-Universität in den USA registrierte hingegen bis zum frühen Freitagmorgen rund 43.940 Infektionsfälle in Deutschland. Die Differenz in den Zahlen erklärt sich aus unterschiedlichen Methoden der Datensammlung.