Innenminister Reul zu "Feindeslisten" "Keine Unsicherheit und Unruhe schüren"
Extremistische "Feindeslisten" gibt es schon lange, durch den Mord an Walter Lübcke sind sie wieder in den Fokus gerückt. NRW-Innenminister Reul mahnt im ARD-Morgenmagazin zu sorgfältiger Prüfung ohne übertriebene Panik.
Morgenmagazin: Eine Sonderkommission ermittelt im Fall der linken Stadträtin Ramona Gehring, auf deren Haus im sächsischen Zittau ein mutmaßlicher Sprengstoffanschlag verübt wurde. Ein Staatssekretär vom Innenministerium warnt vor einer Hysterie, die nach dem Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke seiner Meinung nach grassiert. Können Sie diese Einschätzung teilen?
Herbert Reul: Das kann ich, auch wenn ich das Wort nicht gut finde. Das Problem ist, dass wir wissen, dass im rechts- und linksextremistischen Bereich immer schon mit solchen Listen gearbeitet wurde, um damit öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und Angst und Unruhe zu schüren.
Wir wissen, dass die Listen eigentlich ganz selten Listen von wirklichen Angriffen auf einzelne Personen sind. Aber auch das kann man nie hundertprozentig sagen. Die Listen sind eigentlich ein Instrument, um "Feinde" öffentlich darzustellen. Insofern muss man einerseits aufpassen, dass man dieses Geschäft nicht mit besorgt, sich auf der anderen Seite aber ernsthaft genug um die Menschen kümmert, die bedroht sein könnten.
Morgenmagazin: Müssten nicht eigentlich die Behörden diejenigen informieren, die auf einer solchen Liste stehen, um auch zu beraten, worauf sie sich eventuell einstellen müssen und wie sie sich schützen könnten?
Reul: Warnen ist die eine Seite der Medaille. Aber man schürt damit auch Unruhe und Unsicherheit. Und deswegen sind die Behörden in der Pflicht, vorher genau zu prüfen, ob das einer von diesen 25.000 Namen ist, die einfach aus irgendwelchen anderen Listen abgeschrieben worden sind oder ob mehr dahinter steckt.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen auch so ein System: Wir nutzen die Liste des Bundeskriminalamts, die schon einmal geprüft wurde, prüfen sie dann noch einmal und geben sie dann an die örtlichen Behörden, die ja näher dran sind. Und wenn keine weiteren Hinweise auf eine Gefährdung vorliegen, glauben wir, dass wir die Leute besser nicht informieren.
Aber beim umgekehrten Fall, sobald wir Hinweise haben, dass da ein wirkliches Gefahrenpotenzial besteht, dann ist es notwendig zu informieren.
Morgenmagazin: Auch auf die Gefahr hin, dass es zu spät wäre?
Reul: Naja, bei 25.000 Namen auf einer Liste sind das praktisch plakativ abgeschriebene Listen von "Feinden", die man irgendwo aus Karteien genommen hat. Wenn man jetzt alle nervös und unruhig macht, ist es auch unklug. Es ist aber schwer, zu entscheiden, was richtig ist. Die Betroffenen haben ein Recht darauf und wir müssen sie auch schützen. Deswegen ist eine sorgfältige Prüfung so wichtig.
Morgenmagazin: Konstantin von Notz, Innenpolitiker von den Grünen, hat von einer möglichen bundesweiten Bedrohungslage oder sogar von einem möglichen internationalen Phänomen der Rechten gesprochen. Wie sehen Sie das?
Reul: Natürlich ist das international, natürlich ist das bundesweit - deswegen arbeiten wir ja auch sehr gut zusammen. Deswegen hat das BKA die Federführung und kümmert sich zentral darum.
Morgenmagazin: Braucht es vielleicht eine Taskforce Rechtsextremismus im Bundesinnenministerium?
Reul: Ich bin nun schon etwas länger in der Politik. Uns fällt doch meistens nichts anderes ein als noch eine besondere Organisation oder ein Arbeitskreis oder sonst was. Ich finde, wir haben wahnsinnig viele unterschiedliche Einrichtungen, die zuständig sind. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat jetzt erklärt, dass es mehr Personal für die Arbeit gegen den rechtsextremistischen Bereich geben soll. Das ist wichtig: gute Zusammenarbeit und ausreichende personelle Ausstattung. Das ist elementar.
MoMa: Brauchen wir das nicht auch, was die linksextremistische Szene angeht?
Reul: Aber natürlich. Ich kann nur für meine Behörde sprechen: Rund ein Drittel des Personal ist für den Rechtsextremismus zuständig, ein Drittel für den Salafismus und ein Drittel für die anderen Aufgabenbereiche. Der Linksextremismus hat zugenommen, aber das sind total verschiedene Bereiche. Wir brauchen ganz andere Leute, die sich darum kümmern.
Der Rechtsextremismus ist jetzt natürlich in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt - zu Recht. Es ist eine Gefahrensituation deutlich geworden, die vorher vielleicht nicht so erkannt worden war. Insofern ist es gut, dass wir uns darum sehr sorgfältig kümmern.
Das Interview führte Anja Bröker, WDR. Es wurde für die schriftliche Fassung leicht redigiert und gekürzt. Die vollständige Fassung finden Sie als Video in diesem Text.