Durchsuchung im Ruhrgebiet Was über den Anti-Terror-Einsatz bekannt ist
Zwei Brüder sollen einen islamistischen Anschlag geplant haben - mit Stoffen, die als biologische Waffen gelten. Inzwischen wurden Haftbefehle erlassen. Was bislang bekannt ist.
Was ist passiert?
In der Nacht zu Sonntag rückten die Einsatzkräfte mit einem Großaufgebot zur Wohnung eines 32-Jährigen in einer kleinen Einkaufsstraße im Norden der Ruhrgebietsstadt Castrop-Rauxel an. Der Verdacht: Der iranische Staatsbürger soll einen islamistisch motivierten Anschlag mit Giftstoffen vorbereitet haben, wie die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, die Polizei Recklinghausen und die Polizei Münster mitteilten. Neben der Wohnung des Mannes wurden unter anderem auch Kellerräume durchsucht - und am Montag zwei Garagen.
Die Polizisten nahmen den 32-Jährigen und seinen 25 Jahre alten Bruder, der sich zufällig in der Wohnung aufhielt, fest. Gegen die beiden wurden Haftbefehle erlassen. Sie sind in Untersuchungshaft. Den Brüdern wird unter anderem vorgeworfen, dass sie sich Giftstoffe für einen islamistisch motivierten Anschlag beschaffen wollten.
Beobachter sprechen bei der Durchsuchung von einem der größten Anti-Terror-Einsätze seit Langem. Bei dem Zugriff waren übereinstimmenden Medienberichten zufolge auch Fachleute für biologisch-chemische Gefahren des Robert Koch-Instituts (RKI) vor Ort. Zahlreiche Einsatzkräfte trugen Schutzanzüge und Sauerstoffmasken. Beweismittel wurden in blauen Fässern zu einer Dekontaminationsstelle gebracht, die bei der Feuerwehr eingerichtet war.
Was wurde gefunden?
Giftstoffe wie Cyanid und Rizin wurden in der Wohnung des Verdächtigen nicht gefunden, wie die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf mitteilte. Ob der 32-Jährige tatsächlich an Gift gekommen war und dieses etwa anderswo lagerte, beantworteten die Ermittler zunächst nicht.
Außerdem stellten die Polizisten Laptops, Handys und andere elektronische Speichermedien sicher. Die würden nun ausgewertet, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Waffen seien nicht gefunden worden.
"Keine dicken Sprüche machen", NRW-Innenminister Herbert Reul, zu verhindertem mutmaßlichen Anschlag
Was weiß man über die Verdächtigen?
Der in seiner Wohnung festgenommene Iraner steht im Verdacht, "eine schwere staatsgefährdende Gewalttat" vorbereitet zu haben, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Es wird vermutet, dass er Anhänger einer sunnitischen islamistischen Terrorgruppe ist, wie die Nachrichtenagentur dpa aus Sicherheitskreisen erfuhr. Er soll demnach nicht im Auftrag staatlicher iranischer Behörden gehandelt haben.
Letzteres bestätigte auch der Sprecher der Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft. Er sagte weiter, es gebe Hinweise auf ein islamistisch geprägtes Weltbild, aus denen eine Anschlagsplanung resultiere.
Der jüngere der beiden Brüder war 2019 unter anderem wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme war er noch nicht auf freiem Fuß, sondern in einer Entziehungsanstalt in Hagen untergebracht. Angesichts einer Lockerung durfte er die Wochenenden teilweise bei Familienangehörigen übernachten. Das teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Dortmund mit. Zuvor hatte das "Westfalen-Blatt" darüber berichtet.
Das Gericht sah es damals als erwiesen an, dass der heute 25-Jährige im Juli 2018 im betrunkenen Zustand nachts einen großen Ast von einer Brücke auf die Autobahn 45 geworfen hatte. Der Ast traf ein Auto, die damals 32 Jahre alte Fahrerin wurde durch Glassplitter verletzt. Wegen einer Suchterkrankung hatte das Gericht angeordnet, dass er nach eineinhalb Jahren in Haft in einer Entziehungsanstalt untergebracht wird.
Die Männer sollen sich beide seit 2015 in Deutschland aufhalten. Bei der Festnahme wurden sie nur notdürftig bekleidet über die Straße in ein Einsatzfahrzeug geführt, wie Augenzeugen berichteten. Keiner der beiden habe Widerstand geleistet. Weitere Verdächtige gibt es laut den Ermittlern nach derzeitigen Erkenntnissen nicht.
Wie kamen die Ermittler auf die Spur?
US-amerikanische Sicherheitskräfte warnten die deutschen Ermittler. Man habe am Samstag einen konkreten Tipp auf weit fortgeschrittene Anschlagspläne des 32-Jährigen erhalten, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf.
Bei der US-Behörde handelt es sich laut Informationen der "Bild"-Zeitung und des "Spiegels" um das FBI. Der "Spiegel" berichtet, das FBI habe den ersten Hinweis bereits an Weihnachten weitergeleitet. Offenbar hatten die US-Amerikaner eine Telegram-Chatgruppe infiltriert. Dort soll sich der Verdächtige laut des Magazins nach Bombenbauplänen und Giftstoffen erkundigt haben. Die Ermittlungen hätten kurz vor Silvester begonnen, sagte Terrorismusexperte Götschenberg in der tagesschau.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: "Wir hatten einen ernstzunehmenden Hinweis, der die Polizei dazu veranlasst hat, noch in der Nacht zuzugreifen."
Welche Giftstoffe vermuteten die Ermittler?
Der Mann steht im Verdacht, sich für einen Anschlag Cyanid und Rizin besorgt zu haben. Das hochgiftige Rizin wird laut RKI in der Kriegswaffenliste unter "Biologische Waffen" aufgeführt. Das Pflanzengift blockiert in Zellen die Proteinsynthese. Besonders giftig ist es bei Injektion oder Inhalation. Behandelt werden im Vergiftungsfall die Symptome - wie Lungenödeme, Kreislaufversagen und Leber- und Nierenschäden -, spezifische Therapiemöglichkeiten gibt es bisher nicht.
Cyanid ist ebenfalls hochgiftig, bereits kleinste Mengen wirken bei Menschen tödlich. Cyanide wirken nicht nur bei Verschlucken, sondern auch nach Einatmen über die Lunge. Beim Kontakt von Cyaniden mit Wasser entsteht Blausäure (Cyanwasserstoff), die für ihren typischen Bittermandelgeruch bekannt ist. Die Atemgifte wirken sehr schnell, die Opfer sterben an Atemlähmung.
Wie gefährlich Rizin ist, haben Ermittlungen vor vier Jahren in Köln gezeigt: Dort hatten ein Tunesier und seine deutsche Frau die Chemikalie hergestellt und Testexplosionen ausgelöst. Ein ausländischer Geheimdienst schöpfte Verdacht und gab einen Tipp. Beide wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Ein Gutachten ergab: Rein rechnerisch hätten durch die Giftmenge 13.500 Menschen sterben können. Bei der geplanten Verbreitung durch eine mit Stahlkugeln gespickten Streubombe wären es etwa 200 Tote gewesen.
Wie sind die öffentlichen Reaktionen?
Vor dem Hintergrund des Einsatzes sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die Gefahr islamistischer Anschläge in Deutschland ist nicht gebannt. "Unsere Sicherheitsbehörden nehmen jeden Hinweis auf islamistische Terrorgefahren sehr ernst - und handeln", sagte sie laut einer Mitteilung ihres Ministeriums. Seit dem Jahr 2000 hätten die Behörden in Deutschland 21 islamistische Anschläge verhindert.
Der aktuelle Fall zeige erneut, dass das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum als bewährte Bund-Länder-Kooperationsplattform funktioniert, so die SPD-Politikerin. Hier liefen die Informationen zusammen, um jederzeit schnell und wirksam handeln zu können. Die internationale Zusammenarbeit sei ebenso weiterhin ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung des internationalen islamistischen Terrorismus.
Der Terrorismusexperte Peter Neumann sagte am Rande der CSU-Landesgruppenklausur: "Diese Bedrohung ist geringer als vor sechs oder sieben Jahren, aber sie existiert nach wie vor. Das darf man nicht vergessen." Er wies darauf hin, dass bei fast jedem aufgedeckten Terrorplan der vergangenen Jahre der entscheidende Hinweis von US-Geheimdiensten gekommen sei. Deutschland sei auch bei der Terrorismusbekämpfung im Inneren nach wie vor sehr abhängig von Amerikas Geheimdiensten.
Der Unions-Innenexperte Alexander Throm kritisierte die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Nachrichtendiensten. "Diese Abhängigkeit stellt ein beträchtliches Sicherheitsrisiko dar, welches mit der restriktiven Haltung der Ampel gegenüber unseren eigenen Diensten noch größer wird", sagte er den Zeitungen der "Funke"-Mediengruppe mit Blick auf die rot-grün-gelbe Bundesregierung.
Der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz sagte den Zeitungen der "Funke"-Mediengruppe: "Noch einmal wird deutlich, dass wir bei allen aktuellen, sehr ernstzunehmenden Bedrohungen aus dem Bereich des militanten, gut vernetzten Rechtsextremismus, keineswegs von islamistischen Täterinnen und Tätern ausgehende Gefahren aus dem Blick verlieren und unterschätzen dürfen."