Nach Eklat um Wolfsgruß bei EM Türkei bestellt deutschen Botschafter ein
Mit dem Wolfsgruß während des EM-Achtelfinales sorgte der türkische Torschütze Demiral für Empörung. Kritik kommt aus der Bundespolitik, die UEFA startete ein Untersuchungsverfahren. Die Türkei bestellte deshalb jetzt den deutschen Botschafter ein.
Der Torjubel des türkischen Fußball-Nationalspielers Merih Demiral sorgt für politische Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland. Nach der scharfen Kritik aus der Bundesregierung bestellte Ankara den deutschen Botschafter ein. Das Auswärtige Amt bestätigte den Vorgang. In einer Mitteilung des türkischen Außenministeriums ist die Rede von einer politisch motivierten Reaktion, die nicht hingenommen werden könne.
Demiral hatte am Dienstag beim 2:1 im Achtelfinale gegen Österreich nach seinem zweiten Tor in Leipzig den sogenannten Wolfsgruß gezeigt. Die Geste gilt als Erkennungssymbol der "Grauen Wölfe", den Anhängern der "Ülkücü-Bewegung". Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Organisation als rechtsextremistische Gruppierung ein, die sich gegen Völkerverständigung, das friedliche Zusammenleben der Völker und gegen Wertvorstellungen des Grundgesetzes richtet.
Unter anderem Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) kritisierte das gezeigte Zeichen scharf. "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen. Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel", schrieb Faeser auf der Plattform X.
"Keine weiteren Aussagen"
Der türkische Fußballverband positionierte sich zunächst nicht weiter zu dem Vorfall. Ein zumindest für Medien teil-öffentliches Training des EM-Viertelfinalisten wurde am Mittwochabend kurzfristig wieder abgesagt und in die Sporthalle des türkischen Quartiers in Barsinghausen verlegt.
Als die beiden Spieler Orkun Kökcü und Okay Yokuslu bei einer Pressekonferenz nach dem Verhalten ihres Teamkollegen und den möglichen Konsequenzen durch die UEFA gefragt wurden, griff ein Sprecher des Verbands ein und sagte: "Gestern Abend hat sich unser Spieler dazu geäußert. Die UEFA befasst sich mit dem Thema. Wir werden dazu heute keine weiteren Aussagen machen."
UEFA leitet Ermittlungen ein
Die UEFA eröffnete inzwischen ein Untersuchungsverfahren gegen Demiral. Es gehe dabei um ein mögliches unangemessenes Verhalten des 26-Jährigen, teilten Vertreter mit. Sollte Demiral bestraft werden, könnten ihm Folgen für das anstehende Viertelfinale gegen die Niederlande drohen. Der Fußballer selbst hatte erklärt, sein Jubel habe mit "seiner türkischen Identität" zu tun. Er sagte, dass er keine versteckte Botschaft gesendet habe, sondern lediglich seinen Stolz als Türke ausdrücken wollte.
Rückendeckung bekam Demiral aus der türkischen Politik. Der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, bezeichnete die Einleitung eines Verfahrens der UEFA gegen den Spieler als "Provokation". Der Schritt sei "äußerst voreingenommen und falsch".
"Graue Wölfe" - eine der größten rechtsextremen Organisationen
Die Geste - Zeigefinger und kleiner Finger wie Ohren aufgestellt, Mittel- und Ringfinger an den Daumen gepresst - drückt in der Regel die Zugehörigkeit und das Sympathisieren mit der Bewegung der "Grauen Wölfe" und ihrer Ideologie aus. Der politische Arm der Bewegung, die MHP, sitzt nicht nur im Parlament, sondern ist dort auch Bündnispartner der AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.
In Frankreich sind die "Grauen Wölfe" verboten, in Österreich ihr Gruß - in Deutschland aber weder das eine noch das andere. Zugleich beobachtet der Verfassungsschutz die deutschen Ableger. Er stuft die Gruppierung als eine "erhebliche Bedrohung für die freiheitlich demokratische Grundordnung" ein. Der Ideologie der "Ülkücü"-Bewegung wird im Verfassungsschutzbericht 2023 ein "übersteigerter Nationalismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" wie Rassismus und Antisemitismus attestiert.
Mit mehr als 12.000 Anhängern sind die "Grauen Wölfen" sie eine der größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland. Einige ihrer Anhänger schrecken auch vor Morddrohungen gegen deutsche Politiker nicht zurück.
Forderung nach Konsequenzen
Bundesagrarminister Cem Özdemir forderte Konsequenzen. "Seine Botschaft ist rechtsextrem, steht für Terror, Faschismus", schrieb der Grünen-Politiker auf X. Die Europäische Fußball-Union UEFA müsse Konsequenzen ziehen. "Ich frage mich, warum das Zeigen des Symbols des 'Grauen Wolfes' nicht auch bei uns längst verboten ist. Diese rechtsextreme Geste steht für widerlichen Antisemitismus und die Vertreibung der letzten Christen aus dem Siedlungsgebiet der Urchristen", fügte er hinzu.
Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (GbV) rief die UEFA auf, das Zeigen des Wolfsgrußes nicht zu dulden. "Am Jahrestag des Sivas-Massakers so prominent den Wolfsgruß zu zeigen, ist ein absoluter Skandal", sagte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido. "Die türkische Nationalmannschaft muss sich öffentlich vom Zeigen des rechtsextremen Symbols distanzieren." Sido forderte Demiral zudem auf, sich "bei den Millionen Aleviten, für die der Wolfsgruß ein Symbol der Unterdrückung und Verfolgung ist", zu entschuldigen.
In der zentralanatolischen Stadt Sivas wurden im Juli 1993 Teilnehmer eines alevitischen Festivals von einer religiös aufgepeitschten Menge angegriffen, 35 Menschen, zumeist alevitischen Glaubens, kamen ums Leben.
Mit Informationen von Christian Buttkereit, ARD-Studio Istanbul