Junge Wähler bei der Europawahl "Wahlen werden nicht durch TikTok-Videos gewonnen"
Soziale Medien sind bei der Information für junge Menschen wichtig, aber nicht wahlentscheidend, sagt Lehrer und TikToker Niko Kappe. AfD und Volt haben Gemeinsamkeiten, weil sie beide Angebote an junge Leute machen.
tagesschau.de: Wie wählen junge Menschen? Suchen sie nach Fakten und Informationen oder sind es eher emotionale Entscheidungen?
Niko Kappe: 27 Prozent wählen kleine Parteien. Das sind Parteien, die wenig Werbung gemacht haben. Das heißt, sie haben aktiv danach gesucht, sich aktiv mit den Inhalten auseinandergesetzt und dann entschieden: Die wähle ich.
Beim Bündnis Sahra Wagenknecht müsste das ja ähnlich sein, denn es ist ganz neu. Wenn man sich nicht für Politik interessiert, dann hat man davon vielleicht wenig mitbekommen. Also denke ich schon, dass sehr, sehr viele junge Menschen durchaus kalkuliert haben, wen sie wählen.
Niko Kappe ist Lehrer und bei TikTok als @nikothec aktiv. Dort beschäftigt er sich mit politischen Inhalten. Er hat auch Kanäle bei YouTube, Instagram und Snapchat.
"Natürlich spielt Social Media eine große Rolle"
tagesschau.de: Nichtsdestotrotz gibt es besonders bei Social Media viel Werbung. Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei der Entscheidungsfindung?
Kappe: Grundsätzlich muss ich sagen: Wahlen werden nicht durch TikTok-Videos gewonnen. Das muss man glaube ich noch mal ganz klar sagen. Das wäre viel zu einfach.
Natürlich spielt Social Media eine große Rolle. Als ich jung war, als Sie jung waren, sind extreme Positionen nicht direkt an uns heran gekommen. Heute können Parteien wie die AfD, aber auch alle anderen, direkt ins Kinderzimmer senden. Und das ist natürlich ein großer Unterschied. Das kommt dort ungefiltert an.
Gerade die Struktur von Social-Media-Plattformen wie TikTok oder auch Instagram - da ist es ja so, dass wenn man einmal ein "falsches" Video gesehen hat oder ein bestimmtes thematisches Video, dann ist man ganz schnell in einem sogenannten Rabbit Hole. Das heißt, man sieht dann nur noch Videos zu diesem Thema.
Das ist schon bedenklich, weil da viel auf junge Leute einprasselt. Vielleicht auch Sachen, die man nicht verifizieren kann. Man weiß nicht, stimmt das überhaupt? Man fragt sich vielleicht auch irgendwann gar nicht mehr: Stimmt das überhaupt? Sondern man nimmt das dann für voll. Da wird teilweise die Wirklichkeit verzerrt.
"AfD und Volt haben beide eine Zukunftsvision"
tagesschau.de: In ein sogenanntes Rabbit Hole kommt man aber nur, wenn der Kanal ansprechende Werbung bringt. Was macht die Kanäle von der AfD und der sehr viel kleineren Partei Volt aus? Worauf setzen sie?
Kappe: TikTok entscheidet wie gesagt nicht die Wahl. Es ist auch zum Beispiel nicht so, dass die AfD die erfolgreichste Partei auf TikTok wäre. Es gab neulich eine Untersuchung von dem Deutschen Institut für Wirtschaft. Da kam raus, dass die FDP wohl die beliebtesten oder stärksten Videos gemacht hat auf TikTok. Und man muss auch sagen: Die SPD hat mit Abstand die meisten Videos zur Europawahl gemacht - das hat ihnen aber nicht geholfen.
Das heißt, andere Parteien machen in dem Sinne etwas richtig, denn sie erreichen mehr Leute. Ich denke, dass es grundsätzlich zwei Dinge sind. Einerseits das, was gerade im populistischen Bereich schon immer funktioniert, und zwar einfache Antworten auf komplexe Probleme zu bieten. Wenn man das auf Social Media postet, dann ist der Widerspruch auch geringer. Wenn dann noch in den Kommentaren viele Leute "Hurra" schreien, kommt man vielleicht auf die Gedanken, dass genau das tatsächlich eine Lösung sein könnte.
Und dann haben zum Beispiel die AfD und Volt tatsächlich Gemeinsamkeiten. Und zwar machen beide ein Angebot an die jungen Leute, das heißt, sie geben vor: Wir wissen, was eure Probleme sind und wir haben eine Lösung dafür. Beide haben eine Zukunftsvision. Diese Vision unterscheidet sich natürlich inhaltlich komplett, aber beide haben ein Angebot an junge Leute.
Was bei Social Media noch deutlich wird, gerade bei der AfD: Man kann sich als Teil einer Bewegung fühlen, wenn man in diesen Strudel hineingerät. Und man sieht dann, dass alle blaue Herzen posten und alle schreien: "Sei schlau, wähl blau". Dann kann man sich schnell als Teil einer Gemeinschaft fühlen.
Volt hat das in die andere Richtung geschafft, gerade mit Blick auf Europa. Die haben eine Vision in die Zukunft, nämlich dass es einen europäischen Bundesstaat geben soll zum Beispiel. Volt nennt sich eine paneuropäische Bewegung. Es gibt also mehrere Punkte, die die jungen Leute ansprechen, die natürlich auch ohne Social Media funktionieren würden, aber hier noch mal deutlich verstärkt werden.
"Ein Hauptthema war die Migration"
tagesschau.de: Schauen wir noch auf die Grünen. Die haben ja wohl den größten Einbruch bei den Jungen verkraften müssen. Wie erklären Sie sich das?
Kappe: Auch die FDP hat ja stark verloren bei jungen Wählern. Die Partei hat sehr viele Zukunftsoptionen genannt, sehr viele Angebote und auch Versprechen gemacht, die in Augen der jungen Wählerinnen und Wähler anscheinend jetzt nicht eingehalten werden konnten. Dafür wurde sie abgestraft.
Bei den Grünen ist es so: Ein Hauptthema der Wahl war die Migration, hat man den Eindruck. Deshalb konnte die Partei ihre Themen nicht platzieren. Dann kommt der Streit in der Ampelkoalition dazu.
Was ich aber auch merke in Gesprächen mit Leuten: Es werden Vorurteile transportiert von Social Media. Die heißen dann plump: Die Grünen wollen uns das Autofahren verbieten - und da mache ich natürlich nicht mit. Bloß so ist es ja nicht.
Das Gespräch führte Bibiana Barth. Es wurde für die schriftliche Version gekürzt und redigiert.