Medizinische Versorgungszentren Hausarzt dringend gesucht
Wenn Arztpraxen keine Nachfolge finden, springen oft Investoren ein und gründen Medizinische Versorgungszentren. Sie übernehmen das Geschäftliche, die Mediziner sind angestellt. Welche Folgen hat das?
Der Cottbuser Hausarzt Luca Lehnig hört zum Jahresende auf. Er geht in Rente. So wie auch mehrere andere Hausärzte in der 100.000-Einwohner-Stadt. Weil es nicht für alle Praxen einen Nachfolger gibt, stehen gerade viele Cottbuser ohne Hausarzt da.
"Mein Sohn wird meine Praxis übernehmen. Das ist bei den anderen Kollegen aber nicht so", erzählt der Mediziner, der jeden Tag rund 20 Anfragen von Patienten bekommt, die auf der Suche nach einer neuen Hausarztpraxis sind. "Wir haben derzeit eine prekäre Situation", so Lehnig. Der Zulauf sei im Moment nicht mehr zu bewältigen.
Was in Cottbus passiert, geschieht deutschlandweit überall. Viele Babyboomer gehen in Rente, darunter auch viele Hausärzte. Die Robert-Bosch-Stiftung geht davon aus, dass im Jahr 2035 rund 11.000 Hausärzte fehlen werden.
Um das Problem in den Griff zu kriegen, setzen sie in Cottbus unter anderem auf ein neues Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Die Stadt unterstützt nach eigenen Angaben bei den Bauanträgen.
Die Brandenburger Ärztekammer schlägt allerdings Alarm. Ihr sind die vielen MVZ ein Dorn im Auge. Sie fürchtet, es könnte Rendite statt Patientenwohl im Vordergrund stehen.
Was sind Medizinische Versorgungszentren?
Ein MVZ ist eine ambulante Einrichtung, in der Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen unter einem Dach arbeiten. Es gibt sie seit 2004. Eingeführt wurden sie mit dem Ziel, die ambulante medizinische Versorgung flexibler und effizienter zu gestalten.
Inhaber eines MVZ muss nicht zwangsläufig ein Arzt sein. Infrage kommen auch Krankenhäuser, Kommunen oder gemeinnützige Träger. Die Zahl der MVZ ist in den vergangenen Jahren laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung stark angestiegen, vor allem in Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Mittlerweile gibt es deutschlandweit mehr als 4.800 solcher Zentren mit mehr als 30.000 Ärztinnen und Ärzten. Sie werden nahezu ausschließlich als GmbH geführt.
Welche Vorteile gibt es für Patienten?
Im Idealfall profitieren Patienten durch eine Versorgung "aus einer Hand", weil keine langen Anfahrtswege zu verschiedenen Fachärzten mehr nötig sind, genauso wie Überweisungen. In strukturarmen Regionen können sie außerdem die Versorgung von Patienten sicherstellen. Vor allem im ländlichen Raum fehlen nämlich oft Spezialisten verschiedener Fachrichtungen.
Welche Nachteile gibt es für Patienten?
Als ein Nachteil gilt, dass das Verhältnis zwischen Arzt und Patient in einem MVZ etwas unpersönlicher sein kann als in einer Praxis, in der seit Jahren nur ein einziger Arzt arbeitet.
Warum entscheiden sich Ärzte für ein MVZ?
Immer weniger Medizinstudierende planen, eine eigene Praxis zu gründen oder in einem Krankenhaus zu arbeiten, inklusive Schichtdienst und Überstunden. Viele Ärzte lassen sich mittlerweile lieber in einem MVZ anstellen, weil sich Beruf und Privatleben so besser balancieren lassen.
Dazukommt, dass angestellte Ärzte kein finanzielles Risiko eingehen müssen. Die Gründung einer Praxis ist teuer, und dann ist da ja auch noch das unternehmerische Risiko. Allerdings haben angestelle Ärzte weniger Gestaltungsspielraum. Sie sind an die Vorgaben des MVZ und des Trägers gebunden.
Warum stehen MVZ seit Jahren in der Kritik?
Kritisiert wird, dass vermehrt MVZ von privaten Investoren gekauft oder gegründet werden. Der Vorwurf lautet, dass dabei wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen.
Die Brandenburger Landesärztekammer beispielsweise beklagt, dass sogenannte Private-Equity-Firmen einzelne Praxen aufkaufen und diese zu größeren Einheiten ausbauen, um sie anschließend mit größtmöglichem Gewinn zu betreiben. Es bestehe die Gefahr, heißt es, dass Patientinnen und Patienten nicht die bestmögliche, sondern die am besten vergütete oder gar eine überflüssige Behandlungen erhalten. "Dies geht tendenziell zu Lasten der bereits unter Druck stehenden ambulanten Versorgung in ländlichen Gegenden", so Präsident Frank-Ullrich Schulz.
Die Kassenärztliche Vereinigung in Bayern wollte es genauer wissen und hat die Abrechnungen analysieren lassen. Die Studie zeigt, dass MVZ im Besitz von Investoren besonders viele Leistungen abrechnen. Bei der hausärztlichen Versorgung in MVZ in Bayern beispielsweise wurden fast 20 Prozent mehr sogenannte Mitversorgungsleistungen abgerechnet als bei der hausärztlichen Versorgung in Einzelpraxen.
Was macht die Politik?
Gesundheitsminister und SPD-Politiker Karl Lauterbach hatte 2022 angekündigt, einen Gesetzentwurf vorzulegen, "der den Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen unterbindet". Auch die Grünen hätten die Regelungen gern verschärft. Sie scheiterten aber an Bedenken der FDP.
Die Bundesländer fordern schon seit Längerem, investorenbetriebene MVZ schärfer zu regulieren. Eine Bundesratsinitiative dazu scheiterte allerdings ebenfalls. So hatten Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein unter anderem vorgeschlagen, ein MVZ-Register einzuführen. Außerdem haben sie sich für eine Kennzeichnungspflicht stark gemacht.
Auf dem Praxisschild sollte stehen, wer Träger und Betreiber ist, weil häufig die Besitzverhältnisse eines Versorgungszentrums nicht klar sind. Es ging zudem um Maßnahmen, um Monopolisierungstendenzen zu begrenzen. Krankenhäuser sollten nur in einem Umkreis bis zu 50 Kilometer von ihrem Sitz ein MVZ gründen können.
Lauterbachs Gesetzentwurf ist mittlerweile im Bundestag angekommen. Auch Experten wurden bereits angehört. Sie sehen allerdings weiterhin "erhebliche Gefahren für die Patientenversorgung" durch sogenannte versorgungsfremde Investoren.