Immersive Ausstellungen Kunst oder Spektakel?
Ob Monet, Kahlo oder Dalí - immer mehr Ausstellungen werfen die Bilder bekannter Künstler mit Projektoren auf riesige Flächen an Wand und Boden, damit die Zuschauer ins Werk eintauchen können. Ist das noch Kunst?
Die fließenden Uhren von Salvador Dalí, überlebensgroß zerlaufen sie an den 13 Meter hohen Wänden. Nackte Männer auf Fahrrädern radeln an der Wand. Auf dem Boden schwarz-weiße Fotos des Künstlers. Hundert Projektoren werfen in der Ausstellung "Dalí: Das endlose Rätsel" die Werke des spanischen Künstlers in die Räume eines alten Puddel- und Walzwerkes. Dazu erklingt aus den Lautsprechern die Musik von Pink Floyd.
Seit einem Jahr ist das alte Industriegebäude in Dortmund das Zentrum für digitale Kunst "Phoenix des Lumières" und zeigt solche immersiven Ausstellungen. Immersiv - das heißt die Besucher tauchen ein, sind mitten in der Projektion.
"Das Tolle ist einfach, dass Dalí hier zum Leben erweckt wird", sagt Andreas Gröhbühl. Er sitzt mit einigen anderen Besuchern auf dem Boden. "Das ist einfach noch einmal eine andere Qualität."
Auch über Christina Göbels Gesicht huschen die bunten Bilder. "In ein klassisches Museum würde ich beispielsweise nicht zwingend gehen", sagt sie. "Aber das ist wirklich eine ganz tolle Show, eine ganz tolle Atmosphäre."
Kultur zugänglicher machen - für 16 Euro
Doch ist das noch Kunst oder schon reines Entertainment? Mehr als eine halbe Million Menschen haben das private Museum des französischen Unternehmens Culturespaces im vergangenen Jahr besucht. Fördergelder erhalten sie nach eigenen Angaben nicht. Ihr Ziel: Kultur jedem zugänglich machen. Dafür zahlt der Besucher in Dortmund 16 Euro für das reguläre Ticket.
"Es sind nicht mehr als 20 oder 25 Prozent der Bevölkerung, die in die Museen gehen und Kunst kennen", sagt Bruno Monnier, Gründer und Präsident von Culturespaces. "Mit dieser Art der Ausstellung können wir bis zu 50 Prozent erreichen. Viele Menschen, die kommen, entdecken hier die Kunst, haben ihren ersten Kontakt."
Schwarz-weiße Fotos von Salvador Dalí gehören ebenfalls zur immersiven Ausstellung "Dalí: Das endlose Rätsel" in Dortmund.
"Mit Kunst nichts zu tun"
Auch Mischa Kuball spielt mit Projektionen und macht Kunst erlebbar, aber er erschafft sie selbst. Etwa mit seiner Installation "Five Planets", die im Museum Folkwang in Essen zu sehen ist. Fünf drehende Discokugeln reflektieren Lichtbuchstaben aus Scheinwerfern in den ganzen Raum. Sie tanzen über Wände und Boden, wer lange hinsieht, dem wird schnell ein wenig schwindelig.
Die Projektionen der Werke bekannter Kunstschaffender hätten mit Kunst nichts zu tun, sagt der Konzeptkünstler und Professor für Öffentlichen Raum an der Kunsthochschule für Medien in Köln. "Das ist eine Addition, da ist etwas hinzugekommen - und deswegen habe ich eine große Neugierde auf der einen Seite, aber auch eine kritische Distanz", so Kuball.
Konzeptkünstler Mischa Kuball erschafft Projektionen selbst.
"Es ist für mich Spektakel, aber die Welt braucht das." Kuball glaubt, dass Menschen unterschiedliche Formen des Zusammenkommens brauchen. "Ich bin Fußballfan und weiß, was das für eine Energie produziert. Ich würde mir mehr Vermittlung wünschen und auch eine bessere kritische Einordnung."
Außerdem fehlten ihm verschiedene Blickwinkel auf die Kunst. "Die neuen großen spektakulären Räume braucht es, um sich danach wieder auf ein Kammerkonzert und auf ein leises Format zu sensibilisieren", sagt Kuball. "Das eine geht mit dem anderen, aber nur das eine wäre mir auch für die sogenannten Digital Natives zu eindimensional." Am Ende sei die Projektion erst einmal eine Technik, die Kunst von den bekannten Künstlern selbst eigentlich für die Leinwand geschaffen.
"Unglaublich große Faszination"
"Es ist tatsächlich dieser Moment, zu spüren, dass der Künstler genau hier gearbeitet hat, das Bild erschaffen hat, und jetzt bin ich dem genauso nah, wie der Künstler", betont der Direktor des Museum Folkwang, Peter Gorschlüter, die Kraft des originalen Werks. "Und man sieht natürlich die Oberflächen, die Haptik, den Pinselstrich." Es sei eine Einladung, in die Gedankenwelt des Künstlers hineinzuschlüpfen und das Bild so zu sehen, wie er oder sie es sah.
Die neuen Ausstellungen mit den großen Projektionen brächten in Essen keine neues Publikum ins Folkwang-Museum. "Aber, was wir feststellen können, ist, dass das Eintauchen in die Kunst, das Aufgehen in der Kunst, das das eine unglaublich große Faszination auf die Menschen ausübt", sagt Gorschlüter. Das Museum zeigt als immersive Werke extra für Räume konzipierte Originalversionen.
"Mit dieser Art der Ausstellung können wir bis zu 50 Prozent erreichen", sagt Bruno Monnier, Gründer und Präsident von Culturespaces.
Chance für Museen?
Im Walzwerk Dortmund werden neben Dalí auch Werke von Gaudí gezeigt. Die Technik sei eine Chance für Museen auf der ganzen Welt. "Sonderausstellungen klassischer Werke werden für die Museen immer teurer und komplizierter", sagt Culturspaces-Gründer Bruno Monnier. "Die Werke müssen transportiert werden. Das ist auch nicht gut für unseren Planeten."
Die natürliche Entwicklung werde sein, sich einer anderen Form der Ausstellung zuzuwenden, so Monnier. "Das Digitale kann den Museen dabei helfen, indem es immersive Ausstellungen ermöglicht und so ihr Angebot abrundet."