Rechtsextreme bei TikTok Mit einem Swipe in den Köpfen der Jugendlichen
Rechtsextreme erreichen auf Plattformen wie TikTok Millionen Kinder und Jugendliche. Sie wissen genau, wie sie ihre Inhalte verpacken, damit junge Menschen sie als normale politische Thesen wahrnehmen.
"Echte Männer sind rechts", sagt der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, in einem TikTok-Video - und erntet 1,4 Millionen Klicks dafür. Krah, 47 Jahre alt, adressiert mit seinem Video besonders junge User.
Er greift dabei auch zu geschichtsrevisionistischen Tönen: "Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher. Wir haben allen Grund stolz auf unser Land zu sein und auf die Menschen, die es aufgebaut haben." Und er fordert sie auf, herauszufinden, "was Oma, Opa oder Uroma alles gemacht haben, wo sie herkamen, was sie gekämpft und gelitten haben".
Die AfD ist in sozialen Netzwerken so erfolgreich wie keine andere deutsche Partei. Auch die rechtsextremistische AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) sendet bei TikTok ungefiltert ihre völkisch-nationalistischen Botschaften.
Erik Ahrens ist Social-Media-Experte und hat den TikTok-Kanal für Maximilian Krah aufgebaut. Im vergangenen Jahr sorgte er für Schlagzeilen mit der Forderung, deutsche Frauen müssten zur Eizellenspende verpflichtet werden, um die Demografie zu stabilisieren.
Bei einem Vortrag am privaten "Institut für Staatspolitik", der laut Verfassungsschutz wichtigsten rechtsextremistischen Denkfabrik, schwärmt er von den großen Reichweiten, die sich durch TikTok erzielen lassen. "So, wie man sich 1923 gefühlt haben muss, als man das Radio für sich entdeckt hat, so fühle ich mich, wenn ich mir meine TikTok-Accounts anschaue", so Ahrens.
Reichweiten mit exponentiellem Wachstum
TikTok ist die perfekte Plattform für Rechtsextremisten. Mehr als 20 Millionen Menschen sind in Deutschland bei TikTok, vor allem Heranwachsende.
Anders als Eltern oft denken, müssen Kinder und Jugendliche solche Videos gar nicht aktiv suchen. Sie kommen von allein, und das geht so: TikTok zeigt jedes hochgeladene Video wahllos einer bestimmten Anzahl von Menschen. Wenn es gelikt, kommentiert oder auch nur angesehen wird, wird es zusätzlich wieder neuen Menschen in die Timeline geschickt.
Die jungen User, die oft den teils extremen Charakter der Videos nicht auf Anhieb durchschauen, bekommen ähnliche Inhalte wieder vorgeschlagen. Und wieder. Und wieder. Exponentielles Wachstum ist so möglich.
Rechte Influencer gehen bei der Inszenierung der Videos geschickt und popkulturell zeitgemäß vor. Mit Musik, Emojis und Sarkasmus untermalen sie etwa ihre Redeausschnitte im Landtag. Immer per "Du" mit den Nutzern, teils im Duktus von Online-Coaches, die auf den Selbstwert der jungen Menschen abzielen und ihnen Orientierung bieten wollen.
Ohne Kontrolle, ohne Filter, wie Social-Media-Experte Ahrens über die Videos der Neurechten in seinem Vortrag erzählt: "Wir können halt immer unsere Botschaft in den eigenen Worten, über unsere eigene Blase hinaus selbst direkt vor die Augen setzen." Und zwar so, "wie wir es tatsächlich sagen, sehen es die Leute auch".
Die Botschaft werde nicht etwa durch Faktenchecks von Medien verändert. "Und das ist so eine unmittelbare, direkte, parasoziale Beziehung sozusagen zwischen mir als Zuschauer und diesem Mann auf dem Bildschirm", sagt Ahrens.
Subtile Botschaften auch über Lifestyle-Videos
Der Medienwissenschaftler Daniel Hajok von der Universität Erfurt warnt: "Gezielte Propaganda ist ja immer nur ein Teil. Das andere ist, wenn Menschen mit einer entsprechenden Gesinnung über Lifestyle-Welten ganz normalen Einblick in den Alltag geben." Dabei würden rechte Perspektiven viel subtiler und niedrigschwelliger vermittelt.
Die Folge: Ganz allmählich gewöhnen sich junge User so an die Inhalte und Sprache der Rechten. Und sie lernen die Gesichter der Neuen Rechten und der AfD kennen. Zum Beispiel das von Ulrich Siegmund, Fraktionsführer der AfD in Sachsen-Anhalt, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird.
201.000 Klicks bekommt der 33-Jährige zum Beispiel für ein TikTok-Video, in dem er versucht, den Verfassungsschutz zu delegitimieren. Nach Informationen des Recherchenetzwerks "Correctiv" war auch Siegmund mit dabei beim Treffen im Landhaus Adlon in Potsdam.
"Einfluss auf die Wahlen nehmen"
Siegmund treibt wie auch die "Junge Alternative" seine Social-Media-Aktivitäten mit viel Aufwand voran. "Da gibt es viele Mitglieder, die sehr aktiv sind, und da fließt offensichtlich auch sehr viel Geld rein in die Professionalisierung dieser Aktivitäten", sagt die Politologin Anna-Sophie Heinze im Deutschlandfunk-Interview.
Über die Finanzierung von Social-Media-Videos wurde laut Informationen der Recherche-Plattform Correctiv auch bei dem Potsdamer Treffen gesprochen. Demnach hatte der mittlerweile entlassene persönliche Referent von AfD-Chefin Alice Weidel, Roland Hartwig, in Aussicht gestellt, dass die AfD eine Social-Media-Agentur für rechte Influencer mitfinanzieren könnte. Hartwig zufolge ist das Ziel, Einfluss auf die Wahlen zu nehmen, vor allem bei jungen Leuten: "Die Generation, die das Blatt wenden muss, steht da."
Löschen als Lösung?
TikTok löscht nach eigenen Angaben Inhalte, die gegen die Community-Richtlinien der Plattform verstoßen. Laut dem EU-Spitzenkandidaten der AfD, Krah, hat TikTok schon Videos von ihm gelöscht.
Auf Anfrage von tagesschau.de verweisen Innen-, Familien- und Digitalministerium auf den "Digital Service Act" der EU-Kommission. Demnach müssten große Plattformen empfindliche Strafen fürchten, wenn sie der Löschung von rechtswidrigen Inhalten nicht nachkommen.
Die Plattformen müssen laut Medienwissenschaftler Hajok jedoch lediglich Meldefunktionen für die User bereitstellen. Erst wenn TikTok eine Meldung zu einem zweifelhaften Inhalt erhält, muss die Plattform diese prüfen und gegebenenfalls an deutsche Strafverfolgungsbehörden weiterleiten.
Häufig sind die Videos allerdings an der Grenze zum juristisch Verfolgbaren, müssen also nicht gelöscht werden. Und selbst wenn: Laut dem AfD nahen Social-Media-Strategen Ahrens sind Influencer auf TikTok selbst mit Account-Löschungen nicht klein zu kriegen, denn "wenn dann dieser Kanal gesperrt wird aus irgendeinem Grund, dann kann diese Person sich einfach einen neuen Account machen". Sie könne dann innerhalb kürzester Zeit dieselbe Reichweite erneut erzeugen, weil sie in der Zielgruppe schon bekannt sei.
Der Rechtsextremismusexperte Maik Fielitz vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena findet, dass demokratische Inhalte eine größere Reichweite bekommen müssten. "Und deshalb sind Eingriffe in die Architektur digitaler Netzwerke wichtig", so Fielitz. Also in die Algorithmen von TikTok und Co.
Medienwissenschaftler Hajok findet, dass die anderen Parteien in der digitalen Welt von heute präsenter sein müssen. Sonst hätten diejenigen, die die neuen Technologien am besten beherrschen, auch gesamtgesellschaftlich den größten Erfolg.