"Konzertierte Aktion" Scholz lädt zur Entlastungssuche
Kanzler Scholz sieht in der hohen Inflation einen sozialen Sprengstoff. Zusammen mit Wirtschaft und Gewerkschaften will er über weitere Entlastungen sprechen. Finanzminister Lindner ist gegen neue Staatsausgaben.
Egal ob im Supermarkt oder beim Heizen: Die Preise steigen, und für viele Menschen wird es immer schwieriger, über die Runden zu kommen. Die Entwicklung bei den Energiepreisen findet auch Kanzler Olaf Scholz problematisch: "Die Bürgerinnen und Bürger müssen ja zurechtkommen mit ihrem Leben. Und wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar Hundert Euro steigt, dann ist das eine Summe, die viele nicht wirklich bewältigen können." Das sei "sozialer Sprengstoff", sagte Scholz im ARD-Sommerinterview.
Er hat für heute Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände ins Kanzleramt eingeladen, um über weitere Entlastungen zu sprechen. Es ist der Auftakt einer "konzertierten Aktion". Dabei geht es darum, dass Staat, Wirtschaft und Arbeitnehmervertretungen gemeinsam Lösungen finden, wie den Menschen geholfen werden kann, ohne die Inflation weiter anzutreiben.
Dass Scholz eine steuerfreie Einmalzahlung der Arbeitgeber plane statt Tariferhöhungen, weist der Kanzler zurück: "Es ist eine Berichterstattung einer Sonntagszeitung, die irgendwie was von irgendwem aufgeschnappt hat." Er habe vor langer Zeit im Bundestag gesagt: "Da gibt es ja ganz tolle Maßnahmen, die zum Beispiel die Industriegewerkschaft BCE ergriffen hat. Und Ähnliches hat auch die Stahlindustrie gemacht. Aber niemand schlägt vor, dass deshalb die eigentlichen Lohnerhöhungen ausbleiben sollen."
DIW-Präsident gegen Einmalzahlungen
Lohnerhöhungen hält auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, für nötig. Steuerfreie Einmalzahlungen für Beschäftigte sind seiner Ansicht nach nicht das geeignete Mittel. Das machte Fratzscher im Deutschlandfunk deutlich: "Zum einen weil viele Menschen davon nicht profitieren, nur Beschäftigte bekommen das, aber nicht Rentnerinnen und Rentner oder Studierende. Zweitens, was viele vergessen, die hohe Inflation bedeutet, dass die Preise dauerhaft höher bleiben." Selbst wenn die Inflationsrate wieder sänke, werden die Preise dies ja nicht tun. Daher brauche es höhere Löhne und Sozialleistungen, sagte Fratzscher.
Das sieht auch die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, so. Sie forderte in der "Bild am Sonntag" ein weiteres Entlastungspaket. Unter anderem schlägt sie einen Energiedeckel vor. Für eine bestimmte Menge an Strom und Gas sollte es eine Preisgarantie geben.
Als das Wirtschaftswunder-Deutschland in die Krise schlitterte, wurde als Gegenmaßnahme die "Konzertierte Aktion" ins Leben gerufen - eine informelle Gesprächsrunde aus Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften. Sie trat am 14. Februar 1967 erstmals zusammen, um den Kampf gegen die Inflation und steigende Arbeitslosenzahlen zu führen. Erfinder war der damalige SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller. Er hoffte, die Tarifpartner auf Eckpunkte einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik einschwören zu können - und eine Überhitzung der Konjunktur durch hohe Lohnforderungen der Gewerkschaften zu vermeiden. Damals wie heute war die Gefahr real, dass Löhne und Preise sich gegenseitig in die Höhe treiben. Schiller betonte ausdrücklich, dass keine Eingriffe in die Tarifautonomie vorgesehen seien.
Die Gewerkschaften gingen mit Widerwillen in die Verhandlungen. Sie beharrten auf der Tarifautonomie, waren strikt gegen die Festsetzung von Lohnleitlinien, wie sie der damaligen Regierung aus Union und SPD vorschwebten. Insgesamt zehn Gesprächsrunden gab es, doch wurde es im Laufe der Zeit immer schwieriger, tragbare Kompromisse zu finden und einen gemeinsamen Kurs zur Stabilisierung abzustecken.
1977 traten die Gewerkschaften vorläufig aus dem Gesprächsforum aus, um gegen eine Verfassungsklage mehrerer Arbeitgeberverbände gegen das Mitbestimmungsgesetz von 1976 zu protestieren. Der DGB-Kongress machte 1978 aus der vorläufigen eine endgültige Absage.
Lindner will kalte Progression dämpfen
Finanzminister Christian Lindner ist allerdings gegen neue Staatsausgaben. Der FDP-Chef kündigte stattdessen an, bei dem Treffen im Kanzleramt für eine angebotsorientierte Politik zu werben, um die Inflation zu bekämpfen: "Was wir brauchen ist gezielte Entlastung, um Kaufkraftverluste zu reduzieren. Und dann Anreize, dass ohne staatliches Geld mehr produziert wird und die Produktivität steigt." Laut Lindner könnten das weitere Freihandelsabkommen sein oder Verbesserungen bei der Fachkräfteeinwanderung.
Außerdem will der Finanzminister verhindern, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt und bringt in dem Zuge eine FDP-Forderung ins Spiel: "Ich fände eine Dämpfung der kalten Progression gut." Er habe sich darüber gefreut, dass sich auch die IG-Metall dafür aussspricht, und wisse von Arbeitgebern, dass sie das auch gut fänden. "Ich finde es auch gut, jetzt muss man gucken ob es noch mehr Fans gibt."
Eins dürfte klar sein: Einfach wird es wohl nicht, sich zu einigen. Kanzler Scholz rechnet nicht damit, dass heute schon konkrete Maßnahmen vereinbart werden. Er sagt, es gehe darum, einen Prozess zu starten.