Untersuchungsausschuss Was das Scheitern in Afghanistan lehrt
Die Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes beginnt. U-Ausschuss und Enquete-Kommission wollen nicht nur klären, warum die Mission gescheitert ist. Es gilt, künftig Fehler zu vermeiden.
Dramatisch, chaotisch, herzzerreißend: Die Bilder von den letzten Stunden der westlichen Truppen in Afghanistan vermittelten genau den Eindruck, den man um jeden Preis hatte vermeiden wollen: den Eindruck einer Flucht.
Tausende Afghanen drängelten sich in Panik, in Todesangst am mit Stacheldraht gesicherten Flughafen von Kabul, während im August 2021 die letzten Maschinen der Alliierten abhoben. Tausende, denen Deutschland Schutz zugesagt hatte, blieben zurück und den Taliban ausgeliefert. Es gibt viel aufzuarbeiten.
Die Aufarbeitung beginnt
Die 20 Jahre am Hindukusch sollen von einer Enquete-Kommission beleuchtet werden. Ein Untersuchungsausschuss soll die letzten Monate des deutschen Afghanistan-Einsatzes in den Blick nehmen, er soll nun vom Bundestag eingesetzt werden. "Wir werden zusammenarbeiten im Parlament, um unsere lessons zu learnen." Um Lehren zu ziehen, wie Außenministerin Annalena Baerbock in schönstem Denglisch sagt. Denn nicht nur für die Afghanen hatte der überstürzte - manche sagen "unnötige" - Abzug der westlichen Truppen dramatische Folgen.
"Wir werden klären müssen, welche Maßnahmen früher hätten ergriffen werden müssen", sagt der designierte Vorsitzende des Ausschusses, SPD-Politiker Ralf Stegner. "Das schließt auch unzureichende Notfallpläne für die Deutsche Botschaft sowie Schwierigkeiten bei der Evakuierung und Aufnahme von gefährdete Ortskräften mit ein."
Wie das ARD-Hauptstadtstudio damals exklusiv berichtete, hatte schon in den Wochen vor der Machtübernahme der Taliban die deutsche Botschaft in Kabul vor einer Gefährdung ihres Personals gewarnt, ohne dass sie im Auswärtigen Amt Gehör damit gefunden hätte.
Selbst zwei Tage vor der Eroberung Kabuls ging man sowohl im Außenministerium als auch beim Bundesnachrichtendienst fest davon aus, dass die Extremisten gar kein Interesse an einer Eroberung der Hauptstadt hätten. Eine grobe Fehleinschätzung, die auch dazu geführt haben dürfte, dass die Evakuierung der Deutschen Botschaft in Kabul um Haaresbreite gescheitert wäre, wie ARD-Recherchen zeigten.
Kritik am BND
Der BND hatte in den Jahren während des Bundeswehreinsatzes viele Informationen gesammelt. Umso erstaunlicher ist aus Expertensicht, dass der Geheimdienst am Ende unterschätzt hat, wie schnell die Taliban Kabul einnehmen würden. Dass der BND in den entscheidenden Tagen "eine Lagebeurteilung aus früherer Berichterstattung einfach fortgeschrieben und keine eigenständige Neubewertung" vorgenommen habe, kritisiert der ehemaliger hochrangige BND-Funktionär Gerhard Conrad.
BND-Präsident Bruno Kahl kündigte bereits bei einer Anhörung der Nachrichtendienste im Oktober letzten Jahres an: Seine Behörde wolle ihre Prognosefähigkeiten verbessern - gerade auch mit Blick auf Afghanistan. Die Schlussfolgerung für Grünen-Politiker Konstantin von Notz, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums: Ein moderner Nachrichtendienst müsse in vergleichbaren Situationen künftig enger mit Wissenschaft und der Zivilgesellschaft kooperieren.
"Unterlassene Hilfeleitung" bei Ortskräften?
Ein Dauer-Streitthema war bereits Monate vor dem endgültigen Abzug der Bundeswehr der Umgang mit den Helfern der Deutschen, den sogenannten Ortskräften. Dass man die nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte, solange noch Zeit war, brandmarkt Marcus Grotian vom 'Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte' als "unterlassene Hilfeleistung". Grotian zweifelt im Interview an, dass die Bundesregierung die Menschen wirklich schützen wollte. Das müsse nun der Untersuchungsausschuss klären.
Zwar ist es laut Auswärtigem Amt mittlerweile gelungen, 21.000 schutzbedürftige Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland zu holen - doch Tausende weitere harren in Todesangst noch der Ausreise. Der Außenexperte der CDU, Roderich Kiesewetter, kritisiert, dass Auswärtiges Amt und Innenministerium nicht gut zusammengearbeitet, sich vielmehr die Verantwortung gegenseitig zugeschoben hätten. Die Furcht vor Flüchtlingsdebatten habe innerhalb Deutschlands Teile der Regierung augenscheinlich davon abgehalten, früher, substantieller und effektiver Lösungen für die Ortskräfte zu finden.
"Das Scheitern ist eindeutig"
Nicht nur den Fehlern der letzten Abzugs-Wochen und Monate, sondern dem gesamten 20-jährigen Einsatz soll sich - parallel zum Untersuchungsausschuss - eine Enquete-Kommission widmen. Dass es auch hier eine ganze Menge aufzuarbeiten gibt, steht außer Frage. Auch Ursula Schröder vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg sagt im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio: "Das Scheitern ist eindeutig." Die gesamte Palette an Zielen sei nicht erreicht worden.
Ob die Aufklärung wirklich so schonungslos, wie einst versprochen ausfallen wird, da gibt es Zweifel: "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus", vermutet der AfD-Abgeordnete Stefan Keuter und verweist darauf, dass sowohl die Union als auch die SPD in der Schlussphase des Afghanistan-Einsatzes Verantwortung trugen. Andere meinen, auch Grüne und FDP könnten Beißhemmungen gegenüber dem Ampel-Koalitionspartner haben. Als wenig ermutigendes Zeichen für den Aufklärungswillen wird auch gewertet, dass die Abstimmung über die Einsetzung des Ausschusses in die Geisterstunde verschoben wurde: Der Bundestag soll sich - so der Zeitplan - erst in der Nacht zum Freitag mit Afghanistan befassen.