Nachfolgeregelung für Hartz IV SPD bangt ums Bürgergeld
Die Zeit drängt: Denn das Bürgergeld soll Hartz IV bereits im Januar ablösen. Doch Verbände laufen Sturm und die Union droht mit einer Blockade im Bundesrat. Die SPD zeigt sich alarmiert und will die Bedenken ausräumen.
Die SPD warnt die Union vor einer Blockade des geplanten Bürgergeldes im Bundesrat. Sie erwarte "konstruktive Gespräche aller Beteiligten, damit das Bürgergeld zum neuen Jahr starten kann", sagte die Parlamentsgeschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, der "Rheinischen Post". Sie reagiert damit auf CDU-Generalsekretär Mario Czaja, der zuvor damit gedroht hatte, das Gesetz in seiner bisherigen Form im Bundesrat zu blockieren.
Mast sagte, das Bürgergeld, das ab 2023 Hartz IV ersetzen soll, "ist eine der größten Weiterbildungsoffensiven, die dieses Land gesehen hat." Die Wirtschaft suche händeringend nach Arbeitskräften. "Darum tun wir alles, Menschen dauerhaft in gut bezahlte Arbeit zu bringen."
Scharfe Kritik von FDP und Grünen
Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai zeigte sich irritiert von der Drohung der Union. "Die unionsgeführten Länder sollten ihrer Verantwortung gerecht werden, anstatt auf Parteipolitik zu setzen", sagte er ebenfalls der "Rheinischen Post". "Verantwortliche Politik der größten Opposition sollte anders aussehen", betonte Djir-Sarai.
Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Andreas Audretsch, warnte die Union vor einem schweren Fehler. "Ältere Menschen, Alleinerziehende oder Kinder brauchen angesichts der Inflation und hoher Energiepreise dringend bessere Unterstützung durch das Bürgergeld", betonte Audretsch. "Die Kälte, mit die Union das in Frage stellt, ist erschreckend", so der Grünen-Politiker.
Union rechnet mit Vermittlungsausschuss
In den vergangenen Tagen war die Kritik an den Plänen der Ampel-Koalition immer lauter geworden - von der Opposition aber auch von Verbänden. Nun sagte CDU-Generalsekretär Czaja dem "Tagesspiegel": "Ich gehe davon aus, dass wir darüber im Vermittlungsausschuss werden sprechen müssen".
Er kritisierte vor allem den Plan, hohe Schonvermögen einzuführen: "Eine vierköpfige Familie soll mit einem Schonvermögen von 150.000 Euro trotzdem Anspruch auf das Bürgergeld haben, während eine andere junge Familie hart arbeitet und Steuern zahlt, um das Bürgergeld zu finanzieren." Das sei zutiefst unsozial und verletze alle Grundsätze einer sozialen Marktwirtschaft. Zudem schaffe die Bundesregierung auch falsche Anreize, indem sie die Heizkosten in vollem Umfang übernehmen wolle.
Wüst verteidigt CDU-Kurs
Auch der CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, verteidigte im Bericht aus Berlin die Haltung seiner Partei: "Die SPD will erkennbar ihr Trauma loswerden, das sie bei Harz IV erlitten hat." Seiner Meinung nach sei es "nicht gerecht, dass Menschen auf Kosten derer, die fleißig arbeiten gehen, ziemlich lange nicht mitwirken müssen", kritisierte Wüst. Es habe sich bewährt, dass Menschen, wenn sie Sozialleistungen beziehen wollten, "auch ein Stück anstrengen müssen". Das sei man "denjenigen, die arbeiten gehen, schuldig".
CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte in seiner Rede auf dem CSU-Parteitag in Augsburg die Erhöhung der Regelsätze befürwortet, kritisierte aber die übrigen Pläne scharf. Durch die Reform werde eine reguläre Beschäftigung für viele Menschen "überhaupt keinen Sinn mehr" ergeben.
Arbeitgeberpräsident warnt vor Spaltung
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sieht im geplanten Bürgergeld sogar Potenzial zur Spaltung der Gesellschaft: "Es kann nicht sein, dass ein Teil der Menschen, die morgens zur Arbeit gehen, nur wenig mehr Geld zur Verfügung haben als jemand, der morgens nicht zur Arbeit geht", sagte er der "Bild am Sonntag".
Stattdessen fordert Dulger eine umfassende Reform bei der sozialen Absicherung. "Wir brauchen eine große Sozialreform, die die Dimension der Wirtschaftswährung und Sozialunion nach der Wiedervereinigung hat". "So wie unsere Sozialversicherungen heute funktionieren, werden sie in den kommenden fünf Jahren nicht mehr funktionieren. Die Kosten werden explodieren."
Überlastung der Jobcenter befürchtet
Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags, sprach sich unterdessen indirekt dafür aus, die Reform zu verschieben. "Die Jobcenter sind schon jetzt am Rotieren", sagte der CDU-Politiker dem "Tagesspiegel". Das Bürgergeld komme "zur Unzeit", da die Jobcenter aufgrund der Geflüchteten aus der Ukraine ohnehin "mitten in der Krisenbewältigung" stünden. Notwendig sei ausreichend Zeit zur Vorbereitung.
Nach einem Bericht des "Spiegel" warnen die Jobcenter-Personalräte angesichts der Einführung des Bürgergelds und der vorgesehenen Etatkürzungen ebenfalls eindringlich vor einer akuten Überlastung der Jobcenter-Beschäftigten.
Die Zeit drängt
Der Bundesrat hatte die Ampel-Regierung nach Beratungen am Freitag bereits zu Nachbesserungen aufgefordert. Der Bundestag will sich am 10. November in zweiter und dritter Lesung mit dem Gesetz befassen. Danach ist die Länderkammer wieder am Zug.
Wird ein Vermittlungsausschuss notwendig, dürfte es nicht klappen, dass die Reform wie geplant zum Jahreswechsel in Kraft tritt. Denn dann würde unter anderem den Jobcentern die Zeit zur Vorbereitung fehlen.