Nachtragshaushalt im Bundestag Lindner will reinen Tisch machen
Der Bundestag berät heute über einen Nachtragshaushalt für dieses Jahr. Dabei geht es vor allem um die Umbuchung von Schulden - was der ursprünglichen Intention von Finanzminister Lindner widerspricht.
Ab 2023 sollte die Schuldenbremse wieder eingehalten werden. Das hatte die FDP in den Koalitionsvertrag der Ampel hineinverhandelt. Und so präsentierte Finanzminister Christian Lindner seinen Haushalt für das Jahr 2023 im November vor einem Jahr denn auch mit diesen Worten: "Die Koalition hat einen Bundeshaushalt aufgestellt, der die Schuldenbremse achtet."
Lindner hatte es geschafft, so schien es. Nach den Ausnahmejahren 2020 bis 2022 würde Deutschland 2023 zur haushaltstechnischen Normalität zurückkehren können. Möglich war das aber nur, weil die Ampel parallel zum Haushalt ein milliardenschweres Sondervermögen für die Energiehilfen schuf - Stichwort "Doppel-Wumms".
Bis zu 200 Milliarden Euro sollten bis zum Frühjahr 2024 insbesondere für die Strom- und Gaspreisbremse zur Verfügung stehen. Finanziert mit Schulden, die noch mit der außergewöhnlichen Notlage der vergangenen Jahre begründet wurden.
Zeit der Unsicherheit
Dann aber kam der 15. November 2023 - und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse. Schulden auf Vorrat: Das sei letztlich nichts anderes als ein Buchungstrick, um die Schuldenbremse zu umgehen. So lässt sich einer der Argumentationsstränge lesen, mit denen die Karlsruher Richter der Verfassungsklage der Unionsfraktion Recht gaben.
Schnell war klar: Das Urteil, das sich zwar zunächst auf die Umbuchung von Corona-Schulden in den Klimafonds der Ampel bezog, hat weitreichende Auswirkungen. Unionspolitiker wie Florian Oßner (CSU) nahmen schnell eben jenen Wirtschaftsstabilisierungsfonds in den Blick, aus dem die Energiepreisbremsen bezahlt werden. Man hätte schneller handeln können, beklagt Oßner heute. Die Ampel habe die Zeit der Unsicherheit nach dem Karlsruher Urteil verlängert.
Umbuchung bereits gemachter Schulden
Seit Montag aber liegt ein Entwurf für einen Nachtragshaushalt aus dem Haus von Finanzminister Lindner vor. Er betrachte es als seine Aufgabe, nach dem Karlsruher Urteil "reinen Tisch zu machen".
Technisch gesehen besteht der Nachtragshaushalt vor allem aus einer Umbuchung bereits gemachter Schulden, wie Sven-Christian Kindler, Haushaltspolitiker der Grünen, erläutert. Das betrifft gut 43 Milliarden Euro, die in diesem Jahr für die Energiepreisbremsen vorgesehen sind, sowie 1,6 Milliarden Euro, die aus einem anderen Sondervermögen kommen, das für die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal eingerichtet worden war.
Unterm Strich kommt der Bund 2023 damit auf eine Neuverschuldung von rund 70 Milliarden Euro - zusammen mit den Schulden, die bereits im eigentlichen Haushalt vorgesehen waren.
Kommt es erneut zur "Notsituation"?
Damit übersteigt die Neuverschuldung des Bundes aber erneut die Höhe, die nach der Schuldenbremse des Grundgesetzes erlaubt ist. Der Bundestag muss nach Art. 115 GG daher wieder eine "außergewöhnliche Notsituation" feststellen, die sich - wie es in den Regeln zur Schuldenbremse heißt - der Kontrolle des Staates entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt.
Für einen solchen Beschluss reicht die einfache Mehrheit, also die Mehrheit der Ampelkoalition. Allerdings sieht es so aus, dass die Unionsparteien den angestrebten Notlagenbeschluss verfassungsrechtlich nicht anzweifeln.
Debatte um ein Aussetzen der Schuldenbremse
Anders könnte das sein, wenn die Ampelkoalition auch im kommenden Jahr, also für den Haushalt 2024, die Schuldenbremse aussetzen will, sagt Unions-Fraktions-Vize Mathias Middelberg: Das wäre "schon sehr problematisch" und könnte zu einer neuen Klage in Karlsruhe führen.
Das deutet schon an: Die eigentliche Herausforderung steht für die Ampelkoalition erst noch an. Zum einen der reguläre Haushalt für das kommende Jahr, der nach dem Willen von Finanzminister Lindner dann endlich ohne ein weiteres Aussetzen der Schuldenbremse auskommen soll. Zum anderen der Wirtschaftsplan für den Klima- und Transformationsfonds. Hier fehlen nach dem Urteil aus Karlsruhe 60 Milliarden Euro.
Die Finanzierungsfragen
Nun muss die Regierung diese 60 Milliarden nicht auf einen Schlag einsparen. Es handelt sich um einen Wirtschaftsplan für vier Jahre, der - vor Karlsruhe - Ausgaben von knapp 212 Milliarden Euro vorsah. Doch die spannende Frage ist: Können in dieser Zeit alle Projekte finanziert werden, die sich die Ampel vorgestellt hat? Sei es für die Förderung beim Heizungstausch, für die Subventionierung von Chipfabriken oder für den Aufbau eines Wasserstoffnetzes?
Kanzler Olaf Scholz hat bei seiner Regierungserklärung am Dienstag angedeutet, dass alles, was für die Modernisierung und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands besonders wichtig ist, für ihn eine hohe Priorität hat. Aber Entscheidungen dazu stehen noch aus.