Nach den Landtagswahlen "Die Anti-Ampel-Rhetorik hat funktioniert"
In Hessen und Bayern wurden SPD, Grüne und FDP deutlich abgestraft. Das liegt an der Anti-Ampel-Rhetorik im Wahlkampf - ist aber auch selbstverschuldet, sagt Politologin Münch im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Auch wenn die Wahlergebnisse in Bayern und Hessen weitgehend wie prognostiziert ausfielen - was hat Sie dabei am meisten überrascht?
Ursula Münch: Das in beiden Ländern doch sehr starke Abschneiden der AfD ist für mich das Überraschendste. Dass sie in Hessen zweitstärkste Kraft geworden ist - und in Bayern die drittstärkste Kraft, obwohl es da auch die Freien Wähler als starke Kraft rechts der Mitte gibt.
tagesschau.de: Wie ist der AfD-Erfolg in den zwei westdeutschen Flächenländern zu erklären?
Münch: Das ist einerseits eine große Abrechnung mit der Ampelkoalition im Bund: Sie richtete sich gegen alle Ampelparteien. Die Grünen konnten zwar ihre Stammwählerschaft in beiden Bundesländern noch einigermaßen mobilisieren, aber für die FDP ist es ja in Bayern schlecht und in Hessen sehr knapp ausgegangen. Die SPD hat in Bayern ihr schlechtestes Wahlergebnis überhaupt eingefahren - das ist alles eindeutig ein Zeichen für eine große Unzufriedenheit gegenüber der Bundesregierung.
Andererseits zeigt es auch, dass diese Anti-Ampel-Rhetorik seitens der hessischen CDU sowie CSU und Freien Wählern in Bayern funktioniert hat. Behauptungen wie etwa, dass viele Verbote von Seiten der Grünen kämen, haben diese Stimmung zusätzlich geschürt - wovon interessanterweise die CSU in Bayern aber nicht profitiert hat, die CDU in Hessen schon.
Ursula Münch ist seit 2011 Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Sie beschäftigt sich viel mit gesellschaftlicher Spaltung und Polarisierung. Zuvor war sie Professorin für Politikwissenschaft und Dekanin der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München.
tagesschau.de: Bei der vergangenen Landtagswahl 2018 hatte die CSU mit Markus Söder bereits erkennbar Stimmen an Freie Wähler und AfD verloren - hat er diesmal dieselben Fehler gemacht?
Münch: Im Gegenteil. Die CSU wollte aus den Fehlern von 2018 lernen, aus dem damals scharfen Jargon in der Migrationspolitik und dem Konflikt von CDU und CSU. Man hat das Thema Migration im jetzigen Wahlkampf kaum angesprochen. Aber das hat nicht geholfen, weil es in den Kommunen ein ganz wichtiges Thema ist - und damit wiederum erneut der AfD genutzt hat.
2018 hat die CSU die Erfahrung gemacht, dass es keinen Sinn ergibt, die AfD rhetorisch nachzuahmen. Aber das Thema zu verdrängen und zu hoffen, dass es erst nach der Landtagswahl virulent wird - das fruchtet eben auch nicht.
"Züge einer Neiddebatte"
tagesschau.de: Steckt da eine doppelte Abrechnung mit der Migrationspolitik im Bund drin, die bis zur Großen Koalition vor 2021 zurückgeht - weil aus Sicht mancher Wählenden zu wenig Konsequenzen gezogen wurden?
Münch: Das würde ich so sehen. In der Bevölkerung wird das Thema wieder akut als besonders besorgniserregend betrachtet. Nach 2015/16 war es ähnlich. Aber damals konnte der Bund zumindest relativ viel Geld ins System hineinstecken.
Jetzt leben wir in Zeiten, in denen die Leute ständig hören, dass an vielen Stellen bei öffentlichen Geldern gespart werden muss. Und der Eindruck ist, dass an den Geflüchteten nicht gespart werden würde. Diese Wahrnehmung wird von der AfD natürlich weiter geschürt. Das hat meines Erachtens ganz stark zu diesem Wahlergebnis beigetragen.
Das hat Züge einer Neiddebatte. Aber es gibt auch die Sorge, dass viele öffentliche Leistungen eingeschränkt werden müssen, weil wir nicht mehr so viel Geld zur Verfügung haben - mit Blick auf die finanzielle Unterstützung der Wirtschaft und der Ukraine.
"Zum Teil gar nicht zu leisten"
tagesschau.de: Muss sich Bundeskanzler Scholz vorwerfen lassen - und mit ihm seine Innenministerin und hessische SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser, dass sie das Thema Migration zu sehr vernachlässigt haben?
Münch: Alle Parteien jenseits der AfD müssen sich vorwerfen lassen, dass sie die Hinweise aus den Kommunen und Landkreisen nicht ernst genug genommen haben. Also die Länder haben nach Leistungen des Bundes gerufen und der Bund hat darauf verwiesen, doch schon so viel zu zahlen.
Es geht aber nicht nur darum, dass Kommunen und Landkreise ein akutes Aufnahmeproblem haben. Sondern, dass insgesamt die Länder die Sorge haben, dass das Schulsystem nicht mehr funktioniert, dass die Qualitätsstandards im Bildungswesen sinken, dass man zu wenig Personal hat, dass das alles wahnsinnig viel Geld kostet und zum Teil mit Geld gar nicht zu leisten ist.
Das ist natürlich vor allem für die Bundesregierung ein wichtiges Thema - aber ich würde schon sagen, dass das auch für die Parteien im demokratischen Spektrum auf der Oppositionsbank im Bundestag ein großes Thema ist.
"Einiges ist schon auf dem Weg"
tagesschau.de: Sehen Sie da einen großen Auftrag an die Ampel? Und ist das in anderthalb Jahren bis zum Bundestagswahlkampf überhaupt noch zu schaffen, um ähnliche Ergebnisse zu vermeiden?
Münch: Unabhängig von den Ergebnissen der AfD geht es darum, dass man das Thema Migration ernster nimmt. Da sehe ich erste Schritte: Es gibt Zugeständnisse auf der europäischen Ebene, man denkt über Geldkarten statt Geldleistungen für Geflüchtete nach - einiges ist schon auf dem Weg. Vermutlich wäre es ganz vernünftig, wenn sich hier die Ampel mit der demokratischen Opposition im Bundestag zusammen täte.
tagesschau.de: Ist es denn wirklich nur das Thema Migration schuld - oder auch das öffentliche Bild der Zerstrittenheit in der Ampelkoalition, das dazu führte, dass gerade diese drei Parteien in den Ländern Stimmen verloren haben?
Münch: Selbstverständlich hat das weder das Abschneiden der Oppositionsparteien im bayerischen Landtag noch das der drei Parteien in Hessen gefördert. Die Leute wollen keine zerstrittene Bundesregierung. Dieser Streit trifft ja die auch das Thema Migration, aber auch das sogenannte Heizungsgesetz. Die Leute wollen eine handlungsfähige Regierung, die die Themen Migration und Klimawandel gestaltet - und das Thema Wirtschaftsstandort Deutschland besser in den Griff bekommt.
Aber sie wollen auch eine Bundesregierung, die den Eindruck vermittelt, dass sie die Stimmungen im Land besser einordnen und aufnehmen kann. Es geht nicht darum, jeder Meinung hinterherzulaufen - aber dass man ein Grundgefühl stärker mitbekommt. Das kann man der Bundesregierung schon vorwerfen, dass sie das nicht wirklich hat: Ein Bundeskanzler, der sich in großem Optimismus bei seinen öffentlichen Verlautbarungen zeigt, aber nicht wirklich begründen kann, woraus er ihn zieht - das ist für die Leute nicht glaubwürdig.
Das Gespräch führte Corinna Emundts, tagesschau.de.