Ein Kampfpanzer vom Typ "Leopard 2A6" fährt durch ein Wasserbecken. (Archiv)
Analyse

"Leopard"-Lieferung Wann wird Deutschland "Kriegspartei"?

Stand: 26.01.2023 20:02 Uhr

Deutschland liefert "Leopard 2"-Kampfpanzer an die Ukraine. Kritiker befürchten, dass Deutschland damit zu stark in den Krieg hineingezogen wird. Was sagt das Völkerrecht?

Eine Analyse von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Zahlreiche Staaten, vor allem aus Europa und Nordamerika, unterstützen die Ukraine seit Kriegsbeginn mit finanzieller und humanitärer Hilfe, aber auch mit Waffenlieferungen. All diese Hilfsleistungen erfolgen nicht im "luftleeren Raum", sondern vielmehr als Reaktion auf den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein wichtiger Punkt in rechtlicher Hinsicht, wie Völkerrechtsexperten betonen.

In der Charta der Vereinten Nationen heißt es:

Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.

Gegen dieses Gewaltverbot verstößt Russland mit seinem Angriffskrieg beständig seit dem 24. Februar 2022. Laut UN-Charta hat die Ukraine deswegen das Recht zur Selbstverteidigung. Diese kann "individuell oder kollektiv" ausgeübt werden. Wenn sich die Ukraine gegen den russischen Angriff verteidigt, ist das also evident vom Völkerrecht gedeckt.

Andere Länder dürfen die Ukraine dabei unterstützen, auch militärisch. Das schließt Waffenlieferungen und Ausbildungsmissionen als Hilfe zur individuellen Selbstverteidigung ein. "Sogar der Einsatz von Streitkräften, die Seite an Seite mit Ukrainern kämpfen, wäre aus der Perspektive des Völkerrechts als kollektive Selbstverteidigung gerechtfertigt", sagt Markus Krajewski, Professor für Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Deutschland und seine Partner in der NATO haben eine Teilnahme eigener Truppen an den Kämpfen allerdings ausgeschlossen, da sie befürchten, der Krieg würde dann faktisch eskalieren. Allerdings: Allein aus völkerrechtlicher Sicht wäre sogar das legitim. "Denn jeder Schuss, den Russland aktuell in der Ukraine abgibt, ist eine Fortsetzung des Völkerrechtsbruchs", so Markus Krajewski. "Russland verhält sich erst dann wieder völkerrechtskonform, wenn es seine Truppen hinter die eigene Grenzen zurückzieht."

"Die reine Lieferung von Gütern reicht dafür nicht aus"

Durch die Lieferung von "Leopard 2"-Kampfpanzern an die Ukraine wird Deutschland auch nicht zur "Kriegspartei". Einen solchen Automatismus kennt das Völkerrecht nicht. Die Genfer Konventionen gehen vielmehr davon aus, dass ein Staat erst dann an einem Konflikt beteiligt ist, wenn eigene Soldaten unmittelbar an den Kampfhandlungen teilnehmen.

"Nur durch die aktive und koordinierte Teilnahme an Kampfhandlungen durch eigene Streitkräfte wird ein Staat 'Kriegspartei'", sagt Professor Matthias Herdegen. Er ist Co-Direktor des Instituts für Völkerrecht an der Universität Bonn. "Die reine Lieferung von Gütern - Panzern, Jets, Helmen - reicht dafür nicht aus, auch die Ausbildung an diesen Systemen ändert nichts an dieser Bewertung."

Rechtliche Auswirkungen des Status als "Kriegspartei" überschaubar

Die Bedeutung des Begriffs "Kriegspartei" oder "Konfliktpartei" ist für beide Völkerrechtsexperten ohnehin beschränkt: "Wer diese Diskussion führt, ist der russischen Propaganda schon ein Stück weit auf den Leim gegangen", sagt Professor Markus Krajewski. "Denn sie erweckt den Anschein, als gäbe es eine Schwelle, ab der Russland dann berechtigterweise Deutschland angreifen dürfe."

So sei es aber gerade nicht, wie auch Professor Matthias Herdegen erläutert: "Auch wenn Deutschland Konfliktpartei würde, blieben russische Militärschläge gegenüber Deutschland nach der UN-Charta verboten", sagt er. "Der Status der 'Konfliktpartei' führt folglich nicht dazu, dass Russland etwa Berlin angreifen dürfte." Lediglich die beteiligten militärischen Einheiten dürften in diesem Fall vor Ort angegriffen werden.

Völkerrechtler: Nicht auf Begriff beschränken

Neben dem Kampfeinsatz eigener Streitkräfte gibt es einen zweiten Weg, "Kriegspartei" zu werden: "Wenn Putin Deutschland angreifen möchte und dies tut, wird die Bundesrepublik ebenfalls zur Konfliktpartei - ob sie das will oder nicht", sagt Matthias Herdegen. Daher dürfe sich die öffentliche Debatte nicht auf diesen Begriff beschränken, so der Völkerrechtler aus Bonn.

Die Grundsätze zur Beteiligung am Konflikt gelten auch analog bei einer möglicherweise anstehenden Debatte um die Lieferung von Kampfjets: Eine Lieferung von Gerät und Waffensystem alleine wäre keine Beteiligung am Krieg sondern lediglich eine Unterstützung. Das Eingreifen, etwa durch Piloten der Luftwaffe, oder Missionen vor Ort wäre dann aber anders zu beurteilen. Beides jedoch wäre vom Selbstverteidigungsrecht der Ukraine umfasst und damit völkerrechtlich legitim.

Nina Amin, Nina Amin, ARD Berlin, 25.01.2023 06:34 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 25. Januar 2023 um 22:15 Uhr.