Meeresschutz und Fischerei Bauernopfer der Sparmaßnahmen?
Die Bundesregierung will mehrere Millionen für Meeresschutz und Fischerei kürzen und dafür Gesetzesvorgaben rückwirkend ändern. Auch die Bauernproteste spielen dabei eine Rolle. Umweltschützer und Fischer protestieren.
Im vergangenen Jahr hat der Bund bei der Versteigerung von Gebieten in der Ost- und Nordsee für Offshore-Windparks mehrere Milliarden Euro eingenommen. Die Verwendung der Gelder ist rechtlich geregelt. Ein Großteil der Erlöse wird zur Senkung der Stromkosten genutzt, fünf Prozent müssen jeweils für den Meeresnaturschutz und die Förderung einer umweltschonenden Fischerei eingesetzt werden.
Im Zuge der geplanten Sparmaßnahmen will die Bundesregierung das jetzt aber ändern und einen Teil dieser Einnahmen für andere Zwecke nutzen. Davon profitieren unter anderem die Landwirte. Es stellen sich rechtliche und politische Fragen.
Ausbau der Offshore-Windparks
Im Frühjahr 2022 hat die Bundesregierung ihr sogenanntes Osterpaket zum Ausbau erneuerbarer Energien vorgelegt. Ein Teil der Maßnahmen: der Ausbau der Windkraft auf See sollte deutlich beschleunigt werden. Um die Akzeptanz dafür zu erhöhen, sollten mit dem reformierten Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) auch Belange des Naturschutzes und der Fischerei gestärkt werden.
Ein Teil der Gelder, die bei den Versteigerungen von Offshore-Gebieten erzielt wird, sollte künftig dafür zweckgebunden eingesetzt werden. Zehn Prozent für die sogenannte Meeresnaturschutzkomponente, zehn Prozent für die Fischereikomponente. So sah es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Im Sommer 2022 wurde das Gesetz vom Bundestag beschlossen; allerdings wurden beide Komponenten auf jeweils fünf Prozent gekürzt.
Zweckgebundene Gelder
Entsprechend der gesetzlichen Regelung teilte die Bundesnetzagentur in ihrer Ausschreibung für das Jahr 2023 mit: "Die Erlöse aus den Offshore Ausschreibungen fließen zu 90 Prozent in die Stromkostensenkung und zu jeweils fünf Prozent in den Meeresnaturschutz sowie die Förderung einer umweltschonenden Fischerei." Die Beteiligung an dem Gebotsverfahren war groß, rund 13,3 Milliarden Euro wurden 2023 eingenommen. Damit stehen für die Fischerei- und den Meeresnaturschutz jeweils rund 670 Millionen Euro zur Verfügung.
Zuständig für die Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen sind das Bundeslandwirtschafts- und das Bundesumweltministerium. Als nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts im November die Frage aufkam, ob nicht auch hier gespart werden könnte, verwiesen beide Ministerien auf die gesetzliche Zweckbindung der Gelder. Zudem betonten sie: das Geld werde für den Schutz der Meeresnatur, die vom Bau der Windanlagen betroffen ist und die Unterstützung etwa der Ostseefischer benötigt.
Sparmaßnahmen nach BVerfG-Urteil
Doch bereits kurz darauf, im Dezember, einigten sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner auf ein Sparpaket. Von den rund 1,34 Milliarden Euro, die für Meeresnaturschutz und Fischerei laut Gesetz aus den Versteigerungen 2023 zustehen, sollten 500 Millionen Euro für andere Zwecke genutzt werden.
Vergangene Woche, nachdem der geplante Subventionsabbau bei den Landwirten teilweise zurückgenommen wurde, waren es dann schon 780 Millionen Euro.
Rückwirkende Umwidmung möglich?
Doch ist das rechtlich möglich? Kann die Zweckbindung der Gelder rückwirkend geändert werden? Darauf angesprochen, reagiert die Bundesregierung schmallippig. Erst auf mehrfache Nachfrage teilt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums (BMWK) mit: "Wie üblich hat das BMWK die geplante Änderung vorher intensiv geprüft und eine rechtlich mögliche Gesetzesänderung formuliert."
Der Gesetzentwurf der Regierung dazu wird derzeit vom Bundestag beraten. Konkret sieht er vor, die Fischereikomponente auf ein Prozent abzusenken, die Meeresnaturschutzkomponente soll von derzeit fünf Prozent auf 3,1 Prozent gesenkt werden.
Statt 670 Millionen Euro soll das Umweltministerium 420 Millionen Euro für den Meeresnaturschutz erhalten. Für die Fischerei soll das Landwirtschaftsministerium aus den Erlösen der Offshore-Versteigerungen statt 670 Millionen Euro, 134 Millionen bekommen. 25 Millionen Euro davon sind allerdings für Ausgaben vorgesehen, die ursprünglich über den regulären Etat finanziert werden sollten. Somit bleiben für die umweltschonende Fischerei 109 Millionen Euro.
Umwelthilfe: "Ein Riesenskandal"
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, nennt die geplanten Kürzungen im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio einen "Riesenskandal". Er wirft der Bundesregierung vor, den Bundeshaushalt auf Kosten des Naturschutzes zu sanieren.
Zugleich räumt er ein: die Umwelthilfe selbst wird dagegen selbst nicht klagen können. So das Ergebnis einer ersten Prüfung. Er hofft allerdings, sagt Müller-Kraenner, dass die Betreiber der Offshore-Anlagen sich das "noch einmal rechtlich anschauen." Zumal das Geld vorgesehen war, um die Eingriffe in die Natur zu kompensieren.
Peter Breckling, Geschäftsführer beim Verband der Deutschen Kutter- und Küstenfischer, spricht von einem schweren Schlag für die Fischerei. Er verweist darauf, dass in Offshore-Windparks nicht gefischt werden darf und damit immer mehr Fanggebiete verloren gehen. Die Summe, die jetzt noch für die Fischerei vorgesehen ist, sei "kein angemessener Ausgleich für das, was die deutsche Fischerei in der Nord- und Ostsee verliert." Die Wahrnehmung im Fischereisektor sei, dass man bei den Sparmaßnahmen das Bauernopfer sei. Auch er hofft auf eine rechtliche Prüfung oder ein Einlenken der Politik.
Widerstand aus den Ländern
Widerstand könnte es auch noch aus den Ländern geben. Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) hatte im vergangenen Jahr den Fischern noch Unterstützung zugesagt und auf die 670 Millionen Euro verwiesen. Auf Anfrage teilt er dem ARD-Hauptstadtstudio mit: Er habe "große Hoffnungen" auf die Verwendung dieser Mittel gesetzt. Die jetzt vorgelegten Änderungen nennt er eine "drastische Kürzung". Er "halte das für ein fatales Signal an die vor allem in der Ostsee schwer gebeutelte, existentiell bedrohte Branche."
Die Reform des Windenergie-auf-See-Gesetzes und damit auch die Zweckbindung der Gelder soll bis Ende Januar vom Bundestag beschlossen werden. Derzeit laufen dazu die Beratungen.