"Mediendienst Integration" Fast 125.000 staatenlose Menschen in Deutschland
In Deutschland leben derzeit 124.500 Menschen ohne Staatsangehörigkeit. Viele von ihnen sind Palästinenser und Kurden, die aus Syrien oder dem Libanon hierher gekommen sind.
Die Zahl der staatenlosen Menschen in Deutschland ist leicht gestiegen. Das geht aus einem Bericht des "Mediendienstes Integration" hervor.
Demnach wurden 124.500 Personen ohne Staatsangehörigkeit erfasst - im vergangenen Jahr waren es noch etwa 200 weniger. Die erhobenen Zahlen beruhen auf Angaben des Ausländerzentralregisters (AZR) und der Bundesregierung.
Ein Großteil von ihnen sind Menschen aus den Palästinensergebieten oder Kurden, die selbst oder deren Vorfahren aus Syrien oder dem Libanon nach Deutschland gekommen sind, und die sich etwa nach einer Flucht nicht in einem anderen Land einbürgern lassen konnten. Rund 37.500 der Staatenlosen wurden den Angaben zufolge in Syrien geboren, mehr als 6.300 im Libanon. Mindestens 8.300 kamen in Deutschland zur Welt.
Von Staatenlosigkeit betroffen sind aber auch frühere Bürger der UdSSR oder des früheren Jugoslawiens, deren Herkunftsstaaten nicht mehr existieren und Dokumente fehlen, um die Staatsangehörigkeit der Nachfolgestaaten zu erhalten.
Mindestens 37 Prozent sind minderjährig
Mehr als 29.500 der erfassten Staatenlosen sind demnach "anerkannt staatenlos", fast 95.000 haben eine "ungeklärte Staatsbürgerschaft". Knapp ein Drittel der Menschen ist "geduldet" (etwa 7.500) oder hat "kein Aufenthaltsrecht" (16.000). Unter allen Staatenlosen in Deutschland sind 37 Prozent minderjährig, 60 Prozent der Menschen mit ungeklärter Staatsbürgerschaft leben seit mehr als fünf Jahren in Deutschland.
Das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR Deutschland definiert "staatenlos" wie folgt: Staatenlos ist, wer unter nationalen Gesetzen keine Staatsbürgerschaft eines Landes besitzt.
Da viele Regierungen keine genauen Zählung der Betroffenen durchführen, gibt es nur vage Schätzungen: Die Vereinten Nationen sind im Jahr 2021 weltweit von 4,2 Millionen Staatenlosen ausgegangen.
Die Gründe für Staatenlosigkeit sind vielfältig. So können staatliche oder politische Maßnahmen dazu führen, etwa bei Staatsauflösung. Auch der Ausschluss von ethnischen oder religiösen Minderheiten in Staaten kann zur Staatenlosigkeit führen. Aber auch administrative oder technische Versäumnisse können dem zugrunde liegen.
Zum Teil vererben staatenlose Personen ihren Status an ihre Kinder - denn in Deutschland Geborene haben nicht automatisch das Anrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit.
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben deutlich erschwert
Allerdings können viele Betroffene statistisch nicht erfasst werden. Daher dürfte die tatsächliche Zahl deutlich höher sein. Die Gründe dafür sind offenbar teilweise banal: Dem Mediendienst zufolge fehlt vielen Behörden bei Abfrage der Staatsangehörigkeit die Option "staatenlos".
Keine Staatsangehörigkeit zu haben, bringt Hürden im Alltag. Gewöhnliche Dinge, wie etwa ein Konto zu eröffnen, werden erschwert. Der "Mediendienst Integration" prangert zudem an, dass Betroffene bei Bewerbungen um Wohnungen, den Kita-, Studien- oder Arbeitsplatz benachteiligt würden.
Staatenlose praktisch im "rechtsfreien Raum"
Ist die Staatsangehörigkeit nicht abschließend geklärt, ist die Person "de facto" staatenlos. Wie der "Mediendienst Integration" weiter ausführt, sind hierzulande Behörden angehalten, Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit unter bestimmten Voraussetzungen als Staatenlose anzusehen. Staatenlose befinden sich daher praktisch im "rechtsfreien Raum" und werden nicht durch nationale Gesetze geschützt.
Einziger Ausweg aus der Situation sei die Einbürgerung, die für Staatenlose nach mindestens sechsjährigen Aufenthalt möglich ist, wenn die Identität abschließend geklärt ist. Die Anerkennung als Staatenloser gilt daher als wichtige Grundlage.
Der "Mediendienst Integration" ist ein Projekt des "Rat für Migration e. V.", einem bundesweiten Zusammenschluss von Migrationsforscherinnen und -forschern. Das Projekt wird unter anderem von der Bundesregierung gefördert, arbeitet aber unabhängig und will den Austausch zwischen Wissenschaft und Medien intensivieren.